Truppenbesuch und symbolische Unterstützung: Steinmeier reist nach Estland
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/RQLUXYQTVFHRXDU33SUYLI6TWU.jpg)
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
© Quelle: IMAGO/BeckerBredel
Berlin. Es ist nicht sein erster Besuch an der Nato-Ostflanke und in einem Land, das sich von seinem Nachbarn Russland akut bedroht fühlt, und es wird nicht sein letzter sein: Gerade hat die bisherige Ministerpräsidentin Kaja Kallas ihre Wiederwahl mit einem stramm prowestlichen Anti-Russland-Kurs überragend klar gewonnen, da besucht der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das baltische EU-Mitglied Estland – bis 1991 Sowjetrepublik, seit 2004 Nato-Mitglied. Stimmen, die dieser Tage der Nato-Ostausdehnung eine Teilschuld an Russlands Angriff auf die Ukraine geben, meinen damit also Länder wie Estland.
Auch deshalb darf Steinmeiers Reise an die Nato-Ostflanke als gezieltes Symbol verstanden werden: Wenn er an diesem Mittwoch in der Hauptstadt Tallinn den estnischen Staatspräsidenten Alar Karis und am Donnerstagmorgen dann Ministerpräsidentin Kaja Kallas zu politischen Gesprächen treffen wird, wird das deutsche Staatsoberhaupt der Baltenrepublik starke Partnerschaft und volle Bündnissolidarität zusichern.
Die Bundeswehr unterstützt seit 2014 für mindestens vier Monate im Jahr die Nato-Mission vor Ort: Weil Estland, Lettland und Litauen keine eigene Luftverteidigung haben, wird diese von den Partnern übernommen. Deutsche Kampfflieger sind allein seit August vorigen Jahres zu 27 Alarmstarts über dem Baltikum aufgestiegen, erklärte die Luftwaffe gerade. Dabei hätten die deutschen Besatzungen in ihren Eurofighter-Kampfflugzeugen russische Militärmaschinen über der Ostsee identifiziert.
Eine Art Abschiedstour für Generalinspekteur Zorn
Auch das deutsche Kontingent auf der estnischen Luftwaffenbasis Ämari wird Steinmeier besuchen: Mehr als vier Stunden – ungewöhnlich lang für einen präsidentiellen Feldbesuch – wird er dort mit der Kontingentführung und den Soldaten sprechen (und speisen). „Der Bundespräsident würdigt damit den langjährigen Beitrag der Luftwaffe im Rahmen der integrierten Nato-Luftverteidigung und möchte sich über die aktuellen Einsatzbedingungen an der Nato-Ostflanke informieren“, hieß es dazu vorab aus dem Bundespräsidialamt.
Zu Steinmeiers Delegation wird auch der scheidende Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, gehören – auf einer Art Abschiedstour, denn der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will ihn im Zuge seiner Neuaufstellung der Truppe abberufen. Auf estnischen Wunsch wird Steinmeier zudem das Verteidigungsministerium besuchen, wo er den Staatssekretär Kusti Salm sprechen wird.
Für den Bundespräsidenten sind die Besuche im Baltikum besonders wichtig – auch, weil der Bundeskanzler und die Außenministerin zu volle Terminkalender haben, um die deutsche Präsenz so zu zeigen, wie es aus deutscher Sicht seit Kriegsbeginn nötig ist. Seit dem Beginn des vorigen Jahres war Steinmeier zweimal in Lettland und je einmal in Litauen, Polen, der Slowakei, Rumänien und im Oktober dann auch in der Ukraine.
Steinmeier rückte früh klar von Russland ab
Wenige deutsche Politiker verkörpern die Zeitenwende in der deutschen Russland-Politik so sehr wie Frank-Walter Steinmeier. Als langjähriger Außenminister unter Bundeskanzlerin Angela Merkel vertrat der damalige Sozialdemokrat aus voller Überzeugung die Politik der Einbindung und Annäherung gegenüber Russland. Noch zwei Jahre nach Putins Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel warnte er die Nato vor „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“, weil sie Militärmanöver und Truppenstationierungen in Osteuropa betrieb. Fotos davon, wie er seinem durch unzählige Verhandlungsrunden und Treffen bestens bekannten russischen Amtskollegen den Arm tätschelt, wurden nach Russlands Angriff auf die Ukraine von seinen Kritikern genüsslich herumgereicht.
So sehr er selbst stets betonte, dass er diesen guten Kontakt in den Kreml immer nur zum Zwecke des Ausgleichs, der Friedensvermittlung, gerade gegenüber der Ukraine, genutzt habe, in deren Sinne er ja einer der führenden Architekten der Minsker Abkommen gewesen sei, so stark weicht das Bild des heutigen Bundespräsidenten in der Ukraine doch davon ab. Die aktive Ausladung von seinem ersten Anlauf eines Kiew-Besuchs und das vergiftete Verhältnis zum damaligen ukrainischen Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, zeigten ihm das schmerzhaft deutlich.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EZHJQQG67RD4LOGG3ATC7MQUTQ.jpg)
Hauptstadt-Radar
Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Berliner Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Dabei war Steinmeier als Bundespräsident zugleich einer der Ersten, die klar von Russland abrückten, als die Lage in der Ukraine Ende 2021 zu eskalieren begann: Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) US-Warnungen vor einer russischen Invasion in die Ukraine noch herunterspielte, an Nord Stream 2 festhielt und seine Putin-Gespräche zur Abwendung eines Krieges noch für erfolgreich hielt, da griff Steinmeier bei seiner Antrittsrede nach der Wiederwahl in eine zweite Amtszeit bereits zu drastischen Worten: „Präsident Putin: Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine!“, rief er zwei Wochen vor Kriegsausbruch. „Und suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt!“
Und es war sogar noch früher, nämlich fünf Monate vor Kriegsbeginn, als Steinmeier die drei baltischen Staatsoberhäupter zu einem Mittagessen in Berlin empfing und mit Blick auf die wachsenden militärischen Spannungen an der Ostgrenze der Nato warnte: „Kaum ein Tag vergeht, ohne dass russische Militärflugzeuge über der Ostsee aufsteigen. Immer öfter verletzten Kampfjets dabei auch den Luftraum ihrer Länder“, kritisierte er Putins Provokationen – und warnte ihn: „Wer die baltischen Staaten bedroht, der bedroht das gesamte Nato-Bündnis, der bedroht Deutschland.“
Schon damals war für Estland Ministerpräsidentin Kallas angereist, und auch zur Vorgängerin des heutigen Staatspräsidenten, Steinmeiers frühere Amtskollegin Kersti Kaljulaid, pflegt er ein enges Verhältnis. Er wird seine Reise nutzen, um sie bei einem Empfang der deutschen Botschafterin am Mittwochabend für ihren Einsatz für die deutsch-estnischen Beziehungen, aber auch für ihren proeuropäischen Kurs mit dem Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland auszuzeichnen.