Woidke: „Dass die Impfpflicht der alleinige Weg aus der Pandemie ist, glaube ich nicht“
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Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, setzt auf Dialog auch mit Demonstrierenden.
© Quelle: Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dp
Berlin/Potsdam. Eine Langfassung dieses Interviews lesen Sie im Internetangebot der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“.
Herr Ministerpräsident, welche Beschlüsse muss die Ministerpräsidentenkonferenz am Freitag treffen?
Omikron breitet sich massiv aus. Wir hoffen das Beste, bereiten uns aber auf das Schlimmste vor, das heißt eine exponentiell ansteigende Zahl der Infektionen. Konkret zur Ministerpräsidentenkonferenz: Ich sehe wenig Spielraum für weitere Maßnahmen. Entscheidend ist aber, die Verhältnismäßigkeit zu bewahren.
Brauchen wir eine allgemeine Impfpflicht?
Wenn die Impfpflicht am Ende der einzige Weg ist, unsere gewohnte Freiheit zurückzugewinnen, dann bin ich dafür. Wir sollten aber die Debatte nicht so verkürzen, wie sie momentan läuft. Wir müssen wissen, was wir den Menschen mit einer Impfpflicht auferlegen. Dass die Impfpflicht der alleinige Weg aus der Pandemie ist, glaube ich nicht.
Brandenburg ist nach Sachsen das Land mit der schlechtesten Impfquote – was kann da noch verbessert werden?
Die Menschen sind nicht impfmüde. Sie sind pandemiemüde. Es lassen sich zurzeit so viele Brandenburgerinnen und Brandenburger impfen wie nie zuvor. Unser Ziel von 160.000 Impfungen wöchentlich haben wir mehrfach deutlich überboten. Wir sind gut beraten, die Infrastruktur für das Impfen und Testen mindestens für das Jahr 2022 im Wesentlichen zu erhalten und nicht wieder abzuschaffen, wie es im letzten Herbst fälschlicherweise passiert ist. Wir müssen schnell reagieren können und dürfen keine Zeit verlieren durch Ab- und Aufbau, wie vergangenes Jahr.
In fast allen Städten Brandenburgs gehen jeden Montag Menschen gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße, mal ein paar Dutzend, mal Tausende. Warum sind es gerade in Brandenburg, gerade in Ostdeutschland so viele?
Zunächst: Wir sollten alle rhetorisch abrüsten. Und diese Veranstaltungen finden bundesweit statt. Bei uns wird dies jedoch oft von der AfD gesteuert, die mit mehr als einem Fünftel der Sitze im Landtag sitzt, die alle Corona-Maßnahmen und das Impfen ablehnt und auch der Demokratie und dem Staat ablehnend gegenübersteht. Dazu kommen noch einige andere hart rechte Gruppen. Oft bereiten diese Akteure und ihr Umfeld den Boden für diese Proteste. Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die sich Sorgen machen und Angst vor der Zukunft haben. Diese berechtigten Ängste und Sorgen dürfen wir nicht unter den Tisch kehren und alle Demonstrationsteilnehmer als Corona-Leugner und Nazis abtun. Diese Sorgen müssen wir sehr ernst nehmen.
Haben Sie Verständnis für die Demonstrierenden?
Die Menschen haben ein Demonstrationsrecht. Man sollte aber genau sehen, wo und mit wem man demonstriert. Und es gelten Regeln, die eingehalten werden müssen. Die Menschen wollen einfach, dass das Ganze endet. Die Pandemie wird aber bestimmt nicht per Demonstration beendet – sondern durch Impfen und Einhaltung der Regeln. Sicherlich, wir haben auch Fehler gemacht und wir haben unsere Maßnahmen nicht immer gut genug erklärt. Und manches war nicht nachvollziehbar. Dazu muss man stehen.
Gemeinsam mit der Bundesregierung, mit den anderen Landesregierungen, mussten wir auf schwieriger Datenlage Entscheidungen treffen, um größeren Schaden abzuwenden. So war es aus heutiger Sicht falsch, die Schulen so lange geschlossen zu halten. Aber wir mussten die Entscheidung auf Basis des damaligen Wissens treffen. Wir müssen aber jetzt auch die Größe haben zu sagen: Die Politik hat in dieser Pandemie nicht immer alles richtig gemacht.
Damit erreichen Sie diejenigen aber nicht, die der Politik und dem Staat täglich aggressiver gegenüberstehen. „Woidke muss weg“ stand auf einem riesigen Transparent in Cottbus. In den sozialen Netzen und auf der Straße wird ständig von „Aufknüpfen“ und „Erschießen“ fantasiert. Ihre Ministerpräsidentenkollegin Manuela Schwesig erhält Morddrohungen, Sie sicher auch.
Drohungen gegen Politikerinnen und Politiker gab es immer wieder und gibt es. Was mich beschäftigt, sind Drohungen gegen Ärztinnen und Ärzte, gegen Menschen, die sich engagieren, die andere politische Meinungen vertreten als die Demonstranten sowie Stadtverordnete, Abgeordnete und ehrenamtlich Engagierte. Das dürfen wir nicht hinnehmen, hier geht es um unsere Demokratie.
Gibt es eine Spaltung der Gesellschaft?
Die große Mehrheit der Menschen steht hinter den Maßnahmen und schränkt sich freiwillig ein. Ich sehe keine Spaltung der Gesellschaft. Ich sehe aber, dass bestimmte politische Gruppierungen versuchen, diese Spaltung herbeizuführen und Menschen gegen andere Menschen aufzuhetzen.
Sie bieten den Dialog an. Wen können Sie noch erreichen – und wen nicht mehr?
Ich wünsche mir, dass Menschen, die unsere Politik kritisieren, sich genauer anschauen, mit wem sie Seite an Seite demonstrieren. Ich will im Gespräch mit dem Teil bleiben, mit dem man im Gespräch bleiben kann. Das ist die Mehrheit im Lande, aber auch auf vielen Demonstrationen, davon bin ich fest überzeugt.
Haben Sie Angst vor sächsischen Verhältnissen in Brandenburg?
Was meinen Sie damit?
Dass Teile dieses Bundeslandes nur noch bedingt die Demokratie akzeptieren. Wir nehmen eine erschreckende Institutionenfeindlichkeit wahr, die in dieser Massivität neu ist.
Die Zivilgesellschaft in Brandenburg ist sehr stark. Es gab eindrucksvolle Aktionen zum Beispiel in Eberswalde und Cottbus, wo mit Kerzen an die Opfer der Pandemie erinnert wurde. Und der Staat ist handlungsfähig. Wir nehmen antidemokratische rechtsextremistische Umtriebe sehr genau ins Visier. Diese Kräfte versuchen jetzt, genau wie in der Flüchtlingskrise, an eine weit verbreitete Unsicherheit und an Ängste anzudocken. Sie versuchen, ihre verquere Ideologie als Sicherheit zu verkaufen.
Sie möchten Brandenburgs Wirtschaft umbauen und setzen stark auf die Ansiedlung neuer Industrien. Alle warten auf die Genehmigung für die Tesla-Fabrik in Grünheide. Wann kommt sie?
Wir sind auf dem letzten Kilometer eines Marathonlaufs, wir dürfen uns aber auch jetzt nicht verstolpern. Ein Datum kann und werde ich Ihnen nicht nennen.
Sie haben sich mehrfach mit Elon Musk getroffen. Wie verliefen diese Gespräche?
Was mich beeindruckt hat, ist seine Vision, die genau dem entspricht, was wir in Brandenburg vorhaben: die Vision einer klimaneutralen Produktion von möglichst weitgehend klimaneutralen Produkten. Das ist die grüne Vision von Musk. Und daneben hat mich seine unglaubliche Detailtiefe beeindruckt - sowohl in technischen Fragen als auch das Genehmigungsverfahren betreffend.
Was haben Sie gedacht, als die EU-Kommission bekannt gegeben hat, Atom- und Gaskraftwerke auf die grüne Liste setzen zu wollen?
Gaskraftwerke sind nicht klimaneutral, können aber eine Übergangslösung sein, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Atomenergie ist ein Irrweg. Ich wünsche mir, dass die EU-Kommission deutlich macht, dass der Weg zur Klimaneutralität ein Weg der erneuerbaren Energien sein muss. Investitionen in neue Kernkraftwerke verzögern den Ausbau der erneuerbaren Energien um Jahrzehnte.
Sie waren acht Jahre lang Polen-Koordinator der Bundesregierung, geben dieses Amt jetzt ab. Der politische Umgang zwischen Berlin und Warschau ist schwieriger denn je. Was können Sie Ihrer Nachfolgerin, Ihrem Nachfolger auf dem Weg geben?
Der Kernauftrag des Koordinators ist, die Beziehungen in den grenznahen Regionen nach vorne zu bringen. Und dafür habe ich mich gerne acht Jahre lang im Ehrenamt eingesetzt. Und ich glaube, auch ganz erfolgreich. Wir sind auf einem sehr guten Weg, was den Infrastrukturausbau betrifft – die neue Bahnbrücke über die Oder bei Küstrin wird gebaut, die Bahnverbindung Berlin-Stettin wird deutlich beschleunigt. Beim deutsch-polnischen Jugendwerk sind wir noch nicht auf Augenhöhe mit dem deutsch-französischen Jugendwerk, aber wir sind auf einem guten Weg.
Was wirklich fehlt: Es gab jetzt drei Jahre lang keine sogenannten Regierungskonsultationen mehr. Mit Frankreich heißt das deutsch-französischer Ministerrat und findet jährlich statt. In Polen registriert man das sehr genau. Deswegen habe ich dem Bundeskanzler empfohlen, dass es auch diese deutsch-polnischen Regierungskonsultationen möglichst schnell wieder geben muss und dass sie umbenannt werden sollten in deutsch-polnisches Ministertreffen. Scheinbar nur ein Namenswechsel, der aber zeigt, dass uns Deutschen Polen genauso wichtig ist wie unsere Nachbarn im Westen.
Eine Langfassung dieses Interviews lesen Sie im Internetangebot der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“.