Waffen für die Ukraine, Wirtschaft ohne China, Windkraft in Bayern – was 2023 bringen wird
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2023 hat gerade begonnen. Was bringt das neue Jahr politisch mit sich?
© Quelle: Sebastian Kahnert/dpa
Es gibt keine Atempause im Krieg. Das Jahr 2023 beginnt so dramatisch, wie das alte endete – mit dem Versuch Russlands, die Ukraine durch das Bombardement ihrer Infrastruktur zu zerstören. Es ist zu befürchten, dass das Vorgehen Putins gegen die Ukraine mit allen seinen negativen Auswirkungen auf Energieversorgung, Wirtschaft und Geldwertstabilität in Deutschland und Europa auch das Jahr 2023 bestimmt. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass man auch zur nächsten Jahreswende noch vom Krieg in der Ukraine wird reden müssen.
Ob und in welchem Ausmaß das der Fall sein wird, hängt zum Glück nicht allein von Putin und seinen Großmachtfantasien ab. Die EU und die Nato haben den Fortgang mit in der Hand. Der Militärexperte Carlo Masala empfahl bereits im November den westlichen Ländern eine neue Strategie gegenüber Russland. „Vielleicht wäre es an der Zeit, dass wir gegenüber den Russen unberechenbarer werden“, sagte Masala in der Sendung „Maischberger“. Seine Argumentationslinie: Bisher habe die Nato den Russen nur in zwei Punkten Grenzen gesetzt: Man werde sich bei der Anwendung von Nuklearwaffen oder bei einem russischen Überfall auf einen Mitgliedsstaat wehren.
Waffenlieferungen
Als die Nato diese Linie festlegte, die im Prinzip auch Haltung der EU ist, war nicht eingepreist, dass Russland im Winter durch das Bombardement der Infrastruktur einen Vernichtungskrieg gegen die ukrainische Zivilbevölkerung führen würde. Die demokratischen Staaten werden 2023 die Frage beantworten müssen, ob sie der Eskalation Putins eine Reaktion folgen lassen, die über ein erneutes Sanktionspaket oder die Lieferung weiterer Abwehrwaffen hinausgeht.
Ich rechne nicht mit einem Ende des Krieges im nächsten Jahr, wenn unsere militärische Unterstützung auf dem Niveau wie bisher bleibt.
Claudia Major,
Sicherheitsexpertin
Politikwissenschaftler Masala hat eine These, wie sich der Weg für Friedensverhandlungen öffnen lässt: „Indem die Ukraine so ausgerüstet wird, dass sie in der Lage ist, noch mehr Territorium zurückzuerobern, sodass Russland realisiert, dass das Halten des Restterritoriums viel zu teuer ist, zu viele Opfer fordert und zu viele Ressourcen bindet, sodass Russland sich dann komplett aus der Ukraine zurückzieht.“ Die Sicherheitsexpertin Claudia Major sieht das ähnlich: „Ich rechne nicht mit einem Ende des Krieges im nächsten Jahr, wenn unsere militärische Unterstützung auf dem Niveau wie bisher bleibt“, sagte sie im RND-Interview.
Die Geländegewinne, die die Ukraine in den vergangenen Monaten erzielen konnte, haben keinen Wendepunkt im Krieg bringen können. Im Gegenteil: Die Zivilbevölkerung leidet mehr als in den ersten Monaten. Die nächsten Monate werden also in Deutschland und bei seinen Verbündeten bestimmt sein von der fortgesetzten Debatte über die Lieferungen von Munition, Luftverteidigung, Drohnen, Artillerie sowie von Kampf- und Schützenpanzern.
Für Kanzler Olaf Scholz und seine Regierung wird sich außenpolitisch der Druck erhöhen, die der Ukraine zugesicherte Solidarität auch wirksam zu leisten. Die anhaltenden ökonomischen und sozialen Auswirkungen des Kriegs lassen hingegen die Bereitschaft in der deutschen Bevölkerung sinken, für die Ukraine zu leiden.
Energiekrise
Zugleich wird 2023 das Jahr, in dem sich mit ganzer Härte zeigt, was es bedeutet, ohne russisches Öl und ohne russisches Gas zu leben – im Preis, in der Versorgung und in der Bevorratung für den nächsten Winter. Zugleich sollen im April endgültig die letzten drei Atommeiler in Deutschland vom Netz gehen. Die Debatte um die Atomkraft wird voraussichtlich abermals aufflammen.
Deutschland und die Welt
Auch ohne die übergroßen Herausforderungen durch den Krieg wäre das zweite Regierungsjahr für die Ampel schwierig geworden. Außenpolitisch streitet die Regierung über eine neue Sicherheitsstrategie, die eigentlich zur Münchner Sicherheitskonferenz im Februar fertig sein sollte. Wie sich Deutschland auf dem europäischen Parkett nach der Regierungszeit von Angela Merkel definiert, ist ebenfalls noch nicht ausbuchstabiert – jedenfalls nicht zur Zufriedenheit der Partner in der EU.
Auch die vereinbarte Strategie im Umgang mit China, die im ersten Quartal 2023 kommen sollte, liegt noch im Zwist zwischen den Koalitionären: Die Weltmacht ist Systemrivale und Wirtschaftspartner zugleich – nur welche Rolle soll Deutschland stärker betonen? Klar ist, dass die China-Strategie auf jeden Fall eine Reduzierung der Abhängigkeit vom chinesischen Markt beinhalten soll, um die Risiken für Techunternehmen und Autoproduktion zu reduzieren. Eine Datenstrategie aus dem Verkehrsressort von Wissing soll es 2023 übrigens auch geben, durch die Deutschland das eigene Potenzial an Daten in Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft besser nutzt.
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Ex-Bundespräsident Joachim Gauck: „Ich möchte sehen, dass das Morden aufhört“
Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck spricht im Interview mit dem RND über Putins Absichten gegen die Bevölkerung der Ukraine. Er erklärt, warum er die AfD für gefährlicher hält als die „Reichsbürger“ und warum für ihn Fridays for Future die wirksamere Protestbewegung für Klimaschutz ist als die Letzte Generation.
Die soziale Frage
Die Ampel geht mit großem Ballast in ihr zweites Regierungsjahr außen- wie innenpolitisch – zumal die steten Hinweise, die Vorgängerregierung habe die Probleme und einen Reformstau hinterlassen, an Argumentationskraft verlieren. Beispiel: neues Gesetz zum Wohngeld. Ab sofort haben zwei Millionen Haushalte Anspruch auf das Wohngeld – statt wie bisher nur 600.000. In Wahrheit werden die zusätzlich Berechtigten wegen Überforderung der Verwaltung monatelang auf die Zahlungen warten müssen. 2023 wird also auch die Nagelprobe für den sogenannten Doppelwumms des Kanzlers. Noch ist unklar, ob die 200 Milliarden Euro konkret die gestiegenen Preise für Strom, Gas und beim Supermarkteinkauf so abfedern können, dass sich auch Menschen mit kleinen Einkommen ihr Leben noch leisten können.
Vier Landtagswahlen
Auch ohne gleich die Vorsilbe „Super“ vor dieses Wahljahr zu hängen, hat es 2023 doch in sich. Berlin muss seine verpatzte Abgeordnetenhauswahl am 12. Februar wiederholen. Bremen wählt am 14. Mai. Im Herbst folgen Bayern (8. Oktober) und Hessen. Berlin wird spannend. Die SPD der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey liegt je nach Umfrage im Abstand von ein bis 3 Prozentpunkten zu Grünen und CDU. In Bremen stehen die Chancen für den Sozialdemokraten Andreas Bovenschulte nicht schlecht, dass er Bürgermeister bleibt.
Der bayerische Wahlkampf wiederum hält die Republik traditionell dadurch in Atem, dass die CSU ihn vor allem gegen die Bundesregierung in Berlin führt. Ministerpräsident Markus Söder braucht einen souveränen Wahlsieg, um sich als möglicher Kanzlerkandidat 2025 auf die Berliner Bühne zurückzukatapultieren. Ungemach droht der Ampelregierung mit dem hessischen Wahlkampf. Wenn die amtierende Innenministerin Nancy Faeser (SPD) Spitzenkandidatin wird, ohne auf ihr Bundesministerium zu verzichten und ohne zu versprechen, im Fall einer Wahlniederlage als Oppositionsführerin in Wiesbaden zu bleiben, dann wird es statt hessischer Themen eine andauernde Faeser-Debatte geben. Das wiederum würde die Chancen erhöhen, dass entweder Schwarz-Grün unter Boris Rhein (CDU) im Amt bleibt oder daraus Grün-Schwarz wird wie in Baden-Württemberg.
Wahlwiederholung in Berlin erfordert zwei neue Termine
Die Berlinerinnen und Berliner müssen sich bei den aufgrund von Pannen notwendig gewordenen Wahlwiederholungen im nächsten Jahr auf zwei Termine einstellen.
© Quelle: dpa
Die Versprechen der Koalition
Diese Landtagswahlkämpfe haben das Potenzial, das im Koalitionsvertrag gegebene Versprechen „Mehr Fortschritt wagen“ auch jenseits der dramatischen weltpolitischen Lage auszubremsen. Dabei müsste Deutschland 2023 so dringend unter Beweis stellen, dass der Staat funktions- und reformfähig ist. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Fähigkeiten der Parteien, Probleme zu lösen, war laut Meinungsforschungsinstitut Forsa Ende des vergangenen Jahres auf einem Tiefpunkt angekommen. Das ist besorgniserregend, weil es mit der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger einhergeht, dass zu viel nicht oder nur mühsam funktioniert – von der Deutschen Bahn über das Gesundheitswesen bis zur Kinderbetreuung. Ganz zu schweigen von der Dauer bei Baugenehmigungen oder der Nachbesetzung von Schulleitungen. Viel zu oft werden Verantwortungen zwischen Stadt, Land und Bund oder zwischen Behörden hin- und hergeschoben und verschlingen dabei Milliardensummen. Justizminister Marco Buschmann hat für 2023 ein Gesetz zum Bürokratieabbau angekündigt – es wäre das vierte seiner Art seit 2015.
Das Gefühl von Staatsversagen gibt den Rechtspopulisten Wasser auf die Mühlen, die nur allzu gerne verärgerte, verarmte oder verzweifelte Bürgerinnen und Bürger abholen und gegen das System aufhetzen. Corona wird in diesem Jahr wahrscheinlich nicht mehr dafür taugen, dass die AfD ihr Süppchen auf den Schutzmaßnahmen kocht. Ob es jedoch 2023 in der auslaufenden Pandemie Entlastung in den Kliniken und Arztpraxen gibt und wann Krankenwagen wieder kommen können, wenn man sie dringend braucht, ist offen.
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Hauptstadt-Radar
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Der Klimawandel
Schaut man auf die Geschwindigkeit, in der Deutschland die LNG-Terminals zum Anlanden von Flüssiggas bauen konnte, denkt man: geht doch. Der Jahreswechsel bei Frühlingstemperaturen steht wie ein Symbol am Anfang von 2023, dass ein solches Tempo, ein so unbürokratisches Vorgehen auch bei der Energiewende notwendig ist. Die Fridays for Future Führungsfrau Luisa Neubauer verweist sarkastisch darauf, dass in Bayern im vergangenen Jahr mehr als dreimal so viele Klimaaktivisten und ‑aktivistinnen verhaftet worden seien, wie Windräder aufgestellt wurden.
In der Tat droht die Ampelregierung ihre selbst gesteckten Ziele beim Windkraftausbau und bei den CO₂-Einsparungen im Verkehrssektor zu verfehlen. Am Ende des Jahres 2023 ist schon Halbzeit für die Ampel – 2023 ist also auch das Jahr, in dem die Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg gebracht werden müssen, die in dieser Wahlperiode noch Wirkung entfalten sollen.