Verstrahlte Debattenkultur um Kernenergie – Kompromiss statt Ideologie
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Das Kernkraftwerk Isar 2 wird nach aktuellem Stand spätestens am 31. Dezember 2022 abgestellt.
© Quelle: imago/JOKER
Von Friedrich Nietzsche stammt der Satz, Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen. An Überzeugungen mangelt es in unserem Land nicht, eher an Expertise. Gefährlich wird es genau dann, wenn Überzeugungen, gern auch als Ideologie verpackt, pragmatische Lösungen verhindern oder Debatten blockieren. In fast jedem Land, jeder Kultur gibt es solche thematischen Minenfelder, auf denen der freie, unvoreingenommene Austausch von Argumenten kaum noch möglich ist. Stichwort Waffenrecht in den USA oder Abtreibung in Polen. In Deutschland betrifft das, wenn auch weniger überhitzt, die Debatte über Kernenergie oder Atomstrom. Schon die Wortwahl wird als Bekenntnis missdeutet, weshalb ich beide Begriffe benutze – um meine Unvoreingenommenheit zu unterstreichen.
Dabei müssen wir und mit uns die ganze Welt gerade bitter erfahren, dass diese politisch so stürmischen Zeiten von uns vor allem eine Eigenschaft abverlangen: Pragmatismus. Die Fähigkeit also, auf eine sich verändernde Situation zu reagieren, neu zu denken, auch mal das infrage zu stellen, was gestern richtig schien. Zurück zum Thema Atom- oder Kernenergie: Mit dem Atomausstiegsbeschluss von 2011 ist Deutschland, so scheint es, auch aus der Debatte ausgestiegen. Das rächt sich jetzt. Beide Lager – Befürworter und Gegner – sehen sich durch die Entwicklung der letzten Jahre bestätigt. Die Fronten haben sich eher verfestigt. Grautöne sind kaum zu finden. Experten, die etwas vom Thema verstehen und sich keinem der Lager zugehörig zählen, ebenso wenig.
Bundesfinanzminister Lindner will Diskussion über Atomkraft-Rückkehr
Deutschland muss nach Ansicht des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner in der Energiedebatte auch offen über eine Rückkehr zur Kernkraft diskutieren.
© Quelle: dpa
Ergebnisoffen diskutieren
Die unserer Gesellschaft oft nachgesagte Neigung, mitunter Lösungen zu blockieren, weil wir zu lange, zu ideologisch, zu kategorisch argumentieren, wird da zum handfesten Problem, welches den Wohlstand der weltweit drittgrößten Exportnation gefährdet. Wir müssen auf die globale Erderwärmung konsequenter reagieren. Und können es uns nicht leisten, dauerhaft den teuersten Strom der Welt zu produzieren. Also sind Kompromisse gefragt, die vielleicht wehtun, aber uns überleben lassen. Daher wäre es zunächst einmal richtig und wichtig, ergebnisoffen zu diskutieren, ob der vor elf Jahren beschlossene Ausstieg noch heute seine Berechtigung hat. Gut möglich, dass man schnell zum Resultat kommt, dass es für eine Laufzeitverlängerung bereits zu spät ist, weil es nicht möglich ist, schnell für einen Nachschub an Brennstäben für die verbliebenen drei Meiler zu sorgen. Und weil es ein Wahnsinn wäre, das Ausstiegspaket mit den komplexen Entschädigungszahlungen für die Betreiber wieder aufzuschnüren.
Was man aber hört, sind die altbekannten Argumente – von beiden Seiten: Atomkraft ist keine Lösung, weil die ungeklärte Müllfrage bleibt, was angesichts der giftigen von Kohle- und Gasverstromung wie Hohn klingt. Während die andere Seite uns eine „grüne Kernenergie“ verspricht und alle Fragen von Entsorgung und Sicherheit kleinredet. Eine verstrahlte Debatte.
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