Scholz wirft Putin „furchtbare Schuld“ vor – Selenskyj besucht Front in Südukraine
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18.06.2022, Ukraine, Donezk: Ukrainische Soldaten feuern aus einer von den USA gelieferten Haubitze M777 auf russische Stellungen in der ostukrainischen Region Donezk. Der 115. Kriegstag im Überblick.
© Quelle: Efrem Lukatsky/AP/dpa
Kiew/Moskau. Russlands Präsident Wladimir Putin hat mit dem Angriff auf die Ukraine nach Überzeugung von Bundeskanzler Olaf Scholz „furchtbare Schuld“ auf sich geladen. Über seine Reise in das angegriffene Land sagte Scholz in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit der Deutschen Presse-Agentur, es sei „etwas anderes, wenn man die Zerstörungen mit eigenen Augen sieht und selbst spürt, dass an einem Ort konkret Menschen gestorben sind, dass in den Autos, die dort zerstört herumstehen, Familien saßen, die fliehen wollten und brutal erschossen wurden“.
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Der SPD-Politiker hatte am Donnerstag mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi und dem rumänischen Staatschef Klaus Iohannis die Ukraine besucht. Dabei machte er unter anderem in Irpin Halt, wo nach dem Abzug russischer Truppen Ende März knapp 300 teils hingerichtete Zivilisten gefunden worden waren.
Die Ukraine stellt sich auf einen länger andauernden Abwehrkrieg ein und peilt neue Verhandlungen mit Russland erst für Ende August an - nach ukrainischen Gegenangriffen. Die Situation für Zivilisten, die noch in der hart umkämpften Stadt Sjewjerodonezk ausharren, wird immer schwieriger. Es gibt kaum noch Wege aus der Stadt heraus.
Selenskyj besucht Südukraine
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat offiziellen Angaben nach weitere Frontregionen im Süden des Landes besucht - Mykolajiw und Odessa. Auf einem am Samstag erschienenen Video in seinem Telegram-Kanal ist zu sehen, wie Selenskyj Ruinen in der Stadt Mykolajiw in Augenschein nimmt und nach einer Lagebesprechung Orden verteilt.
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18.06.2022, Ukraine, Mykolajiw: Wolodymyr Selenskyj (r), Präsident der Ukraine, reicht einem Soldaten die Hand und zeichnet diesen mit einem Orden aus.
© Quelle: -/Ukrainian Presidential Press O
Unter anderem ist zu sehen, wie Selenskyj den Militärgouverneur des Gebiets Mykolajiw, Witali Kim, und den Bürgermeister Olexander Senkewitsch mit Orden auszeichnet. Kurz nach Kriegsbeginn hatten russische Truppen bei Cherson den Fluss Dnipro überschritten. In der Zeit schien auch das benachbarte Mykolajiw kurz vor dem Fall. Doch die ukrainischen Truppen konnten den russischen Vormarsch stoppen und teilweise sogar zurückdrängen. Derzeit laufen die Kämpfe entlang der Gebietsgrenzen zwischen Cherson und Mykolajiw.
Ukraine versenkt russisches Schiff
Russland hat durch Angriffe des ukrainischen Militärs angeblich erneut ein Schiff seiner Schwarzmeerflotte verloren. Der Schlepper „Wassili Bech“ sei von ukrainischen Raketen beschädigt worden. „Später wurde bekannt, dass er gesunken ist“, sagte der Militärgouverneur von Odessa, Maxym Martschenko, in einer Videoansprache auf seinem Telegram-Kanal. Eine Bestätigung von russischer oder unabhängiger Seite gibt es nicht. Den ukrainischen Angaben nach wurde das Schiff, das erst 2017 in Dienst gestellt und mit einem Luftabwehrsystem des Typs „Tor“ ausgestattet worden war, von Harpoon-Raketen getroffen. Die Schiffsabwehrraketen hatte Dänemark an die Ukraine geliefert.
Russische Truppen erzielen Geländegewinne bei Sjewjerodonezk
Die russische Armee hat Geländegewinne in der Nähe des schwer umkämpften Verwaltungszentrums Sjewjerodonezk erzielt, die einstige Großstadt selbst aber weiterhin nicht einnehmen können. „Durch den Beschuss und Sturm hat der Feind in der Ortschaft Metjolkine einen Teilerfolg erzielt und versucht sich dort festzusetzen“, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht am Samstagabend mit. Metjolkine liegt südöstlich von Sjewjerodonezk.
Die Kämpfe um Sjewjerodonezk selbst halten nach ukrainischen Angaben weiter an. Demnach beschießen die russischen Truppen das Verwaltungszentrum des Gebiets Luhansk im Osten der Ukraine mit schwerer Artillerie. Ein versuchter Sturm der ukrainischen Stellungen im Industriegebiet der Stadt sei aber gescheitert. Auch in Syrotyne, einem Dorf westlich von Metjolkine, blieben die russischen Sturmversuche erfolglos.
Debatte über EU-Perspektive für die Ukraine
Bundeskanzler Scholz betonte im dpa-Interview, die EU unterstütze die Ukraine seit Kriegsbeginn „sehr geschlossen und entschlossen“. Es sei klar, dass der Weg in die EU nicht einfach werde, sondern viele Anforderungen zu erfüllen seien. „Das betrifft Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, aber auch alle anderen Regeln, die wir uns in Europa miteinander gegeben haben“, sagte Scholz. Es gehe für die Ukraine um eine „Zukunftsperspektive – die Hoffnung auf eine europäische und demokratische Perspektive für die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine“. Beim kommenden EU-Gipfel wolle man dazu „einen einvernehmlichen Beschluss erreichen“.
Die EU-Kommission hatte sich am Freitag dafür ausgesprochen, die Ukraine und Moldau offiziell zu Kandidaten für den Beitritt zur Europäischen Union zu ernennen. Als nächstes sind die Staats- und Regierungschefs am Zug.
Die stellvertretende EU-Parlamentspräsidentin Katarina Barley warnte vor zu viel Tempo auf dem Weg der Ukraine in die Europäische Union. „Überstürzte Beitritte darf es nicht geben. Wer einmal in der EU ist, kann nicht ausgeschlossen werden“, sagte die SPD-Politikerin der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Scholz: Ukraine braucht schwere Artillerie und Munition
Nach Einschätzung von Bundeskanzler Scholz braucht die Ukraine für ihren Abwehrkampf gegen Russland derzeit schwere Artillerie und Munition „am dringendsten“. „Es geht auch um Schutz vor Angriffen aus der Luft mit Raketen“, sagte Scholz der dpa. Bei dem Treffen mit Selenskyj in Kiew sei es unter anderem darum gegangen, „wie Europa seinem Land jetzt weiter helfen kann“. Es sei ein „vertrauensvolles, kooperatives Gespräch“ gewesen.
Anreize zum Energiesparen
Als Anreiz zum Energiesparen angesichts stark gedrosselter Gaslieferungen aus Russland haben Politiker und Ökonomen Prämien für Verbraucher ins Spiel gebracht. Diese sollten gelten für Haushalte, die sparsam mit Gas umgehen. Scholz sagte der dpa auf die Frage, ob er über Maßnahmen nachdenke, mit denen man Energieeinsparungen auch in Privathaushalten erzwingen könnte: „Ich bin kein Anhänger davon, jetzt einzelne Maßnahmen zu diskutieren, bevor ein Gesamtkonzept vorliegt.“
Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sieht in der Drosselung der Gaslieferungen eine klare Strategie Russlands: „Russland liefert nun seit Tagen deutlich weniger Gas nach Deutschland und nach Europa. Das soll uns verunsichern und die Preise treiben.“
RND/dpa