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Demonstrationen gehen weiter

Serbische Botschafterin: „Wir sind jetzt im Kosovo in einer sehr gefährlichen Situation“

KFOR-Soldaten (vorne) und Kosovo-Polizisten bewachen ein städtisches Gebäude nach den gestrigen Zusammenstößen zwischen ethnischen Serben und Truppen der Nato-geführten KFOR-Friedenstruppe in der Stadt Zvecan im Norden des Kosovo.

KFOR-Soldaten (vorne) und Kosovo-Polizisten bewachen ein städtisches Gebäude nach den gestrigen Zusammenstößen zwischen ethnischen Serben und Truppen der Nato-geführten KFOR-Friedenstruppe in der Stadt Zvecan im Norden des Kosovo.

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Berlin. Im mehrheitlich von Serben bewohnten Norden des Kosovos gingen am Donnerstag die Proteste gegen die Einsetzung neuer albanischer Bürgermeister in Kommunalparlamenten weiter. Kundgebungen gab es erneut in den Orten Zvecan, Leposavic und Zubin Potok, die laut Nachrichtenportal Koha.net friedlich verliefen. Am Montag war es in Zvecan zu schweren Zusammenstößen mit 80 Verletzten zwischen Serben und der Nato-Schutztruppe KFOR gekommen, die die Amtseinführung der Bürgermeister und die Verwaltungsgebäude absicherte.

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Hintergrund der Unruhen sind die Kommunalwahlen vom April, die von der serbischen Bevölkerung komplett boykottiert wurden, sodass fast ausschließlich Kosovaren abstimmten und bei einer Wahlbeteiligung von 3,5 Prozent ihre Landsleute in die Ämter wählten. Die serbischen Amtsinhaber hatten im November 2022 die Kommunalparlamente aus Protest verlassen, weil der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti sich weigerte, die von den Serben gewünschte Bildung eines serbischen Gemeindeverbunds im Nordkosovo zu genehmigen.

Das Kosovo hatte sich 2008 für unabhängig erklärt. Serbien erkennt dies nicht an und setzt sich für eine Kompromisslösung ein. Zur aktuellen Situation sprach das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit der serbischen Botschafterin in Berlin, Snezana Jankovic.

Snezana Jankovic wurde 1970 in Smederevo (damals SFR Jugoslawien) geboren und ist seit Oktober 2019 serbische Botschafterin in Berlin.

Snezana Jankovic wurde 1970 in Smederevo (damals SFR Jugoslawien) geboren und ist seit Oktober 2019 serbische Botschafterin in Berlin.

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Frau Jankovic, die kosovarische Regierung in Pristina behauptet, dass die Unruhen im Nordkosovo von „Belgrad inszeniert“ worden sind und dass serbische Gewalttäter geschickt wurden. Was sagen Sie dazu?

Das ist natürlich nicht wahr. Es ist eine alte Taktik von Pristina, zu sagen, alle Serben im Nordkosovo sind Kriminelle und Gewalttäter. Tatsächlich geht es hier darum, dass die serbische Bevölkerung in Nordkosovo unter ständigen Bedrohungen lebt. Seit dem Amtsantritt von Albin Kurti im März 2021 gab es mehr als 350 ethnisch motivierte Vorfälle gegen die Serben im Nordkosovo. Unter den Demonstranten sind ganz normale Menschen wie Krankenschwestern, Lehrkräfte und Angestellte der Gemeinden, die für ihre Rechte kämpfen.

Ab es hat ja am Montag gewalttägige Ausschreitungen gegeben, es wurden Brandsätze, Flaschen und Steine auf KFOR-Soldaten geworfen.

Ja, das stimmt, aber das geschah nicht auf „Anweisung“ aus Belgrad. Im Gegenteil: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic hatte die Demonstranten öffentlich aufgefordert, ruhig zu bleiben und sich nicht in Konflikte mit KFOR-Soldaten treiben zu lassen. Es liegt überhaupt nicht in unserem Interesse, in einen Konflikt mit der Nato zu geraten. Aber es liegt offensichtlich im Interesse von Pristina, ein Bild zu präsentieren, dass Serben Gewalttäter sind. In Wirklichkeit geht es hier um eine große Unzufriedenheit der Serben wegen der Missachtung ihrer Rechte.

Wie kann die Lage beruhigt werden?

Wir sind jetzt in einer sehr gefährlichen Situation im Kosovo, die niemand zu 100 Prozent kontrollieren kann. Dieser Versuch der Regierung in Pristina, die von 3,5 Prozent der Stimmberechtigten gewählten albanischen Gemeindebürgermeister mit bewaffneter Polizei in ihren Ämtern in den Rathäusern zu installieren, löst große Emotionen aus. Für eine Deeskalation brauchen wir auch die Einsicht in Pristina, dass diese Bürgermeister dort nicht arbeiten können und dass man die bewaffneten Spezialkräfte wieder abziehen muss.

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Auch wenn die Wahlbeteiligung extrem niedrig war – die albanischen Bürgermeister sind nun einmal gewählt.

Die Serbische Liste und die gesamte serbische Bevölkerung haben diese Wahlen boykottiert. Der Grund war, dass die Serben seit zehn Jahren auf die Umsetzung des Brüsseler Abkommens von 2013 warten, das vorsieht, im Nordkosovo einen serbischen Gemeindeverbund zu bilden. Die Assoziation von serbischen Gemeinden würde eine gewisse Autonomie gewährleisten, was Kultur, Bildung, wirtschaftliche Entwicklung oder Gesundheitswesen betrifft. Obwohl Pristina dieses Abkommen unterschrieben hat, ist es bis heute nicht umgesetzt.

Im Jahr 2022 geschah es zum ersten Mal in der Geschichte, dass die Serben, die im Kosovo leben, nicht an den serbischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen teilnehmen konnten, weil Pristina es nicht zugelassen hat. Serben, die in Deutschland oder Frankreich leben, können ganz selbstverständlich wählen. Im Kosovo war das nicht möglich, und das galt auch für die Teilnahme an einem Referendum über die Justizreform in Serbien. Das ist auch ein Grund, weshalb die Serben die von Pristina organisierten Bürgermeisterwahlen boykottiert haben.

Das heißt, die Serben erkennen diese albanischen Bürgermeister nicht an.

Nein, sie haben keine Legitimität. 97 Prozent der serbischen Bevölkerung – wir sprechen hier über etwa 45.000 Menschen – haben nicht abgestimmt. Sie verlangen, dass diese Bürgermeister wieder abgezogen werden.

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Die Sache erscheint völlig festgefahren, wie soll es nun weitergehen?

Wir sehen, dass jetzt erstmals auch vonseiten des Westens der Versuch, diese Bürgermeister zu installieren, verurteilt wurde. Die USA haben beschlossen, dieses Verhalten Pristinas auf irgendeine Weise zu sanktionieren. Wir spüren seit einiger Zeit, dass Deutschland, Frankreich und die gesamte EU Druck auf Pristina ausüben, den serbischen Gemeindeverbund zuzulassen. Die serbische Bevölkerung ist nicht bereit, noch weitere zehn Jahre darauf zu warten. Die Menschen verlangen etwas, was ihnen 2013 versprochen wurde.

Als ersten Schritt verlangen wir von Albin Kurti, die Polizeikräfte im Nordkosovo abzuziehen und dass die Bürgermeister die Gemeindezentren verlassen. Das ist notwendig, um die Situation schnell zu entschärfen.

Was halten Sie von der Ankündigung der KFOR, ihre Truppen noch einmal aufzustocken?

Es tut uns sehr leid, dass es zu diesen Ausschreitungen kam, bei denen auch KFOR-Soldaten verletzt wurden. Die Rolle der KFOR ist für die serbische Bevölkerung sehr wichtig. Ohne die internationale Schutztruppe wäre die Lage der Serben im Kosovo noch viel schlechter. Die Soldaten schützen unsere Klöster, zum Beispiel das Visoki Decani, ein mittelalterliches serbisch-orthodoxes Kloster im Kosovo, das zur Unesco-Liste des gefährdeten Erbes der Welt gehört. Wir haben uns immer für die Verlängerung des Mandats der KFOR eingesetzt.

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Wir erwarten von der KFOR aber auch, dass sie die Rechte der Serben schützt. Sie hätte ein solches Szenario eigentlich verhindern müssen, dass albanische Bürgermeister von kosovarischer Spezialpolizei eskortiert in serbische Rathäuser einziehen. Wir erinnern uns immer noch an ein Pogrom im Jahr 2004, bei dem die Albaner trotz KFOR-Präsenz in zwei Tagen mehr als 4000 Serben und Angehörige anderer Ethnien vertrieben und über 800 serbische Häuser zerstört haben. So etwas möchten wir nicht noch einmal erleben.

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Vom 12. bis zum 23. Juni wird über Deutschland ein gigantisches Manöver von Nato-Luftstreitkräften stattfinden. 239 Flugzeuge aus 25 Nationen nehmen teil. Das könnte nicht nur für Turbulenzen im Luftverkehr sorgen. Friedenaktivisten organisieren bereits Proteste, Rechte wittern die Verschwörung.

Die EU hat Serbien schon vor 20 Jahren die EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. Haben Sie noch Hoffnung?

Wir bleiben auf unserem europäischen Weg, setzen unsere Reformen fort und hoffen, bald konkrete Fortschritte zu erreichen, die auch anerkannt werden. Aber es ist kein Geheimnis, dass der Prozess schon sehr lange dauert. Wir sind schon seit zehn Jahren Beitrittskandidat. Die Menschen sind ein bisschen enttäuscht, nicht nur in Serbien, sondern auf dem gesamten Westbalkan. Aber wir sind auch sehr dankbar und schätzen es sehr hoch, dass die deutsche Regierung, und speziell Kanzler Olaf Scholz, sich dafür engagieren, diesen Prozess zu beschleunigen.

Serbien hat die 2008 ausgerufene Unabhängigkeit Kosovos bis heute nicht anerkannt – wird es jemals dazu kommen?

Wir sind im Dialog mit Pristina. Ziel ist die Normalisierung der Beziehungen. Wir wollen keine Konflikte in der Region. Wir wollen eine Lösung des Problems. Aber wir halten uns fest an die Prinzipien des Völkerrechts und an die UN-Charta. Und deswegen sind wir der Meinung, dass das Prinzip der Unverletzlichkeit, der Souveränität und territorialen Integrität aller Länder wichtig ist und dass das auch für Serbien gelten muss.

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