Von Blau zu Rot: Mehr als eine Million Wähler der Demokraten werden Republikaner
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Bei der vergangenen Wahl konnte sich der Demokrat Joe Biden (links) gegen Republikaner Donald Trump durchsetzen. Aber die Kräfteverhältnisse könnten sich ändern.
© Quelle: dpa/imago images/ZUMA Wire
Washington. Ben Smith lebt in einem Vorort von Denver im US-Staat Colorado. Im Frühjahr hat er sich als Republikaner registrieren lassen – schweren Herzens, wie er sagt, aber er sei einfach zunehmend besorgt über den Kurs der Demokraten. Ihn störe es zum Beispiel, dass Demokraten in manchen Gemeinden für eine Covid-19-Impfpflicht einträten. Die Partei sei zudem unfähig, die Gewaltkriminalität im Land einzudämmen und lege zu oft den Fokus auf die Ungleichheit zwischen ethnischen Gruppen.
„Es ist mehr eine Ablehnung der Linken als eine Umarmung der Rechten“, erklärt der 37-jährige Therapeut. Seine Abkehr von den Demokraten begann vor fünf oder sechs Jahren, als er sich als Libertärer ins Wählerregister eintrug.
Smith ist alles andere als ein Einzelfall, auch wenn sich die jeweiligen Motive unterscheiden mögen. Insgesamt mehr als eine Million Wähler in 43 US-Staaten sind im Laufe des vergangenen Jahres zur Republikanischen Partei gewechselt, wie von der Nachrichtenagentur AP analysierte Daten über Wählerregistrierungen zeigen.
Gefahr in den städtischen Vororten
Wer in den USA wählen will, muss sich vorher offiziell eintragen lassen und wird auf dem entsprechenden Formular nach einer etwaigen Parteizugehörigkeit gefragt. Die bindet sie oder ihn bei Präsidentschafts-, Parlaments- oder auch Gouverneurswahlen an kein spezifisches Votum. Aber in manchen Bundesstaaten dürfen nur registrierte Parteimitglieder an den Vorwahlen der Parteien teilnehmen.
Der AP-Analyse zufolge spielt sich der Wechsel zu den Republikanern in praktisch jeder Region der USA ab, seit Joe Biden Präsident ist – in demokratisch und republikanisch regierten Bundesstaaten, in großen und kleineren Städten. Aber nirgendwo ist die politische Verschiebung deutlicher – und gefährlicher für die Demokraten – als in den städtischen Vororten, wo gut gebildete Wechselwähler, die sich in den vergangenen Jahren gegen Trumps Republikanische Partei gewandt hatten, jetzt anscheinend zurückpendeln.
Und dieser Trend zeigt sich nicht nur in Vorstadtbezirken um große Städte wie Denver, Atlanta, Pittsburgh und Cleveland. Republikaner gewannen auch in Regionen um mittelgroße Städte wie Harrisburg (Pennsylvania), Raleigh (North Carolina), Augusta (Georgia) und Des Moines (Iowa) an Boden.
Klare Trendumkehr
AP untersuchte Statistiken aus den vergangenen zwölf Monaten über 1,7 Millionen Wähler in Dutzenden US-Staaten, die wahrscheinlich ihre Parteibindung geändert hatten. Sie stützte sich auf Daten der Firma L2, die eine Kombination von staatlichen Wählerunterlagen und statistischer Modellierung benutzt, um Parteizugehörigkeiten festzustellen. Wechsel von einer zu einer anderen Partei sind zwar nicht unüblich, doch die Daten zeigen eine klare Umkehr des Trends im Vergleich zu der Periode, als Trump Präsident war. Damals hatten die Demokraten US-weit einen leichten Vorsprung zu ihren Gunsten.
In den vergangenen zwölf Monaten wandten sich dagegen rund zwei Drittel jener, die ihre Parteibindung wechselten, den Konservativen zu. Insgesamt wurden mehr als eine Million Wähler Republikaner, während sich etwa 630.000 den Demokraten anschlossen.
Nun sind eine Million Menschen nur ein kleiner Teil der gesamten US-Wählerschaft, und ihre Migration gewährleistet keinen verbreiteten republikanischen Erfolg bei den Wahlen im November, die über die künftigen Mehrheitsverhältnisse im Kongress und die Besetzung von Dutzenden Gouverneursposten entscheiden. Die Demokraten hoffen, dass das jüngste Urteil des höchsten US-Gerichts, mit dem das Verfassungsrecht auf Abtreibung gekippt wurde, Unterstützer mobilisiert – insbesondere in städtischen Vororten. Dennoch sind die Parteiwechsel-Daten ein düsteres Warnzeichen für die Demokraten, die sich ohnehin nach bisherigem Stand auf herbe Einbußen vorbereiten müssen.
Den Demokraten fehlt eine klare Strategie
Rund vier Monate vor dem Wahltag 8. November haben die Demokraten keine klare Strategie, wie man Bidens schwache Umfragewerte verbessern und dem verbreiteten Gefühl in der Bevölkerung begegnen kann, dass das Land unter der Führung ihrer Partei in die falsche Richtung geht. Die Republikaner haben zwar nur wenige eigene politische Vorschläge gemacht, aber effektiv daran gearbeitet, aus den Problemen der Demokraten Kapital zu schlagen.
Recht auf Abtreibung gekippt: Tausende demonstrieren in den USA
Der Supreme Court hatte zuvor das Urteil Roe vs. Wade aus dem Jahr 1973 gekippt, in dem das verfassungsmäßige Recht der Frau auf Abtreibung anerkannt wurde.
© Quelle: Reuters
So profitierten sie im vergangenen Jahr von dem wachsenden Frust von Eltern in den Vorstadtgebieten über die langen Schulschließungen wegen Corona. Und vor dem Hintergrund der stark gestiegenen Inflation hat der Parteivorstand Aktionen zur Wählerregistrierung an Tankstellen in städtischen Vororten in Wechselwählerstaaten wie Arizona, Nevada, Michigan und Pennsylvania organisiert - mit dem Ziel, die rekordhohen Benzinpreise mit der Biden-Regierung zu verknüpfen. Auch wurden die Republikaner nicht müde, den Präsidenten für den anhaltenden Mangel an bestimmter Babynahrung verantwortlich zu machen.
„Biden und die Demokraten haben auf klägliche Weise die Verbindung zum amerikanischen Volk verloren, und das ist es, weshalb Wähler in Scharen zur Republikanischen Partei strömen“, sagte Parteichefin Ronna McDaniel der AP. Sie prophezeite, dass amerikanische Vorstädte über eine Reihe von Wahlzyklen hinweg zu „Rot tendieren“ würden – Rot steht in den USA für die Republikaner, Blau für die Demokraten.
Republikaner dürfen nicht nur dagegen sein
Manche konservative Führungspersonen sorgen sich indes, dass die besonders wichtigen Zugewinne für die Partei in den Vorstädten begrenzt sein werden, wenn die Republikaner den Wählern dort nicht besser als bisher erklärten, wofür sie stehen – anstatt wogegen sie sind.
Emily Seidel von der Graswurzelorganisation Americans for Prosperity berichtet von Beobachtungen ihres Netzwerkes, denen zufolge sich Wähler in den Vororten von Demokraten distanzieren, die „extreme politische Positionen vertreten“. Aber das bedeute nicht zwangsläufig, dass sie auch bereit seien, gegen jene Leute zu stimmen. „Offen gesagt, sie sind skeptisch gegenüber beiden Optionen, die sie haben“, so Seidel. „Die Lehre hier: Kandidaten müssen sich für etwas einsetzen, sie müssen Wählern etwas geben, wofür sie eintreten, nicht nur etwas, wogegen sie sind.“
RND/AP
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