SPD-Außenpolitiker Schmid: „Erdogan hat die Hälfte der Türken gegen sich“
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Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid, hier bei einer Rede im Bundestag im Jahr 2022.
© Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress
Berlin. Mit seiner Wiederwahl wird Staatspräsident Erdogan für fünf weitere Jahre im Amt bleiben. Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, spricht im Interview über die Aussichten der Türkei auf einen EU‑Beitritt und über mögliche Fehler des Oppositionskandidaten Kilicdaroglu.
Herr Schmid, wie bewerten Sie den erneuten Sieg Erdogans bei der Türkei-Wahl?
Es ist ein beachtlicher Erfolg der Opposition, dass Erdogan nur so knapp gewonnen hat. Dies gilt umso mehr angesichts der unfairen Bedingungen im Wahlkampf. Dazu gehörte die massive Präsenz Erdogans in staatlich kontrollierten Medien. Das war unlauterer Wettbewerb. Aber das Wahlergebnis zeigt: Erdogan hat die Hälfte der Türken gegen sich. Das müsste ihm zu denken geben.
Gehen Sie davon aus, dass Erdogan seine Politik ändert?
Sinnvoll wäre das. Aber es ist kaum zu erwarten, dass sich Erdogans Politik ändert. Er hat die Macht stark auf sich konzentriert, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit abgebaut und er zerstört die Wirtschaft des Landes. Zeichen für ein Umdenken sind leider nicht erkennbar.
Wie sollten Deutschland und die EU auf die Wahl reagieren?
Ein Sieg der Opposition hätte Schwung in die Türkei gebracht und auch in die türkisch-europäischen Beziehungen. Wenn Erdogan so weitermacht wie bisher, ist eine enge Partnerschaft weiter nicht möglich. Wir müssen aber weiter mit ihm im Gespräch bleiben, unter anderem zu den Themen Syrien und Migration. Wichtig ist auch, dass sich die türkisch-griechischen Beziehungen entspannen. Wir müssen alles dafür tun, dass es nach der Wahl in Griechenland zu konstruktiven Gesprächen zwischen beiden Ländern kommt.
Die CSU fordert den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen. Wäre das der richtige Schritt?
Solange es in der Türkei keine Fortschritte bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gibt, liegt der EU‑Beitrittsprozess weiter auf Eis. So steht es auch im Koalitionsvertrag. Ein Abbruch des EU‑Beitrittsprozesses wäre ein Schlag ins Gesicht der Opposition und aller derer, die darauf setzen, irgendwann wieder in einer demokratischeren Türkei leben zu können. Die geringen Spielräume für den politischen Wettbewerb müssen weiter offengehalten werden – in der Türkei, aber auch durch Zeichen von außen.
Hat der Oppositionskandidat Kilicdaroglu einen Fehler gemacht, indem er zuletzt stark auf die nationalistische Karte setzte und etwa die Abschiebung aller syrischen Flüchtlinge forderte?
Zunächst mal hat die Opposition etwas geschafft: Erstmals seit 20 Jahren hat sie sich aus dem Schwitzkasten der Identitätspolitik befreit und ist offensiv inklusiv aufgetreten, statt einzelne Bevölkerungsgruppen in den Blick zu nehmen. Der taktische Schwenk vor der Stichwahl ist zwiespältig – und es ist unklar, ob er mehr genützt oder geschadet hat. Aber der Inklusionsgedanken wird auch für künftige Wahlen bleiben. Das ist entscheidend.