Putins Staatsfeindin Nr. 1? Wie eine Journalistin zur Soldatin wurde
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Die ukrainische Soldatin Sarah Ashton-Cirillo im vergangenen Jahr vor einem zerstörten russischen Panzer.
© Quelle: Sarah Ashton-Cirillo
Berlin. Sarah Ashton-Cirillo könnte eine dieser schrägen und positiv-verrückten Figuren sein, die Filme von Kultregisseur Quentin Tarantino bevölkern. In ihren Videos oder auf Fotos im Kurznachrichtendient Twitter ist sie mal mit rotem Lippenstift, Stahlhelm und blonder Perücke vor einem zerstörten Panzer zu sehen, dann Arm in Arm mit Soldaten und Waffe in der Hand oder allein bauchfrei posierend wie ein Marvel-Girl.
Die 45-jährige US-Amerikanerin aus Las Vegas ist jedoch echt. Echt in der Ukraine. Ashton-Cirillo dient echt in der ukrainischen Armee als Sanitäterin in Schützengräben. Sie ist echt trans. Und nun ist sie auch noch echt verwundet.
Das Schrapnell einer russischen Artilleriegranate hat die Soldatin am vergangenen Donnerstag getroffen. Ihre Einheit, das 209. Bataillon der 113. Brigade der ukrainischen Streitkräfte, operierte zu diesem Zeitpunkt an der Front im ostukrainischen Donbass.
Ashton-Cirillo in Ukraine von Granate getroffen
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„Ich wurde heute Morgen getroffen“, schrieb sie auf Twitter. „Meine Verletzungen sind dauerhaft. Ich habe einen Teil meiner Hand verloren und habe Narben in meinem Gesicht.“ Ein Video, das Ashton-Cirillo auf Twitter gepostet hat, zeigt einen Kameraden, der ihre Hand verbindet.
Die Geschichte der Sarah Ashton-Cirillo ist eine der erstaunlichsten in diesem an extremen Geschichten gewiss nicht armen Krieg der Russen gegen die ukrainische Bevölkerung. Die US-Amerikanerin war im vergangenen März als Kriegsberichterstatterin in die Ukraine gegangen. Sie arbeitete hauptsächlich für die amerikanische Nachrichtenplattform „LGBTQ Nation“.
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Sarah Ashton-Cirillo (r.) mit Kameraden ihrer Einheit im Februar 2023.
© Quelle: Sarah Ashton-Cirillo
Nachtwache mit AK 47 in der Ukraine
Richtig populär machten sie jedoch die Videos im Netz, nachdem sie im Oktober die Seiten wechselte. Ashton-Cirillo trat in die ukrainische Armee als Sanitäterin ein, schiebt Nachtwachen mit einer AK 47 vor der Brust, kocht Suppen auf Gaskochern im Schützengraben und ist häufig eine der Ersten nach schwersten Kämpfen vor Ort.
Dass sie zur Soldatin wurde, habe mit dem zu tun gehabt, was sie als Journalistin gesehen und erlebt habe, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Die Beobachtung der Terroranschläge auf die Zivilbevölkerung in der Oblast Charkiw war für mich der eigentliche Auslöser.“ Sie habe von Anfang März bis Mitte Oktober in Charkiw gelebt. „In dieser Zeit habe ich zu viele sinnlose Todesfälle und zu viel russisches Böses gesehen, unter anderem habe ich mehrere Tage an den Massengräbern in Izyum verbracht.“
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Auch in dieser Rolle arbeitet sie irgendwie weiter als – parteiische – Berichterstatterin und Augenzeugin. Kein Wunder, dass sie viele Menschen – darunter etliche Kriegsbeobachter – auf dem Schirm haben. Auf Twitter folgen ihr inzwischen mehr als 104.000 Accounts.
Gegenüber dem RND verspricht Ashton-Cirillo: „Ich werde auf jeden Fall weiter schreiben. aber ich bin mir nicht sicher, ob man mich in Zukunft wieder als Journalistin bezeichnen wird. Ich setze mich während dieses Krieges für die Ukraine ein, und Journalisten müssen grundsätzlich unparteiisch bleiben.“
Die Kämpferin ist mittlerweile auch so etwas wie eine Mittlerin zwischen verschiedenen Welten. Erst im Dezember informierte sie im Auftrag des ukrainischen Verteidigungsministeriums in Washington D.C. US-Politiker darüber, wie die Ukraine von außen versorgt wird und was unbedingt gebraucht wird.
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Soldatin und LGBTQ-Botschafterin
Sie sieht sich zwar zuerst als Botschafterin und Helferin der internationalen Gemeinschaft in der Ukraine. Dabei spielt ihre Transidentität in mehrfacher Hinsicht eine Rolle, wenn man über Ashton-Cirillo berichtet. Sie habe sehr lange einen eigenen Krieg in ihrem Inneren geführt, sagt sie. Schon als kleines Kind sei ihr bewusst gewesen, dass sie „falsch“ lebe. Trotz der Unterstützung ihres Sohnes und ihrer Ex-Frau lebte die Amerikanerin bis zu ihrer Geschlechtsangleichung im Jahr 2019 offiziell als Mann.
Als US-Amerikanerin, unabhängige Medienvertreterin, Teil der LGBTQ-Gemeinschaft und nun auch noch als ukrainische Soldatin ist Ashton-Cirillo quasi so etwas wie eine Staatsfeindin Nr. 1 in Russland. Der Kreml hat sie und die Werte, die sie verkörpert, tatsächlich im Fadenkreuz. Schon im April 2022 beschimpfte die Sprecherin des russischen Außenministers Sergeij Lawrow die damalige Journalistin auf ihrem Telegram-Kanal. Im November veröffentlichte Rossija 1, einer von Putins Staatssendern, ein „liebevolles“ Porträt.
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Die US-Amerikanerin, die sich in ihren Videos gern mit einem „Fuck Putin“-Aufnäher auf der Uniform zeigt, keilt in den sozialen Netzwerken betont cool zurück. Sie spricht von Lügen, wenn Putins Truppen behaupten, sie hätten Städte wie Bachmut oder Soledar eingenommen. „Sie lügen“, schreibt sie kurz. „Wir sind hier.“ Letztendlich werde Putin derjenige sein, der tot sei. „Und das ist der geringste Preis für die Befreiung und die Freiheit.“
Ashton-Cirillo, so sehen es zumindest Aktivisten der LGBTQ-Szene, sollte jedoch auch eine Soldatin im Kampf gegen gesellschaftliche Benachteiligungen, Homo- oder Transphobie sowie für Akzeptanz und Gleichstellung sein. Sie spürt diese Verantwortung und will ihr auch gerecht werden. Aber: „In der Ukraine kämpfen wir nicht für Toleranz, wir kämpfen für Freiheit und Befreiung“, sagt sie dem RND. „Transgender zu sein ist wirklich ein sekundäres Merkmal in Bezug auf meine Rolle hier als Soldat und Teilnehmer in diesem Krieg gegen Faschismus und für Freiheit.“
Es gebe Hunderte offen queere Frauen und Männer in den ukrainischen Streitkräften, sagte sie unmittelbar vor ihrer Verwundung dem „Washington Blade“, einer 1969 gegründeten LGBTQ-Zeitung. Ihre Geschlechtsidentität habe unter ihren Kameraden kaum eine Bedeutung. „Putin hat mit seinem Krieg eine unumkehrbare Bürgerrechtsbewegung in der Ukraine in Gang gesetzt, die für die LGBTQ-Gemeinschaft gut ist.“
Denn Putin, dem laut Medienberichten schon länger Todeslisten mit Namen ukrainischer LGBTQ-Aktivisten vorliegen sollen, verfolge auch das Ziel, die queere Gemeinschaft zu vernichten. „Auch darum habe ich zur Waffe gegriffen“, so Ashton-Cirillo. „Putin möchte LGBTQ-Personen ausgerottet sehen, Präsident Zelenskjy spricht von der Menschlichkeit aller Menschen, das ist der Unterschied“, macht sie klar. „Deshalb war ich bereit, für die Ukraine zu bluten. Für die Zukunft denke ich, dass mein einfaches Dasein und meine Erfahrungen hier als Ganzes betrachtet werden und sich nicht darauf konzentrieren, dass ich transgender bin.“
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Ashton-Cirillo will Stärke zeigen
Sie sieht darin auch ihren Hauptbeitrag für die LGBTQ-Community: Stärke zeigen, selbstbewusst agieren und sich nicht in die Opferrolle drängen lassen. Das passt nicht allen, die sich mehr Bezüge der Amerikanerin auf ihren queeren Hintergrund wünschen. Auf Twitter formuliert sie ihren Anspruch so: „Queere Menschen müssen Stellung beziehen, wir müssen zurückschlagen. Wir müssen den Sieg anstreben, nicht die Opferrolle.“ Dazu zeigt sie ein Video bei Schießübungen mit der Kalaschnikow.
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Sarah Ashton-Cirillo (l.) mit einem Kameraden iher Einheit nach einer Übung im Februar 2023.
© Quelle: Sarah Ashton-Cirillo
Die Frau, die einen langen und unbequemen Weg nahm, um in der Ukraine den Kampf eines anderen Volks zu unterstützen und sich dabei selbst immer näher kommt, liegt nun im Lazarett. „Eine zweite Nacht im Krankenhaus zu verbringen, diesmal am Jahrestag der groß angelegten Invasion, hätte ich mir nicht vorstellen können“, schrieb sie am Freitag. „Ich hätte mir auch nie vorstellen können, das Privileg zu haben, für eine Nation zu bluten, die alles repräsentiert, was mit Freiheit und Freiheit richtig ist.“