Zwei Wochen vor Start

Streit um das 9-Euro-Ticket: Wird das Projekt zum Milliardenpoker?

15.05.2022, Niedersachsen, Hannover: Ein Fahrkartenautomat der Deutschen Bahn steht im Hauptbahnhof. Bei der Deutschen Bahn können Verbraucherinnen und Verbraucher das sogenannte 9-Euro-Monatsticket ab dem 23. Mai kaufen - vorausgesetzt Bundestag und Bundesrat stimmen dem Vorhaben zu.

15.05.2022, Niedersachsen, Hannover: Ein Fahrkartenautomat der Deutschen Bahn steht im Hauptbahnhof. Bei der Deutschen Bahn können Verbraucherinnen und Verbraucher das sogenannte 9-Euro-Monatsticket ab dem 23. Mai kaufen - vorausgesetzt Bundestag und Bundesrat stimmen dem Vorhaben zu.

Berlin . Gut zwei Wochen vor dem geplanten Start ringen Bund, Länder und die Branche um die Finanzierung der 9-Euro-Monatstickets für Busse und Bahnen. Parallel zu den Vorbereitungen der Anbieter vor Ort müssen Bundestag und Bundesrat das entsprechende Gesetz noch in dieser Woche besiegeln. Verkehrsunternehmen und Länder fordern aber weitergehende finanzielle Absicherungen vom Bund, auch über die dreimonatige Sonderaktion hinaus. Denn es handelt sich um ein „großes Experiment“, wie Branchenvertreter am Montag in einer Anhörung im Bundestag deutlich machten. Verkehrspolitiker der Ampel-Koalition wandten sich gegen Blockadedrohungen aus den Ländern.

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Der Zeitdruck ist groß: Ab 1. Juni sollen die Billigtickets gelten, die Teil eines milliardenschweren Entlastungspakets für die Bürger wegen der hohen Energiepreise sind. Konkret sollen sie im Juni, Juli und August bundesweit Fahrten im Nah- und Regionalverkehr für je 9 Euro im Monat ermöglichen - viel günstiger als normale Monatskarten. Schon ab 23. Mai soll der Verkauf bei der Bahn und anderen Anbietern losgehen. Natürlich nur, wenn die politischen Weichen gestellt sind.

Im Gesetz geht es nicht um die praktische Ausgestaltung, sondern nur ums Geld. Genauer gesagt, um Extra-Geld über die zehn Milliarden Euro hinaus, die der Bund in diesem Jahr regulär für den öffentlichen Nahverkehr an die Länder überweist. Als Ausgleich für Einnahmeausfälle durch das 9-Euro-Ticket soll es 2,5 Milliarden Euro mehr geben. Das entspricht dem Drei-Monats-Anteil, also einem Viertel der erwarteten Ticketeinnahmen von zehn Milliarden Euro in diesem Jahr. Die Länder sollen auch die neun Euro pro Ticket behalten können. Daneben will der Bund 1,2 Milliarden Euro geben, um Verluste in der Corona-Krise auszugleichen, in der Kunden ausblieben.

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Diese insgesamt 3,7 Milliarden Euro reichen den Ländern aber nicht. Einige drohten schon mit einem Nein im Bundesrat. Auf den letzten Metern ist damit noch ein Milliardenpoker eröffnet. In einer Experten-Anhörung des Verkehrsausschusses machten am Montag auch Verkehrsanbieter Druck für zusätzliche Finanzzusagen. Denn neben Einnahmeausfällen werde absehbar ein Mehraufwand im Betrieb entstehen - etwa für zusätzliches Personal und Fahrzeuge, erklärte der Bundesverband Schienennahverkehr als Organisation der regionalen Verkehrsverbünde. Das werde „ein gigantischer Akt“, sagte Vize-Geschäftsführer Robert Dorn.

Bund soll finanzielles Risiko voll tragen

Der Verband der Verkehrsunternehmen erläuterte, es werde mit ungefähr 30 Millionen Nutzern pro Monat für das Sonderticket gerechnet, dies sei aber nur eine Schätzung. Es wäre gut, wenn der Bund alle Kosten auch für das „Prognoserisiko“ übernähme, sagte Geschäftsführer Jan Schilling. Die Frage sei zudem, was danach passiere. Die neun Euro seien so unschlagbar günstig, dass es natürlich einen Preissprung geben werde. Und zugleich würden Diesel für Busse und Strom für Bahnen teurer. Darauf unternehmerisch mit deutlichen Preiserhöhungen zu reagieren oder das Angebot herunterzufahren, sei aber auch nicht geboten. Das stünde dem erhofften „Klebe-Effekt“ entgegen, viele Nutzer des 9-Euro-Tickets zu Dauerkunden zu machen.

Verkehrsbranche warnt: Mögliche Kostenfalle beim 9-Euro-Ticket

Während die Einen über die Einführung des 9-Euro-Tickets zum 1. Juni jubeln, macht sich der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen Sorgen.

Überhaupt fällt die Aktion in die grundlegende Debatte, den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) für mehr Klimaschutz mit attraktiveren Angeboten deutlich voranzubringen. Ziel müsse sein, die Zahl von 24 Millionen täglichen Nutzern aus der Vor-Corona-Zeit bis 2030 zu verdoppeln, sagte der Verkehrsexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Jens Hilgenberg, in der Anhörung. Daher dürfe es nun nicht nur zu einem „Strohfeuer“ kommen. Nötig seien dauerhafte Verbesserungen des Angebots vor allem auf dem Land. Wo jetzt kein Bus fahre, werde ja auch durch das verbilligte Ticket keiner fahren.

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Die Ampel-Koalition im Bundestag wandte sich gegen Blockade-Drohungen aus den Ländern. „Durch die Erhöhung der Regionalisierungsmittel werden die Länder in die Lage gebracht, dieses Vorhaben umzusetzen“, sagte FDP-Verkehrsexperte Bernd Reuther der Deutschen Presse-Agentur. „Es gibt daher keinen Grund, dass das vergünstigte Ticket im Bundesrat scheitert.“ SPD-Expertin Dorothee Martin verwies auf eine schon begonnene allgemeinen Qualitäts- und Zukunftsdebatte für den ÖPNV. Nun freuten sich viele Menschen auf das Ticket. Es sei eine große Kraftanstrengung für die Länder und die Verkehrsunternehmen. Ein Scheitern wäre aber kontraproduktiv und würde dem ÖPNV schaden.

Niedersachsens Verkehrs- und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Nach wie vor unterstützt das Land Niedersachsen das Neun-Euro-Ticket und wird alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, um es erfolgreich umzusetzen. Wir sind uns aber mit den anderen Ländern einig, dass der Bund bei der Finanzierung nachbessern muss: Neben dem ÖPNV-Rettungsschirm und der reinen Finanzierung des Neun-Euro-Tickets muss ein dritter Finanzierungsbaustein für die gestiegenen Energie- und Betriebskosten der Verkehrsunternehmen, den die Länder mit 1,5 Milliarden Euro für 2022 beziffert hatten, aufgenommen werden. Ebenso muss es eine Nachschusspflicht geben – für den Fall, dass das Ticket mehr als 2,5 Milliarden Euro kostet. Zudem sollte der Bund einen früheren Auszahlungszeitpunkt der Bundesmittel festlegen.“

RND/dpa/jps

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