„Lage ist sehr hart“: erbitterte Schlacht um Bachmut – fällt die Stadt bald?
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Ukrainische Soldaten feuern eine 120-mm-Mörsergranate auf russische Stellungen an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut.
© Quelle: Evgeniy Maloletka/AP/dpa
Die Lage an der Front in Bachmut ist „sehr hart“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht zu Sonntag. „Der Feind wirft immer neue Kräfte hinein, um unsere Verteidigung zu durchbrechen.“ In den vergangenen Tagen haben sich die Kämpfe um die Stadt in der Ostukraine verschärft. Russische Streitkräfte haben, nach Angaben des ukrainischen Generalstabs, Bachmut sowie umliegende Orte zuletzt immer stärker angegriffen und waren von verschiedenen Seiten auf die Stadt vorgerückt. Nach Angaben des Institutes for the Study of War (ISW) könnten die Russen „entweder die Einkreisung von Bachmut unterstützen oder eine neue Angriffsachse in Richtung Siwersk eröffnen“.
Durch den massiven Artillerieeinsatz und den damit verbundenen Abnutzungseffekt in Bachmut ist jetzt eher Russland in der Offensive. „Bachmut mag früher oder später fallen, die Frage ist aber, aus welchem Grund die Stadt fällt“, erklärt Militärexperte Christian Mölling, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Es mache einen großen Unterschied, ob sich die Ukraine geordnet zurückzieht oder ob die ukrainische Verteidigung irgendwann zusammenbricht und viele Soldaten sterben. Die Ukraine hat sich in der Ostukraine bereits seit 2014 auf Kämpfe vorbereitet, Stellungen ausgebaut und besonders im Großraum Bachmut seit 2014 massiv befestigt. Laut Mölling ist die Ukraine bei der Verteidigung schon aus topografischen Gründen im Vorteil. „Es gibt viele Anhöhen, von wo aus die ukrainische Artillerie weit schießen kann“, sagt er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
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Sollte es Russland gelingen, Bachmut einzunehmen, wäre das aus Sicht des Experten Mölling kein Durchbruch. „Aus militärischer Perspektive stellt Bachmut kein strategisches Ziel dar.“ Das britische Verteidigungsministerium und ein hochrangiger Vertreter der US-Regierung hatten davon abgeraten, sich auf die Verteidigung von Bachmut zu fixieren. Die Kosten und Verluste seien für ein strategisch unwichtiges Ziel wie Bachmut viel zu hoch.
Zehntausende russische Soldaten und Söldner der Privatarmee Wagner haben in den vergangenen Wochen laut ISW um Bachmut gekämpft, mit Tausenden Verlusten.
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Das ISW vermutet, dass die Ukraine eine Abnutzungsstrategie verfolgt, ähnlich wie bei Sjewjerodonezk und Lyssytschansk im vergangenen Jahr. Ziel dieser Strategie ist es, möglichst viele russische Soldaten zu töten oder kampfunfähig zu machen, um die Offensivfähigkeit Russlands zu verringern. Die Alternative wäre für die ukrainischen Streitkräfte gewesen, Bachmut aufzugeben und dann „übereilte Verteidigungsstellungen in weniger günstigem Terrain aufzubauen“, so die ISW-Experten.
Experte: Putin geht es um symbolischen Sieg
In jedem Fall stelle sich die Frage, um welchen Preis Bachmut eingenommen oder verteidigt wird, meint DGAP-Forschungsdirektor Mölling. Er glaubt, dass es Putin beim Kampf um Bachmut auch um einen symbolischen Sieg geht. „Russland unternimmt einen riesigen militärischen Aufwand, um Bachmut bis zum 24. Februar einzunehmen“, sagt er mit Verweis auf den Jahrestag des Krieges gegen die Ukraine. „Putin muss bis zu diesem Stichtag einen Erfolg vorweisen können.“ Für die Ukraine stelle sich die Frage, welchen Blutzoll sie von den Russen dafür erzielen könne.
Durch die Fokussierung auf Bachmut haben die ukrainischen Streitkräfte Zeit gewonnen, neue Verteidigungslinien aufzubauen, so die Einschätzung von Estlands Geheimdienstchef Margo Grosberg. Die Russen hätten sich hauptsächlich auf Bachmut konzentriert und dort viele Soldaten verloren. Er geht davon aus, dass die ukrainischen Verteidiger die Stadt in naher Zukunft verlassen werden. Die Zufahrtswege nach Bachmut seien von Norden, Osten und Süden bereits abgeschnitten und der einzige Weg aus der Stadt führe in den Westen. Es sei unklug, weiter große Ressourcen in den Kampf um Bachmut zu stecken. Natürlich werden die Russen diesen Sieg auskosten, für ihre Propaganda nutzen und ihn zur psychologischen Stärkung ihrer Truppen verwenden, räumt Grosberg ein.
Ukraine fehlen für Gegenschlag Kampfpanzer
Eine neue Offensive der ukrainischen Streitkräfte sehen Experten derzeit nicht. „Der Ukraine fehlen für einen Gegenschlag die Offensivfähigkeiten, also Kampfpanzer“, sagt DGAP-Militärexperte Mölling. „Die Lieferungen aus dem Westen kommen viel zu spät.“ Zwar haben die westlichen Verbündeten der Ukraine neue Kampfpanzer, darunter auch den deutschen Leopard 2, zugesagt. Doch bis die ukrainischen Soldaten ausgebildet sind, eine größere Zahl von Kampfpanzern die Ukraine erreicht hat und an der Frontlinie steht, wird es aber noch einige Wochen dauern.
„Die Ausbildung der Panzerbesatzungen dauert etwa acht bis zwölf Wochen“, sagt Gardekommandant Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer. Er geht davon aus, dass die Ukraine Soldaten in die Leopard-Ausbildung schickt, die bereits auf ukrainischen oder sowjetischen Modellen ausgebildet wurden. „Die ukrainische Armee will nun zwei Korps aufstellen, das sind Großverbände mit jeweils 30.000 bis 40.000 Soldaten“, sagt Reisner dem RND. Ein Korps soll bei Poltawa gebildet werden, ein zweites bei Dnipro. In diese Großverbände würden dann die neuen Panzerbataillone mit westlicher Ausrüstung integriert. „Sollten die Russen bereits mit einer neuen Offensive beginnen, wird die Ukraine gezwungen sein, die Leopard-Panzer auch zur Verteidigung einzusetzen.“
Die Militärexperten des ISW rechnen damit, dass die Ukraine „im späten Frühjahr oder Sommer 2023“ mit einer eigenen Gegenoffensive beginnen könnte, wenn die modernen Panzer aus dem Westen eingetroffen sind.