Nach Berichten über brutalen Umgang mit Uiguren

Pekings Lügengebäude fällt zusammen – und jetzt?

Ein Angehöriger der uigurischen Minderheit in China geht in Ürümqi in der Unruheregion Xinjiang in Nordwestchina vorbei an chinesischen Sicherheitskräften (Archiv).

Ein Angehöriger der uigurischen Minderheit in China geht in Ürümqi in der Unruheregion Xinjiang in Nordwestchina vorbei an chinesischen Sicherheitskräften (Archiv).

Bereits am Montag schraubte Michelle Bachelet die Erwartungen an ihre China-Reise merklich herunter. Es handele sich um keine „Untersuchung“, stellte die UN-Menschenrechtskommissarin bei einem Videogespräch mit Pekinger Botschaftsvertretern fest.

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Der erste Auftritt der Ex-Präsidentin aus Chile ließ auch keinen Zweifel mehr daran, dass sie seit ihrer Ankunft die vollständige Kontrolle über die Informationshoheit aufgegeben hat: Außenminister Wang Yi überreichte Bachelet im Blitzlichtgewitter der Staatspresse eine Buchkopie von „Xi Jinping über die Achtung und den Schutz der Menschenrechte“. Nur wenige Minuten später publizierte die Regierung eine Aussendung, in der es wortwörtlich heißt: „Bachelet gratulierte China zu seinen wichtigen Errungenschaften beim Schutz der Menschenrechte“.

Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, hat seit 2018 ihr Amt inne.

Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, hat seit 2018 ihr Amt inne.

Zum ersten Mal seit 17 Jahren lässt die Volksrepublik wieder eine UN-Menschenrechtsvertreterin ins Land. Mehr noch: Bachelet wird bei ihrem mehrtägigen Besuch die abgelegene Region Xinjiang bereisen, wo der chinesische Staat ein flächendeckendes System an Umerziehungslagern aufgebaut hat, um die muslimische Minderheit der Uiguren mit brutaler Repression fügig zu machen. Auf den ersten Blick ist es also durchaus erfreulich, dass die chinesische Regierung nach dreijährigen Verhandlungen endlich ihre Pforten öffnet.

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Doch wer die Entwicklungen der letzten Jahre unter Staatschef Xi Jinping mitverfolgt hat, kann auf die kommenden Tage nur mit äußerster Skepsis blicken: Peking ist schließlich nicht mehr im Ansatz gewillt, sich mit Kritik aus dem Ausland überhaupt nur auseinanderzusetzen – weder im öffentlichen Diskurs noch hinter den Kulissen.

Abgeschirmter Einblick

All dies wird zusätzlich durch die Umstände des Besuchs unterstrichen, die einer UN-Vertreterin unwürdig sind: Internationale Medienvertreter sind generell nicht zugelassen, zudem darf sich die 70-Jährige nicht einmal frei bewegen. Ihre Reise werde in einem sogenannten „closed loop“ stattfinden, heißt es.

Das bedeutet im Klartext: Die Kommissarin wird vollständig abgeschirmt – offiziell, um das Virus nicht zu verbreiten. Dabei muss die Pandemiebekämpfung erneut als Vorwand für politische Zensur herhalten. Für Korrespondenten im Land ist dies bereits ein alter Schuh: Wer als westlicher Journalist nach Xinjiang reist, wird trotz negativem PCR-Test oft unter Androhung von „Zwangsquarantäne“ wieder nach Peking zurückgeschickt.

Polizeistaat lässt grüßen

In Xinjiang ist die Lage ohnehin nicht mehr mit dem bloßen Auge zu fassen: So war bis 2019 der dystopische Polizeistaat in Xinjiang ganz offen sichtbar, etwa in Form von militärischen Checkpoints und omnipräsenten Stacheldrahtzäunen. Mittlerweile ist die Überwachung subtiler geworden, auch weil die Bevölkerung die Angst vor den Autoritäten längst verinnerlicht hat.

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Doch verbessert hat sich die Lage für die Uiguren seither dennoch nicht: Viele Umerziehungslager wurden zu „Fabriken“ umdeklariert, wo die Insassen mutmaßlich Zwangsarbeit verrichten. Andere politisch Verfolgte wurden schlicht in gewöhnliche Gefängnisse transferiert.

Mehr als eine Millionen Uiguren werden in Xinjiang in Lagern festgehalten.

Mehr als eine Millionen Uiguren werden in Xinjiang in Lagern festgehalten.

Umso aufschlussreicher sind die sogenannten „Xinjiang Police Files“, die am Dienstag von einem internationalen Mediennetzwerk veröffentlicht wurden. Das Datenleak, welches zuvor dem deutschen Xinjiang-Forscher Adrian Zenz zugespielt wurde, stammt direkt aus dem Inneren des verschlossenen Sicherheitsapparats: zehn Gigabyte an Polizeiakten, Fotos und empirisch überprüfbaren Dokumenten.

Einblicke in die Realität

Diese belegen, mit welch brutalen Methoden der chinesische Staat die Uiguren gefügig machen möchte. Fotos aus den Lagern zeigen offene Foltermethoden, darunter der sogenannte „Tigerstuhl“: Dabei wird der Gefangene über Stunden hinweg auf einem Stahlapparat fixiert, ohne sich bewegen zu können. Andere Insassen haben offene Wunden auf ihrem Rücken, die ihnen mutmaßlich von den Wärtern zugefügt wurden.

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Das Datenleak zeigt ebenfalls auf, wie willkürlich die Uiguren zu Opfern eines Polizeistaats werden: Ein junger Mann wurde etwa zu 20 Jahren verurteilt, weil er gemeinsam mit seiner Mutter eine Audiodatei auf seinem Handy abgehört haben soll, in der es um „religiöse Steuern, verschleierte Frauen und Männer mit Bärten“ ging. Eine ältere Frau wurde zu 16 Jahren verurteilt, weil sie eine „nicht genehmigte Veranstaltung“ organisiert hat. Wieder jemand anderes wurde allein deshalb in ein Lager gesteckt, weil er eine VPN-Software auf seinem Handy installiert hatte, um die chinesische Internetzensur zu umgehen.

In den geleakten Polizeiakten wird auch ganz offen von einem Schießbefehl gesprochen. So heißt es über Insassen, die aus den Lagern fliehen wollen: „Wenn die Auszubildenden die Warnschüsse ignorieren und weiter versuchen zu fliehen, werden sie von der bewaffneten Polizei erschossen.“ Der frühere Parteichef der Region, Chen Quanguo, soll sogar gesagt haben: „Erst töten, dann melden.“

Der Leak ist vor allem deshalb wichtig, weil er mit harten, von Forensikern und Journalisten überprüften Fakten das Lügengebäude der chinesischen Regierung endgültig widerlegt. Peking behauptet schließlich weiterhin, dass es sich bei den Umerziehungslagern um „freiwillige Ausbildungszentren“ handeln würde.

Und auch am Dienstag stritt Außenamtssprecher Wang Wenbing wenig überraschend sämtliche Anschuldigungen kategorisch ab: Es würde sich um „anti-chinesische Kräfte“ handeln, die „Gerüchte und Lügen verbreiten“. Die Realität ist laut Pekinger Sicht eine andere: In Xinjiang würden die Menschen „in Frieden und Glück“ leben.

Michelle Bachelet wird diese inszenierte Realität in den nächsten Tagen zu Genüge zu sehen bekommen.

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