Waisenkind, Milliardär, Friedensverhandler: der undurchsichtige Roman Abramowitsch
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/2DVRMCIRZVH5FDRBSLPX6MW52M.jpg)
Roman Abramowitsch ist ein gefragter Gesprächspartner.
© Quelle: IMAGO/ITAR-TASS
Wo seine Jachten liegen, ist bekannt. Die „Eclipse“ und die „Solaris“ sind allerdings auch schwer zu übersehen. Mehr als 100 Meter lang müssen Schiffe schon messen, um Roman Abramowitschs Wohlgefallen zu finden. Seit Kurzem hat er seine schwimmenden Luxusspielzeuge in türkischen Häfen geparkt, um westlichen Sanktionen zu entgehen.
Seine eigene Position zwischen Ost und West ist dagegen nicht so eindeutig auszumachen. Abramowitsch gilt als schwer ausrechenbar und noch dazu als verschwiegen. Das sind hilfreiche Eigenschaften, um aus ärmsten Verhältnissen mit Öl-, Gas- und Aluminiumgeschäften im Dunstkreis des Kremls zu einem der reichsten Menschen der Welt aufzusteigen.
+++ Alle News und aktuellen Entwicklungen im Liveblog +++
In seinen knapp zwei Jahrzehnten als Besitzer des FC Chelsea soll Abramowitsch keine einzige seiner Entscheidungen öffentlich begründet haben – nicht einmal, als er Ende Februar die „Verantwortung und Fürsorge“ für den Verein an die „Treuhänder der wohltätigen Chelsea-Stiftung“ abtrat, wie er auf der Internetseite des Vereins mitteilte.
Der erste Superreiche in der Premier League
Für umgerechnet rund 210 Millionen Euro hatte er den Klub 2003 erstanden. Er war der erste Superreiche, der sich eine eigene Fußballmannschaft in der englischen Premier League zulegte. Nun aber war Abramowitsch ins Visier der britischen Regierung geraten, die unter der bis dahin allzu großzügigen Aufnahme von russischen Oligarchen einen demonstrativen Schlussstrich ziehen will.
Undurchsichtig sind auch die aktuellen Nachrichten um Abramowitsch: Wurde er bei seinen Vermittlungen zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul Opfer eines Giftanschlags – oder röteten andere Ursachen seine Augen und brachten sie zum Tränen? Stecken Hardliner aus Moskau hinter der vermuteten Aktion, die ein Ende des Krieges verhindern wollen? Oder liegt ihm selbst an solchen Schlagzeilen?
Spekulationen von Geheimdiensten, Unterhändlern und Medien machen die Runde. Bei den Verhandlungen ist er weiterhin dabei.
Es ließe sich auch noch eine andere Frage stellen: Wieso gehört Abramowitsch überhaupt zu den Verhandlungspartnern? Nach Medienberichten reist Abramowitsch derzeit zwischen Russland und der Ukraine hin und her und versucht, in dem Konflikt zu vermitteln – offenbar mit einem in der Türkei registrierten Flugzeug. Sein Privatjet darf wegen Sanktionen der Europäischen Union nicht im europäischen Luftraum unterwegs sein, wie der „Tagesspiegel“ weiß.
Waisenkind Abramowitsch
So eine viel beachtete Karriere zwischen den Frontlinien war für den kleinen Roman kaum abzusehen. Seine Familie väterlicherseits stammt aus Weißrussland, seine Mutter aus der Ukraine. Abramowitsch, 1966 geboren, verlor seine Mutter nach einer Abtreibung, als er gerade einmal eineinhalb Jahre alt war. Der Vater starb wenige Jahre später bei einem Unfall. Abramowitsch wuchs bei einem Onkel in Nordwestrussland auf. Als Sohn jüdischer Eltern war es ihm später möglich, israelischer Staatsbürger zu werden. Auch einen portugiesischen Pass besitzt er.
In Moskau studierte Abramowitsch Ingenieurswissenschaft. Sein erstes Unternehmen gründete er, als er kaum 20 war. Damals zog die Perestroika herauf – und das staatliche Gewaltmonopol zerbarst. Bald stieg er ins Ölgeschäft ein. Der damalige Präsident Boris Jelzin hielt wohl seine schützende Hand über ihn. Von da an bleibt vieles im Unklaren beim Werdegang des Roman Abramowitsch.
Viel Geld machte Abramowitsch mit privatisierten Staatsunternehmen, die er für ein Butterbrot kaufte und mit viel Gewinn wieder losschlug. Spätestens, als der halbstaatliche Gaskonzern Gazprom die Mehrheit an Abramowitschs Ölunternehmen Sibneft übernahm, galt das einstige Waisenkind als steinreich.
Abramowitsch, der Gouverneur
Abramowitsch war schon einflussreich, als Putin 1999 an die Staatsspitze aufstieg. Der Geschäftsmann soll die Gründung von Putins Partei „Einiges Russland“ mitfinanziert haben.
Zwischendurch mischte Abramowitsch selbst als Gouverneur der Region Tschukotka in der Politik mit. In dieser entlegenen Ecke Russlands leben auf einem Gebiet von der doppelten Größe der Bundesrepublik gerade einmal 50.000 Menschen. Abramowitsch ließ großzügig Krankenhäuser, Hochschulen und Straßen in der bettelarmen Provinz bauen, finanziert aus seinem Privatvermögen. Wie sich Armut anfühlt, wusste er aus seiner Kindheit.
Zum Zerwürfnis mit Putin ist es offenbar nie gekommen. Abramowitsch war anders als andere Oligarchen wie Michail Chodorkowski bereit, sich dessen Machtsystem unterzuordnen. Zwischendurch suchte er in der Schweiz eine neue Heimat, doch dort wollten ihn die Behörden nicht haben: Sie verdächtigten Abramowitsch, Geldwäsche zu betreiben und Kontakt zu kriminellen Organisationen zu pflegen.
Abramowitsch suchte sich derweil andere Beschäftigungen – als Yachtbesitzer, Fußballklubbesitzer und als Kunstsammler. Ein Triptychon von Francis Bacon ließ er sich mehr als 80 Millionen Dollar kosten.
Europa mag ihn geächtet haben, aber nun scheint er zurück zu sein. Spekuliert wird dabei nur über seine Beweggründe als Verhandler über einen möglichen Frieden zwischen Russland und Ukraine. Angeblich hat ihn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj über eine Kontaktperson darum gebeten.
Laut „Wall Street Journal“ hat Selenskyj US-Präsident Joe Biden gebeten, Abramowitsch vorerst nicht zu sanktionieren. Selenskyj sieht in ihm demnach einen potenten Wiederaufbauhelfer für das zerbombte Land. Abramowitsch soll, wie andere russische Oligarchen auch, angeboten haben, sich in der Ukraine geschäftlich zu engagieren.
Geht es Abramowitsch bei seinem neuen Job zuerst um die Beendigung des Krieges, gegen den sich zumindest seine Tochter Sofia eindeutig ausgesprochen hat? Oder will er vor allem seine ökonomischen Interessen stärken? Oder ist er womöglich nur eine Marionette Putins? Roman Abramowitsch bleibt eine undurchsichtige Figur der Zeitgeschichte.