SPD-Chefin im RND-Interview

Saskia Esken: „Wir werden den Ausstieg aus der Kernenergie nicht revidieren“

SPD-Vorsitzende Saskia Esken bei einem Fototermin im Januar: „Mit Long Covid droht eine neue Volkskrankheit, die uns große Sorgen bereiten muss“.

SPD-Vorsitzende Saskia Esken bei einem Fototermin im Januar: „Mit Long Covid droht eine neue Volkskrankheit, die uns große Sorgen bereiten muss“.

Berlin. Frau Esken, in der Ampel-Koalition ist ein Streit entbrannt über die Nutzung der Atomkraft. Muss der Kanzler ein Machtwort sprechen?

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Es ist normal, dass man sich in einer Koalition erst einmal zusammensetzen muss, um strittige Fragen zu klären. Das gilt erst recht, wenn ein Thema in den Koalitionsverhandlungen gar nicht anstand.

Wie lösen Sie das? Streckbetrieb Ja, längere Laufzeiten Nein?

Deutschland hat vor mehr als 20 Jahren in einem großen gesellschaftlichen Konsens beschlossen, aus der Atomenergie auszusteigen. Dafür gab es gute Gründe und die bestehen fort. Atomkraft ist sehr teuer und mit hohem Risiko verbunden – zumal wir bis heute nicht wissen, wie und wo wir den Atommüll sicher entsorgen sollen. Wir werden den Ausstieg aus der Kernenergie nicht revidieren.

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Finanzminister Christian Lindner will die verbliebenen Kernkraftwerke angesichts der drohenden Energiekrise bis ins Jahr 2024 weiterlaufen lassen.

Aktuell läuft ein zweiter Stresstest, in dem die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf unsere Stromversorgung untersucht wird. Der erste Stresstest ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Versorgungssicherheit diesen Winter gewährleistet ist. Inwieweit das Ergebnis des zweiten Stresstests davon abweicht, werden wir sehen. Einen Weiterbetrieb der verbliebenen Kernkraftwerke bis 2024 oder gar darüber hinaus halte ich für abwegig.

Geht es der FDP Ihrer Ansicht nach allein um die Sache – oder auch um Profilierung gegenüber den Grünen?

Vielleicht ist das ja so eine Art Traumabewältigung bei der FDP. In der Zeit von Schwarz-Gelb haben Union und FDP den grün-roten Ausstieg aus der Atomenergie zurückgedreht. Dann kam Fukushima – und Schwarz-Gelb musste zurückrudern. Eigentlich sollte, wer sich einmal die Finger verbrannt hat, doch etwas gelernt haben. Diese Doppelvolte hat den Steuerzahler Milliarden Euro an Ausgleichzahlungen an die Konzerne gekostet. Und für die FDP ist diese Regierungszeit im Ergebnis ja auch nicht gerade erfolgreich ausgegangen.

Kanzler Olaf Scholz hat allen in Deutschland versprochen: „You’ll never walk alone“. Die Entlastung von Bürgern und Unternehmen, die die steigenden Energiepreise nicht schultern können, wird viel Geld kosten. Ist das ohne weitere Neuverschuldung überhaupt zu machen?

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Deutschland ist ein starkes Land. Wir werden diese Krise meisten – aber dazu müssen wir uns unterhaken und solidarisch sein. Für Verbraucherinnen und Verbraucher, insbesondere die mit den kleinen Geldbeuteln, gilt: Wir lassen Euch nicht im Stich. Und das gilt auch für Unternehmen mit energieintensiver Produktion, die ihre Einsparpotenziale erschöpft haben.

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Muss Lindner sich am Ende entscheiden: entweder ein nochmaliges Aussetzen der Schuldenbremse oder Steuererhöhungen für Vielverdiener und Vermögende?

Über das, was jetzt notwendig ist, werden wir über den Sommer intensiv diskutieren, nicht nur in den Medien, sondern auch in der Koalition. Bei dem, was wir von staatlicher Seite tun können, geht es ganz klar auch um Finanzierungsfragen.

Was bedeutet das konkret mit Blick auf die Schuldenbremse?

Die Schuldenbremse steht in der Verfassung – genauso wie die Regeln zu einer Ausnahme davon. Mit der Corona-Pandemie stecken wir in einer noch nicht überstandenen globalen Krise. Nun ist mit dem Krieg in der Ukraine und mit den daraus resultierenden Problemen in der Energieversorgung eine weitere Krise hinzugekommen. Gerade die Menschen mit geringen und mittleren Einkommen müssen wir in der aktuellen Situation weiter entlasten, doch der Finanzminister sagt, für weitere Entlastungen seien im Bundeshaushalt keine Mittel vorhanden. Für mich sind damit die verfassungsrechtlichen Grundlagen für eine erneute Ausnahme von der Schuldenbremse gegeben. Wir wollen beim Wohngeld Verbesserungen auf den Weg bringen und wir wollen das neue Bürgergeld zum 1. Januar 2023 einführen, das an die Stelle von Hartz IV tritt.

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Die Ampelkoalition hat sich vorgenommen, möglichst viele Leistungen antragslos auszuzahlen – dazu müssen aber erst einmal die technischen Voraussetzungen geschaffen werden.

Saskia Esken, SPD-Vorsitzende

Von einem verbesserten Wohngeld profitieren längst nicht alle. Auch Menschen mit mittleren Einkommen werden angesichts der gestiegenen Preise immer mehr Probleme haben.

Gerade deshalb wollen wir ja dafür sorgen, dass künftig mehr Menschen als jetzt Wohngeld bekommen, indem wir den Kreis der Berechtigten erweitern. Schon heute nehmen viele Menschen Leistungen wie das Wohngeld nicht in Anspruch, weil sie davon nichts wissen. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir im Zuge der Reformen noch einmal umfangreich zu den Leistungen des Sozialstaats informieren. Ohnehin hat die Ampelkoalition sich vorgenommen, möglichst viele Leistungen antragslos auszuzahlen – dazu müssen aber erst einmal die technischen Voraussetzungen geschaffen werden.

Stichwort Bürgergeld: Was machen Sie, wenn der Finanzminister sich nicht darauf einlässt, den Regelsatz in der Grundsicherung anders als bislang zu berechnen?

Der Finanzminister hat ja kein alleiniges Veto-Recht, auch nicht bei der Ausgestaltung des Bürgergelds. Zur Illustration der Problemlage: Zu Beginn des Jahres hatten wir eine Inflation von rund 6 Prozent, der Regelsatz in der Grundsicherung wurde aber nur um 0,6 Prozent angehoben. Das ist beschämend. Wir müssen und wir werden in der Koalition einen Weg finden, die Bemessung so zu verbessern, dass Menschen in der Grundsicherung auch in Zeiten hoher Inflation mit ihrem Geld über die Runden kommen und ein menschenwürdiges Leben führen können.

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Wie sehen Sie Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Konzertierten Aktion gefordert?

Weil auch nach einem Rückgang der Inflation die Preise hoch bleiben werden, ist für mich ganz klar: Die Löhne müssen spürbar steigen. Mit dem höheren Mindestlohn von 12 Euro erhöhen wir jetzt die Einkommen und verbessern das Leben von Millionen Beschäftigten und ihren Familien. Künftig ist es dann wieder Aufgabe der Mindestlohnkommission, dafür zu sorgen, dass die Entwicklung des Mindestlohns der allgemeinen Lohnentwicklung und der Preisentwicklung folgt. Wir brauchen aber auch höhere Tariflöhne – und über die Branchen hinweg wieder eine stärkere Tarifbindung. Derzeit agieren die Tarifparteien gerade einmal für die Hälfte der Beschäftigten – da müssen wir besser werden.

Zur Dauerkrise Corona: Was halten Sie von dem Vorschlag, auf die Isolationspflicht für Infizierte ohne Symptome zu verzichten?

Die Isolationspflicht für jene aufzugeben, die nicht oder nur milde erkranken, wäre meines Erachtens falsch. Eine symptomfreie Infektion bedeutet ja nicht, dass der Infizierte nicht ansteckend ist. Tatsächlich haben viele, die sich jetzt infizieren, einen milden Verlauf, aber durchaus Symptome. Ich selbst war eine Woche krank, aber mehr als zwei Wochen nachgewiesen positiv und damit ansteckend, und habe mich selbstverständlich über die gesamte Zeit isoliert, um niemanden zu gefährden. Mit der Aussetzung der Isolationspflicht würden wir ganze Belegschaften der kalkulierten Gefahr aussetzen, sich am Arbeitsplatz zu infizieren – das wäre unverantwortlich.

Lauterbach zu Corona-Maßnahmen: Derzeit „keinerlei Anlass, die Isolationsregeln zu verändern“
ARCHIV - 17.06.2022, Berlin: Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, spricht bei einer Pressekonferenz zur Corona-Lage im Sommer in der Bundespressekonferenz. (zu dpa: «Lauterbach empfiehlt vierte Corona-Impfung auch unter 60 Jahren») Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Gesundheitsminister Karl Lauterbach will zudem in Kürze ein neues Konzept zu Corona-Schutzregelungen für den Herbst präsentieren.

Wie groß ist Ihre Sorge, die Krise nicht in den Griff zu bekommen, angesichts der hohen Zahl der Infizierten?

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Wir registrieren ja schon hohe Infektionszahlen, müssen aber wegen der Dunkelziffer eher von der dreifachen Anzahl ausgehen. Die Hälfte dieser Menschen ist erwerbstätig. An allen Ecken und Enden fällt deshalb jetzt massenweise das Personal aus: In den Pflegeheimen, in den Krankenhäusern, in der Logistik, in den Verwaltungsbehörden, auch in den Fraktionen des Bundestags. Die hohe Zahl von Infizierten führt dazu, dass vielerorts die Arbeit nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr gut geleistet werden kann. Das ist angesichts des ohnehin bestehenden Arbeits- und Fachkräftemangels ein Riesenproblem.

Welche Belastungen kommen durch die Langzeitfolgen auf die Gesellschaft zu?

Zudem droht mit Long Covid eine neue Volkskrankheit, die uns große Sorgen bereiten muss. Für viele Betroffene ist mit einer Covid-Erkrankung eine langfristige Einschränkung der mentalen und der körperlichen Leistungsfähigkeit verbunden. Menschen aller Altersgruppen sind davon betroffen. Long Covid ist ein Problem für die Volksgesundheit, aber es wird auch ein Problem für die Volkswirtschaft. Ich bleibe deshalb dabei: Wir sollten auch weiterhin jede Infektion verhindern, die wir verhindern können.

Auf das nach dem Interview bekanntgewordene Treffen von Altkanzler Gerhard Schröder und Kremlchef Wladimir Putin ging Saskia Esken auf Nachfrage nicht mehr ein.

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