Putins „Kanonenfutter" in der Ukraine

„Es war die Hölle“: Russischer Soldat berichtet über Hunderte Verluste in seiner Einheit

Auf diesem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums veröffentlichten Handout-Videostandbild nehmen russische Rekruten an einem militärischen Training im Patriot-Park außerhalb Moskaus teil. Die ersten zum Krieg in der Ukraine einberufenen Russen kehren in Särgen heim. Frauen klagen, ihre Männer würden ohne Ausrüstung und Vorbereitung an die Front geschickt.

Auf diesem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums veröffentlichten Handout-Videostandbild nehmen russische Rekruten an einem militärischen Training im Patriot-Park außerhalb Moskaus teil. Die ersten zum Krieg in der Ukraine einberufenen Russen kehren in Särgen heim. Frauen klagen, ihre Männer würden ohne Ausrüstung und Vorbereitung an die Front geschickt.

Die Berichte über massive Verluste unter den mobilisierten russischen Truppen in der Ukraine reißen nicht ab. In einem Interview mit der britischen Tageszeitung „The Guardian“ erzählt ein russischer Soldat von dem wohl bisher tödlichsten Angriff der Ukraine auf die Invasionstruppen seit Kremlchef Wladimir Putin die Teilmobilmachung im September angeordnet hat.

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Besonders brisant an dem Fall ist, dass es sich bei der Einheit um Wehrpflichtige handelte, die erst seit Anfang November im Gebiet Luhansk stationiert sind. Gemeinsam mit Alexej Agafonow, der dem Blatt von dem Angriff berichtete, erreichten insgesamt 570 Mann am 1. November die Region. Ihre erste Aufgabe: Gräben ausheben. Doch schon am nächsten Morgen sei die Hölle auf sie niedergebrochen, wie Agafonow erzählte.

Russische Armee soll in vier Tagen 300 Soldaten verloren haben
dpatopbilder - 07.11.2022, Ukraine, Lyman: Ein Feuerwehrmann löscht einen durch Beschuss ausgelösten Brand in einem zerstörten Wohnhaus. Foto: Andriy Andriyenko/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Seit Tagen wird im Gebiet Donezk in der Ukraine hart gekämpft und die russischen Einheiten sollen hohe Verluste haben. Unabhängig prüfen lässt sich dies nicht.

Demnach hätten die Soldaten zunächst eine ukrainische Drohne bemerkt, die über ihre Stellung flog. „Danach fing ihre Artillerie an, uns stundenlang ununterbrochen zu bombardieren“, so Agafonow. Im Gegensatz zu vielen seiner Kameraden überlebte er den Angriff, erlebte aber die Grauen des Krieges. „Ich habe gesehen, wie Männer vor mir auseinandergerissen wurden. Der größte Teil unserer Einheit ist verschwunden, zerstört. Es war die Hölle“, beschrieb er die Attacke. Und seine Kommandeure? Die hätte die Einheit kurz vor dem Angriff allein gelassen, berichtete der Soldat.

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Im Gebiet Donezk soll eine Einheit 300 Mann in vier Tagen verloren haben

Als der ukrainische Artilleriehagel abebbte, seien die verbliebenen Soldaten aus dem Wald nahe der Stadt Makijiwka geflüchtet, wo sie die Gräben ausheben sollten. Sie begaben sich in die nahe gelegene Stadt Swatowe, die von Russland kontrolliert wird. Dort hätten sie dann versucht, den Rest ihrer Truppe zu kontaktieren.

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Agafonow ist mit seinen Erzählungen nicht allein. Erst am Dienstag veröffentlichte das unabhängige russische Portal „The Insider“ einen Bericht über einen Beschwerdebrief der 155. Marineinfanterie-Brigade der russichen Pazifikflotte. Die Truppe hatte massive Verluste zu beklagen. 300 Mann soll die Einheit binnen vier Tagen im Gebiet Donezk verloren haben. Der Aufschrei war groß – selbst unter kremltreuen Berichterstattern. Das russische Verteidigungsministerium hingegen sprach von deutlich geringeren Verlusten.

Doch im Fall des Bataillons von Alexej Agafonow handelte es sich ausschließlich um Wehrpflichtige, die im Zuge der Teilmobilmachung eingezogen wurden. Mehr als 300.000 Reservisten hat der Kreml für seinen Krieg gegen die Ukraine eingezogen. Am 16. Oktober meldete sich Agafonow laut des Berichts in der Stadt Woronesch im Südwesten Russlands. Von den 570 Mann, die das Bataillon ursprünglich bildeten, hätten nur 130 den ukrainischen Angriff überlebt. Und die Überlebenden der Attacke seien danach vielfach „verrückt geworden“, berichtete der Soldat gegenüber „The Guardian“.

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„Zwei Wochen Ausbildung bereiten dich nicht darauf vor“

Diese Episode des russischen Kriegs in der Ukraine dürften die Zweifel an der von Putin angeordneten Mobilmachung in Russland nochmals verstärken. Die heimischen Proteste gegen das Dekret wurden gewaltsam niedergeschlagen, doch die Berichte der Soldaten von der Front über große Verluste, schlechte Ausbildung und mangelnde Ausrüstung lassen sich nicht so einfach kleinreden – genauso wenig wie Gefallene, die nur in Särgen in ihre Heimat zurückkehren.

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Ein weiterer Soldat, der laut des Berichts im gleichen Bataillon wie Agafonow diente, bestätigte dem „Guardian“ die Aussagen seines Kameraden. Sie hätten nicht gewusst, was sie tun sollten, und seien zudem ausgeliefert gewesen. „Hunderte von uns sind gestorben“, wird der Mann zitiert, der anonym bleiben wollte. „Zwei Wochen Ausbildung bereiten dich nicht darauf vor“, so der Soldat.

Und auch ein dritter Soldat, Nikolai Woronin, beschrieb dem russischen Portal „Werstka“ von derselben ukrainischen Attacke am frühen Morgen des 2. November. Auch er berichtet von vielen Gefallenen: Überall seien viele Tote gewesen, wird Woronin zitiert. „Ihre Arme und Beine waren abgerissen.“

Angehörige kritisieren die russische Militärführung

In Woronesch gibt es unterdessen einen Aufschrei der Zivilbevölkerung wegen der vielen getöteten Wehrpflichtigen. Eine Gruppe von Ehefrauen und Müttern erhebt in einem Video schwere Vorwürfe gegen die Militärführung. „Am ersten Tag wurden die Wehrpflichtigen an der Front stationiert. Das Kommando hat das Schlachtfeld verlassen und ist geflohen“, sagt eine Frau. Eine weitere kritisiert die Kommunikation mit den Angehörigen. Am Telefon würde gesagt, dass ihre Söhne lebendig und gesund seien und ihre militärische Pflicht erfüllten. „Wie zur Hölle können sie lebendig und gesund sein, wenn sie dort alle getötet werden?“, fragt die Frau.

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Gegenüber dem „Spiegel“ sprach eine weitere Mutter eines Soldaten über die Informationen, die sie von ihrer Tochter über die Einheit erhalten habe. „Man hat ihnen gesagt, sie werden in schon eroberten Gebieten für Ruhe Sorgen, so eine Art von territoriale Verteidigung“, zitiert das Nachrichtenmagazin die Frau, die anonym bleiben wollte. Die Eingezogenen seien also über die Art ihres Einsatzes angelogen worden. Auch die berichtete demnach von der mangelhaften Ausbildung der Reservisten, die aus lediglich zwei Wochen Trainings bestehe. „Ich bin empört, dass die Kommandeure so unprofessionell sind, darum rede ich auch – so was darf man nicht verschweigen, sonst ändert sich nichts.“

RND/sic

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