Jugendgewalt: Hinschauen statt Populismus
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Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk. Nach Angriffen auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht hat die Diskussion um Konsequenzen begonnen.
© Quelle: Julius-Christian Schreiner/TNN/d
Berlin. Die Silvesterkrawalle waren eine „Zäsur“ für Berlin, sagt die Hauptstadtregierende Franziska Giffey nach dem von ihr einberufenen „Gipfel gegen Jugendgewalt“. Das klingt, als ob Ausschreitungen, Brandstiftungen und Angriffe auf Einsatzkräfte etwas Neues wären für Berlin. Neu ist nur die wieder erwachte Aufmerksamkeit. In einem Monat wird in Berlin gewählt, und Giffey muss alles dafür tun, den Eindruck zu vermeiden, als würde ihrem rot-rot-grünen Senat wegen Unfähigkeit die Stadt abbrennen.
Bisher macht sie ihre Sache gut, und die politischen Gegner machen es ihr zusätzlich leicht. Ein eilig einberufener „Gipfel“ mit Landes- und Bezirkspolitikern, Polizei, Justiz und Sozialarbeit war natürlich mehr Show als Lösung. Wie immer gilt das Reiz-Reaktions-Schema der städtischen Brennpunkte – im Wortsinne: Eine Randalenacht und die ganze Republik redet über jahrelange Versäumnisse, die jetzt möglichst in wenigen Wochen repariert werden sollen.
Die Zahl der Tatverdächtigen sinkt – die Respektlosigkeit steigt
Giffey ist klug genug, das nicht zu versprechen. Jugendarbeit ist mühevoll und multidimensional: Sozialarbeit in den Schulen, in den Jugendclubs und auf den Straßen gehört ebenso dazu wie eine funktionierende Justiz und eine Polizei, die ihre Pappenheimer kennt.
So lange es Jugendliche gibt, klagen die Älteren über ihre Respektlosigkeit und Delinquenz. Und gerade in Berlin sind Angriffe auf die Polizei, brennende Barrikaden und andauernde Debatten um „rechtsfreie Räume“ schon Teil der Stadtfolklore. Statistiken zeigen eher einen Rückgang der Anzahl der jugendlichen Tatverdächtigen bei schweren Straftaten. Doch gleichzeitig mehren sich die Klagen über Entgrenzung und steigende Respektlosigkeit.
Angriffe auf Sicherheitskräfte: Berliner Polizei zieht Bilanz nach Silvesternacht
Die Angriffe auf Polizei, Feuerwehr und Verkehrsteilnehmende hatten eine Intensität, die man aus den Vorjahren so noch nicht gekannt habe.
© Quelle: Reuters
Merz‘ Populismus, Giffeys Realismus
Neu ist an der Debatte der vergangenen Tage nur der Unterton, den sie von rechts verpasst bekommt. CDU-Chef Friedrich Merz schwadroniert von „kleinen Paschas aus dem arabischen Raum“ und meint: Wer seine Chancen nicht nutzt und sich nicht an die Regeln hält, habe „in diesem Land nichts zu suchen“.
Merz‘ blanker Populismus macht es seinen politischen Gegenspielern wie Giffey einfacher als nötig. Sie kann die simplen und richtigen Sätze sagen: „Das sind Berliner Kinder. Das sind Kinder und Jugendliche, die hier zu Hause sind. Und unser Job ist, dass wir uns um sie kümmern.“
Diesen Job hat die Politik nicht nur in Berlin in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt. Und im Schlaglicht der Silvesterkrawalle kommen nun all die kleinen Versäumnisse zu Tage, die zusammen zum großen Knall führen. In der notorischen High-Deck-Siedlung in Neukölln, wo in der Neujahrsnacht ein Reisebus brannte, suchen Träger seit Jahren vergeblich nach Räumen für die Jugendarbeit – obwohl viele Häuser dort landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gehören.
Kein „Hurensohn“ mehr in der Grundschule
Nein, Deutschland hat (noch) keine „Banlieues“ wie Frankreich, nur eine gewisse Angstlust in der Debatte. Und allzuoft keine Wertschätzung für die Mühen der Jugendarbeit, die Respekt und klare Regeln vermitteln soll.
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Die Corona-Jahre haben gerade in den schwierigen Vierteln die Problemlagen noch einmal massiv verschärft. Als alle Betreuungsangebote wegbrachen, gab es nur noch die Straße oder die beengte Wohnung, in der die Konflikte in den Familien eskalierten. Wut und Gewalterfahrungen stauten sich an und beginnen sich nun zu entladen. Es ist höchste Zeit, dass hingeschaut und gehandelt wird.
Es müsse aufhören, dass „Hurensohn“ ein gängiges Schimpfwort unter Grundschulkindern sei, meint Giffey. Das mag ein frommer Wunsch sein und es ist sicherlich ein langer Weg. Aber wenn das Ziel ist, gegenseitig Respekt zu üben, ist der Gedanke nicht falsch: Es fängt im Kleinen an.