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„Der Leopard ist keine Wunderwaffe“

Leopard-Panzer steht in Flammen: Die Gegenoffensive der Ukraine hat begonnen

Ein vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlichtes Video zeigt einen brennenden Leopard-Panzer.

Ein vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlichtes Video zeigt einen brennenden Leopard-Panzer.

Langsam nähert sich die ukrainische Panzerkolonne mit mehreren Leopard-Kampfpanzern der Frontlinie. Plötzlich explodieren Minen und die Russen eröffnen das Feuer. Ein Leopard wird getroffen, hohe Flammen lodern auf und dichter Rauch zieht gen Himmel. Der deutsche Kampfpanzer brennt offenbar vollständig aus und auch weitere Leopard-Panzer sind beschädigt, wie das vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlichte Video zeigt. „Die Leopard-Panzer waren bei Tokmak im Einsatz und führten den angreifenden Verband an der Spitze an, um einen Durchbruch zu erzielen“, sagt Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer. Aufgenommen wurde das Video von einer russischen Drohne, die zur Zielzuweisung für die Artillerie diente, sagt er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Die Russen konnten den ukrainischen Angriff rechtzeitig aufklären und unter massivem Artilleriefeuer zerschlagen.“ Die Attacke ist gescheitert.

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„Die Gegenoffensive läuft und ist in die Entscheidungsphase übergegangen“, so Reisner. Diese Einschätzung teilen auch die Militärexperten des US-Thinktanks Institute for the Study of War (ISW). Rückblickend kommen sie zum Schluss, dass die Gegenoffensive am Sonntag begonnen hat. An mehreren Stellen der Front gibt es massive Angriffe, drei Hauptstoßrichtungen sind erkennbar: In Richtung der Stadt Tokmak (Saporischschja) mit einst 30.000 Einwohnern befindet sich die Hauptachse der Attacken, wo auch die Eisenbahnlinie verläuft und den gesamten südwestlichen Frontabschnitt der Russen mit Ausrüstung versorgt. Ziel ist laut Reisner, direkt nach Melitopol durchzustoßen, um die Landverbindung nach Russland zu durchbrechen. „Der Vorstoß bei Tokmak ist bisher der Schwerpunkt der Offensive.“

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Drei Hauptstoßrichtungen der Offensive

Russische Quellen bestätigten, dass die ukrainischen Streitkräfte die erste Verteidigungslinie in diesem Gebiet durchbrochen haben. Militäranalyst Franz-Stefan Gady betont, dass diese Stellungen Angreifer verlangsamen sollen, bis Verstärkung eingetroffen ist. „Daher ist ein Durchbruch dort kein Hinweis darauf, wie gut oder schlecht es läuft.“ Angeblich sollen die Ukrainer wieder zurückgedrängt worden sein. Überprüfen lassen sich die Angaben nicht.

Zwei kleinere Hauptstoßrichtungen gibt es im Zentralraum der Ukraine, mit einem Vorstoß aus Richtung Welyka Nowosilka (nördlich von Melitopol und Mariupol), wie die ukrainische Vizeverteidigungsministerin Hanna Malyar bestätigte, sowie in Bachmut, wo die russischen Kräfte gebunden und eingekesselt werden sollen. Damit liegt der Fokus der Gegenoffensive genau dort, wo die meisten Experten ihn schon vor Monaten vermutet hatten.

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Russen wehren Offensive bisher ab

„Da die Ukraine noch nicht alle Kräfte einsetzt, könnte es durchaus sein, dass man bei Misserfolgen umdisponiert und an einer anderen Stelle den Durchbruch versucht“, gibt Reisner zu bedenken. Es sind Misserfolge, wie der Angriff bei Tokmak und andere versuchte Vorstöße nördlich von Melitopol. Die Russen konnten die Angriffe bisher sehr gut abwehren, so Reisner.

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Die Russen können die Angriffe nördlich von Melitopol bisher sehr gut abwehren.

Markus Reisner,

Oberst des Generalstabsdienstes beim österreichischen Bundesheer

Im Raum Melitopol befinden sich laut Satellitenbildern die am stärksten ausgebauten Verteidigungsstellungen der russischen Armee. Bei den Kämpfen sind die Russen dort im Vorteil, was auch die Misserfolge der ersten Tage der Offensive erklärt. „Für die Ukraine ist es ein herber Rückschlag, weil sie nicht mit einer derart massiven Abwehr der Russen gerechnet hat“, sagt Reisner und stellt klar: „Der Leopard ist keine Wunderwaffe.“ Immer wieder hatten westliche Beobachter die Kampfkraft und die Bedeutung der russischen Stellungen kleingeredet. Offenbar wurden die Russen unterschätzt. CNN berichtete unter Berufung auf US-Beamte von „signifikanten Verlusten“ der ukrainischen Streitkräfte an schwerem Gerät und Soldaten. Es gebe unter anderem „erhebliche“ Verluste bei den minengeschützten Fahrzeugen (MRAPs). Die Ukraine versuchte zuletzt zu beschwichtigen und erklärte, man suche nur günstige Ausgangsstellungen.

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Experte Reisner macht deutlich, dass der Angreifer bei einer Offensive dem Gegner im Verhältnis von mindestens drei oder – bei einem eingegrabenen Gegner – vier zu eins überlegen sein muss. „Wir werden daher schwere Verluste auf ukrainischer Seite sehen.“

Der Leopard ist keine Wunderwaffe.

Markus Reisner,

Oberst des Generalstabsdienstes beim österreichischen Bundesheer

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Die Ukraine schweigt fast ausnahmslos darüber, wo genau es Gefechte gibt und wie erfolgreich diese laufen. Vizeverteidigungsministerin Malyar erklärte lediglich, dass eine Offensive „in mehrere Richtungen stattfindet“. Präsident Wolodymyr Selenskyj bestätigte nun in seiner täglichen Videoansprache „brutale Kämpfe“ in der Region Donezk. Dort befindet sich auch Bachmut, wo es laut geolokalisierten Videos kleinere Erfolge der Ukrainer gibt. „Dort hat es die Ukraine geschafft, punktuell Vorstöße zu machen“, bestätigt Reisner, allerdings sollen auch hier einige ukrainische Panzer beim Vormarsch zerstört worden sein. Im zentralen Raum habe sich die Ukraine bisher erst um wenige Geländeabschnitte vorkämpfen können, „von einem Windschutzgürtel zum nächsten“, sagt der Experte und schätzt die Rückeroberungen auf 500 bis 2000 Meter ein. Nördlich von Tokmak gebe es auch nur sehr kleine Vorstöße.

Buggys sind „böse Überraschung“: Russen sind flexibler geworden

„Die ukrainische Seite ist von der Verbissenheit der Russen und der Flexibilität überrascht“, so die erste Bilanz von Oberst Reisner. Die russischen Streitkräfte konnten die ukrainische Offensive nicht nur durch den Einsatz von Artillerie und Minenfeldern aufhalten, sondern setzen laut dem Experten auch die Luftwaffe zur taktischen Unterstützung ein. Hinzu kommt, dass die Russen flexibler geworden sind: „Sie setzen jetzt ganz kleine mobile Trupps mit Panzerabwehrlenkwaffen mit zwei Kilometer Reichweite auf Buggys ein“, so Reisner. Diese kleinen Fahrzeuge seien kaum zu erkennen. „Das ist für die Ukraine eine böse Überraschung.“

Fachleute gehen davon aus, dass die Ukraine nur 60 bis 70 Prozent des militärischen Materials erhalten hat, um das sie die westlichen Partner vor Monaten gebeten hatte. Schon jetzt sind auf verifizierten Bildern und Videos neben den Leopard-Kampfpanzern auch leichte Schützenpanzer der USA vom Typ M113, französische Spähpanzer AMX-10 und minengeschützten Fahrzeug (MRAPs) zu sehen. Bisher unbestätigt ist der Einsatz des US-Schützenpanzers Bradley.

Der ukrainische Reporter Yurii Butusov veröffentlichte ein Video des zerstörten Leopard-Panzers und erklärte, die Ukraine habe ihn bergen können und er werden repariert. Die Besatzung habe den Angriff überlebt.

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„Wir können mit mindestens einem kleinen ukrainischen Erfolg rechnen, wie der Befreiung von einigen Hundert Quadratkilometern“, sagt John Herbst, ehemaliger US-Botschafter in der Ukraine. Die Ukraine habe auch eine realistische Chance auf mehr, wie dem Durchbrechen der Landbrücke zwischen Russland und der Krim.

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