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Genossen endlich wieder einig?

Ein neuer Frühling in einer sehr alten Beziehung: die SPD und die Gewerkschaften

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht auf der DGB-Maikundgebung in Koblenz.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht auf der DGB-Maikundgebung in Koblenz.

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Koblenz/Köln/Berlin. Es gab nicht nur Applaus für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von den 2500 Zuhörerinnen und Zuhörern auf der Maikundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Koblenz. Auch Buhrufe und Pfiffe mischten sich darunter. Auch wenn sich der Kanzler und seine Partei der wiedererstarkten Arbeiterbewegung neu angenähert haben – eine gewisse Distanz bleibt.

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Diese Distanz war auch rheinabwärts in Köln zu spüren. Hier hielt der DGB seine zentrale Kundgebung ab, und Gewerkschaftschefin Yasmin Fahimi rief ihren Kolleginnen und Kollegen zu: „Diese Bundesregierung will anders sein? Dann wollen wir jetzt Taten sehen!“ Von der Bundesregierung verlangte sie, sich mehr um die Sorgen der Menschen wegen der hohen Energiepreise, steigender Mieten und fehlender Wohnungen zu kümmern. Bislang habe es auch von der SPD-geführten Regierung in Berlin zu viele Lippenbekenntnisse gegeben, sagte Fahimi. Bis zu ihrer Wahl zur Gewerkschaftschefin vor einem Jahr saß sie als SPD-Abgeordnete im Bundestag.

Unter anderem dürfe der Staat keine Aufträge mehr an Unternehmen vergeben, die ihre Beschäftigten nicht nach Tarif bezahlen, forderte sie. Damit wählte sie ein Thema, das die Ampelregierung bereits angeht, Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat ein Tariftreuegesetz bis zum Sommer angekündigt, Grünen-Chefin Ricarda Lang unterstützte ihn jetzt.

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Tarifbindung müsse wieder zunehmen

„Überall, wo der Staat als Auftraggeber auftritt, muss nach Tarif bezahlt werden“, sagte Lang dem „Tagesspiegel“. Dies solle beispielsweise für Dienstleister, Essenslieferanten und Lichttechniker bei Veranstaltungen der öffentlichen Hand gelten. In Zukunft dürfe kein staatliches Geld mehr für Lohndumping ausgegeben werden.

Lang beklagte, dass die Tarifbindung in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren um 20 Prozentpunkte gesunken sei. „Dabei ist die Tarifbindung ein starker Hebel, um das Aufstiegsversprechen zu erneuern und gute Arbeit zu garantieren. Wer nach Tarif arbeitet, verdient im Schnitt besser.“

Bei anderen Punkten sind sich weder SPD noch Gewerkschaften einig, etwa bei der Viertagewoche. Zuspruch dafür war von der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) gekommen: „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir mit einer Viertagewoche gute Ergebnisse erzielen.“ Gerade Eltern bräuchten flexiblere und geringere Arbeitszeiten, um familiäre Pflichten und Bedürfnisse besser organisieren zu können.

Heil wiederum hielt das nur „im Einzelfall“ für sinnvoll, sagte er SPD-Politiker am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. Er schränkte ein: „Ich kann mir das nicht vorstellen für alle Branchen.“

Gewerkschaften beanspruchen eigene Rolle beim Klimaschutz
Köln, 1.Mai, Tag der Arbeit, Mai Kundgebung, Demonstration, 01.05.2023 , Heumarkt Köln Yasmin Fahimi, DGB Vorsitzende *** Cologne, 1 May, Labor Day, May rally, demonstration, 01 05 2023 , Heumarkt Cologne Yasmin Fahimi, DGB Chairwoman

Bundesweit nahmen an den Kundgebungen der Gewerkschaften zum 1. Mai nach Schätzungen des DGB rund 288.000 Menschen teil.

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Mindestlohn müsse „kräftig steigen“

Die Anhebung des Mindestlohns, die Heil ins Spiel gebracht hat, findet wiederum Unterstützung in der Bundestagsfraktion. Die von der Mindestlohnkommission bis Ende Juni festzulegende Lohnuntergrenze müsse „kräftig steigen“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, dem RND.

Scholz ging in Koblenz weder auf die Viertagewoche noch auf den Mindestlohn ein, sondern sprach allgemein von „Respekt“ – und nahm anschließend die Industrie in die Pflicht.

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Arbeitslosigkeit „für viele, viele Jahre“ nicht das Problem

„Manche Betriebe suchen händeringend Fachkräfte, aber manche Betriebe bilden auch nicht aus“, beklagte Scholz. „Und deshalb hier und an dieser Stelle der Appell: Es sollen sich alle noch einmal zusammenreißen und alles dafür tun, dass die Zahl der Ausbildungsplätze in Deutschland weiter steigt.“

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In Deutschland werde es „für viele, viele Jahre, vielleicht für mehr als ein Jahrzehnt, nicht das Problem geben, dass wir kämpfen müssen gegen Arbeitslosigkeit“, sagte er. Gegen einen Arbeitskräftemangel aber „haben wir Rezepte, was man dagegen tun kann“.

Dieser 1. Mai hat gezeigt: Die SPD und die Gewerkschaften sind sich bei Weitem nicht in allen Punkten einig, auch innerhalb der Partei gibt es weiter Differenzen. Aber man hat eine sehr alte Beziehung wieder gehörig aufgefrischt.

mit Agenturmaterial


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