Gedenken in Berlin beginnt ruhig – Gericht verbietet russische Fahnen
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Eine rote Fahne weht am 8. Mai am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park in Berlin im Wind.
© Quelle: Getty Images
Berlin. Vor dem Wind sind sie alle gleich, die Polizisten, die Demonstranten, die Journalisten und die Touristen, die gegen 12 Uhr Mittag über das Gelände des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park in Berlin schlendern. „Hat bestimmt zu viel Windwiderstand“, murmelt ein Mann um die 60, der auf einer Bank sitzt und ein Pappschild mit der Aufschrift „SPASIBO“ – russisch für „Danke“ – mit Draht an einem Stab befestigt. „Aber man kann‘s ja mal versuchen.“
Ein paar Meter weiter haben russische Oppositionelle ein Banner aufgestellt, auf dem sie über politische Gefangene im heutigen Russland informieren. Fast wie ein Segel wölbt es sich im Wind; damit es nicht davonfliegt, haben sie das Banner mit einem schweren Stein befestigt, wie man sie von Baustellenzäunen kennt. Nur einem sind die Böen gewogen: Dem Mann mit der roten Flagge, die heroisch im Wind flattert, fotografiert von Dutzenden Kameras, für die er bereitwillig posiert.
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„SPASIBO“, Russisch für „Danke“, steht auf einem Pappschild, das ein Mann beim Gedenken an die Befreiung vom Nationalsozialismus im Treptower Park in der Hand hält.
© Quelle: Getty Images
Die Treppe zur zwölf Meter hohen Soldatenstatue, dem Epizentrum der Gedenkanlage, laufen zur Mittagszeit Menschen mit Blumen in den Händen hoch und ohne die Blumen wieder herunter. Unter ihnen sind auch zwei Frauen. Die jüngere hält der älteren ein Smartphone ans Ohr, aus dem militärischer Chorgesang plärrt. „Russische Kriegslieder“, sagt sie. Original aus Kriegszeiten, fügt sie noch hinzu.
Streit um Fahnenverbote
In Berlin wird am 8. und 9. Mai an mehreren Orten des Siegs der Alliierten und der Befreiung vom Nationalsozialismus 1945 gedacht. Wie schon im vergangenen Jahr steht dieses Gedenken auch im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Erneut hatte die Berliner Polizei am vergangenen Freitag sowohl ukrainische als auch russische und sowjetische Fahnen und Symbole, die im Zusammenhang mit dem Krieg stehen, im Umfeld dreier sowjetischer Ehrenmale verboten. Das Verwaltungsgericht Berlin kippte das Verbot zunächst in zwei Eilentscheidungen.
Am Montagnachmittag entschied das Oberverwaltungsgericht dann, dass zumindest russische und sowjetische Fahnen, sowie sogenannte „Sankt-Georgs-Bänder“ am 9. Mai im Umfeld der Ehrenmale verboten bleiben. Besonders die Erlaubnis, „Sankt-Georgs-Bänder“ zu zeigen, wurde unter anderem von ukrainischen Organisationen stark kritisiert: Zwar stehen die orange-schwarzen Bänder auch in Zusammenhang mit dem russischen Gedenken an den Kampf gegen den Nationalsozialismus. In den vergangenen Jahren dienten sie allerdings vor allem zur Bekundung der Unterstützung der russischen Armee – auch im Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Der erste Senat des Oberverwaltungsgerichts begründete seine Entscheidung am Montag damit, dass die Prognose der Polizei zutreffe, dass die Symbole angesichts des fortdauernden Angriffskrieges gegen die Ukraine geeignet seien, Gewaltbereitschaft zu vermitteln. „Denn sie könnten im aktuellen Kontext jedenfalls als Sympathiebekundung für die Kriegsführung verstanden werden. Die offenbar gezielte Intensivierung der russischen Luftangriffe auf die Ukraine und ihre Zivilbevölkerung am heutigen Tage trage zu einer weiteren Verschärfung der Konfliktlage bei und zeige, dass eine Trennung des Gedenkens des Kriegsendes und des erneuten Kriegsgeschehens in der Ukraine nicht möglich sei“, hieß es in einer Mitteilung des Gerichts.
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Polizisten blicken auf die gigantische Statue eines Sowjetsoldaten im Treptower Park in Berlin.
© Quelle: Getty Images
Noch ruhiger als im Treptower Park ist es am Montagmittag am Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten. Im vergangenen Jahr hatte der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hier des Kriegsendes gedacht. Rund um das Ehrenmal kam es zu lautstarken Wortgefechten zwischen Unterstützern der Ukraine und Russlands vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine.
Ukrainischer Botschafter verzichtet auf Besuch am Sowjetischen Ehrenmal
Melnyks Nachfolger Oleksij Makejew verzichtete in diesem Jahr auf einen Besuch am Ehrenmal. Stattdessen legte Makejew am Montagmorgen Blumen an der „Neuen Wache“ in Berlin nieder, der zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Der Botschafter trat dort gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister Berlins, Kai Wegner, und dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Tobias Lindner, auf.
Die Berliner Polizei ist am Montag und Dienstag mit mehr als 1500 Beamtinnen und Beamten aus mehreren Bundesländern im Einsatz, um die verschiedenen Gedenkveranstaltungen abzusichern. Bis zum Montagnachmittag konnte die Behörde keine besonderen Vorkommnisse vermelden.
Russischer Angriff vor Gedenktag: Todesopfer und eskalierende Spannungen in der Ukraine
Die Ukraine meldete eine groß angelegte Angriffswelle und rechnet mit intensiverem Beschuss, vor allem auf Bachmut.
© Quelle: Reuters
Besonderes Augenmerk auf dem 9. Mai
Ein besonderes Augenmerk der Beamten liegt ohnehin auf einer Reihe an Veranstaltungen am Dienstag: Am 9. und nicht am 8. Mai wird in Russland der Sieg über das nationalsozialistische Deutschland gefeiert. Entsprechend sollen auch russische Gedenkveranstaltungen in Berlin vor allem am Dienstag stattfinden. Auch der deutsche Ableger des Putin-treuen russischen Motorradklubs „Nachtwölfe“ hat sich dafür angekündigt. Die Mitglieder und Unterstützer wollen mit ihren Motorrädern zu den sowjetischen Ehrenmalen fahren. Die Nachtwölfe sind überzeugte Unterstützer des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Eine Tour des russischen Klubs, die am vorvergangenen Wochenende in Moskau gestartet war, sollte am Dienstag in der ukrainischen Stadt Mariupol enden, die vom russischen Militär besetzt ist.