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Blick voraus

Waffen für die Ukraine, Wirtschaft ohne China, Windkraft in Bayern – was 2023 bringen wird

2023 hat gerade begonnen. Was bringt das neue Jahr politisch mit sich?

2023 hat gerade begonnen. Was bringt das neue Jahr politisch mit sich?

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Es gibt keine Atempause im Krieg. Das Jahr 2023 beginnt so dramatisch, wie das alte endete – mit dem Versuch Russlands, die Ukraine durch das Bombardement ihrer Infrastruktur zu zerstören. Es ist zu befürchten, dass das Vorgehen Putins gegen die Ukraine mit allen seinen negativen Auswirkungen auf Energie­versorgung, Wirtschaft und Geldwert­stabilität in Deutschland und Europa auch das Jahr 2023 bestimmt. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass man auch zur nächsten Jahreswende noch vom Krieg in der Ukraine wird reden müssen.

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Ob und in welchem Ausmaß das der Fall sein wird, hängt zum Glück nicht allein von Putin und seinen Großmacht­fantasien ab. Die EU und die Nato haben den Fortgang mit in der Hand. Der Militär­experte Carlo Masala empfahl bereits im November den westlichen Ländern eine neue Strategie gegenüber Russland. „Vielleicht wäre es an der Zeit, dass wir gegenüber den Russen unberechenbarer werden“, sagte Masala in der Sendung „Maischberger“. Seine Argumentationslinie: Bisher habe die Nato den Russen nur in zwei Punkten Grenzen gesetzt: Man werde sich bei der Anwendung von Nuklear­waffen oder bei einem russischen Überfall auf einen Mitglieds­staat wehren.

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Waffenlieferungen

Als die Nato diese Linie festlegte, die im Prinzip auch Haltung der EU ist, war nicht eingepreist, dass Russland im Winter durch das Bombardement der Infrastruktur einen Vernichtungskrieg gegen die ukrainische Zivilbevölkerung führen würde. Die demokratischen Staaten werden 2023 die Frage beantworten müssen, ob sie der Eskalation Putins eine Reaktion folgen lassen, die über ein erneutes Sanktions­paket oder die Lieferung weiterer Abwehrwaffen hinausgeht.

Ich rechne nicht mit einem Ende des Krieges im nächsten Jahr, wenn unsere militärische Unterstützung auf dem Niveau wie bisher bleibt.

Claudia Major,

Sicherheitsexpertin

Politikwissenschaftler Masala hat eine These, wie sich der Weg für Friedens­verhandlungen öffnen lässt: „Indem die Ukraine so ausgerüstet wird, dass sie in der Lage ist, noch mehr Territorium zurück­zuerobern, sodass Russland realisiert, dass das Halten des Restterritoriums viel zu teuer ist, zu viele Opfer fordert und zu viele Ressourcen bindet, sodass Russland sich dann komplett aus der Ukraine zurück­zieht.“ Die Sicherheits­expertin Claudia Major sieht das ähnlich: „Ich rechne nicht mit einem Ende des Krieges im nächsten Jahr, wenn unsere militärische Unterstützung auf dem Niveau wie bisher bleibt“, sagte sie im RND-Interview.

Die Gelände­gewinne, die die Ukraine in den vergangenen Monaten erzielen konnte, haben keinen Wendepunkt im Krieg bringen können. Im Gegenteil: Die Zivilbevölkerung leidet mehr als in den ersten Monaten. Die nächsten Monate werden also in Deutschland und bei seinen Verbündeten bestimmt sein von der fortgesetzten Debatte über die Lieferungen von Munition, Luftverteidigung, Drohnen, Artillerie sowie von Kampf- und Schützen­panzern.

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Für Kanzler Olaf Scholz und seine Regierung wird sich außen­politisch der Druck erhöhen, die der Ukraine zugesicherte Solidarität auch wirksam zu leisten. Die anhaltenden ökonomischen und sozialen Auswirkungen des Kriegs lassen hingegen die Bereitschaft in der deutschen Bevölkerung sinken, für die Ukraine zu leiden.

Energiekrise

Zugleich wird 2023 das Jahr, in dem sich mit ganzer Härte zeigt, was es bedeutet, ohne russisches Öl und ohne russisches Gas zu leben – im Preis, in der Versorgung und in der Bevorratung für den nächsten Winter. Zugleich sollen im April endgültig die letzten drei Atommeiler in Deutschland vom Netz gehen. Die Debatte um die Atomkraft wird voraussichtlich abermals aufflammen.

Deutschland und die Welt

Auch ohne die übergroßen Heraus­forderungen durch den Krieg wäre das zweite Regierungsjahr für die Ampel schwierig geworden. Außen­politisch streitet die Regierung über eine neue Sicherheits­strategie, die eigentlich zur Münchner Sicherheits­konferenz im Februar fertig sein sollte. Wie sich Deutschland auf dem europäischen Parkett nach der Regierungszeit von Angela Merkel definiert, ist ebenfalls noch nicht ausbuchstabiert – jedenfalls nicht zur Zufriedenheit der Partner in der EU.

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Auch die vereinbarte Strategie im Umgang mit China, die im ersten Quartal 2023 kommen sollte, liegt noch im Zwist zwischen den Koalitionären: Die Weltmacht ist System­rivale und Wirtschafts­partner zugleich – nur welche Rolle soll Deutschland stärker betonen? Klar ist, dass die China-Strategie auf jeden Fall eine Reduzierung der Abhängigkeit vom chinesischen Markt beinhalten soll, um die Risiken für Techunternehmen und Auto­produktion zu reduzieren. Eine Daten­strategie aus dem Verkehrs­ressort von Wissing soll es 2023 übrigens auch geben, durch die Deutschland das eigene Potenzial an Daten in Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft besser nutzt.

Joachim Gauck, Bundespraesident a.D., aufgenommen im Rahmen eines Interviews. Berlin, 14.12.2022.

Ex-Bundespräsident Joachim Gauck: „Ich möchte sehen, dass das Morden aufhört“

Der frühere Bundes­präsident Joachim Gauck spricht im Interview mit dem RND über Putins Absichten gegen die Bevölkerung der Ukraine. Er erklärt, warum er die AfD für gefährlicher hält als die „Reichsbürger“ und warum für ihn Fridays for Future die wirksamere Protestbewegung für Klima­schutz ist als die Letzte Generation.

Die soziale Frage

Die Ampel geht mit großem Ballast in ihr zweites Regierungsjahr außen- wie innen­politisch – zumal die steten Hinweise, die Vorgänger­regierung habe die Probleme und einen Reformstau hinterlassen, an Argumentationskraft verlieren. Beispiel: neues Gesetz zum Wohngeld. Ab sofort haben zwei Millionen Haushalte Anspruch auf das Wohngeld – statt wie bisher nur 600.000. In Wahrheit werden die zusätzlich Berechtigten wegen Überforderung der Verwaltung monatelang auf die Zahlungen warten müssen. 2023 wird also auch die Nagelprobe für den sogenannten Doppelwumms des Kanzlers. Noch ist unklar, ob die 200 Milliarden Euro konkret die gestiegenen Preise für Strom, Gas und beim Supermarkt­einkauf so abfedern können, dass sich auch Menschen mit kleinen Einkommen ihr Leben noch leisten können.

Vier Landtagswahlen

Auch ohne gleich die Vorsilbe „Super“ vor dieses Wahljahr zu hängen, hat es 2023 doch in sich. Berlin muss seine verpatzte Abgeordnetenhaus­wahl am 12. Februar wiederholen. Bremen wählt am 14. Mai. Im Herbst folgen Bayern (8. Oktober) und Hessen. Berlin wird spannend. Die SPD der Regierenden Bürger­meisterin Franziska Giffey liegt je nach Umfrage im Abstand von ein bis 3 Prozentpunkten zu Grünen und CDU. In Bremen stehen die Chancen für den Sozial­demokraten Andreas Bovenschulte nicht schlecht, dass er Bürger­meister bleibt.

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Der bayerische Wahlkampf wiederum hält die Republik traditionell dadurch in Atem, dass die CSU ihn vor allem gegen die Bundes­regierung in Berlin führt. Minister­präsident Markus Söder braucht einen souveränen Wahlsieg, um sich als möglicher Kanzler­kandidat 2025 auf die Berliner Bühne zurück­zukatapultieren. Ungemach droht der Ampel­regierung mit dem hessischen Wahlkampf. Wenn die amtierende Innen­ministerin Nancy Faeser (SPD) Spitzen­kandidatin wird, ohne auf ihr Bundes­ministerium zu verzichten und ohne zu versprechen, im Fall einer Wahlniederlage als Oppositions­führerin in Wiesbaden zu bleiben, dann wird es statt hessischer Themen eine andauernde Faeser-Debatte geben. Das wiederum würde die Chancen erhöhen, dass entweder Schwarz-Grün unter Boris Rhein (CDU) im Amt bleibt oder daraus Grün-Schwarz wird wie in Baden-Württemberg.

Wahlwiederholung in Berlin erfordert zwei neue Termine
Stimmabgabe zur Berliner Abgeordnetenhauswahl am 26. September 2021.

Die Berlinerinnen und Berliner müssen sich bei den aufgrund von Pannen notwendig gewordenen Wahlwiederholungen im nächsten Jahr auf zwei Termine einstellen.

Die Versprechen der Koalition

Diese Landtags­wahlkämpfe haben das Potenzial, das im Koalitions­vertrag gegebene Versprechen „Mehr Fortschritt wagen“ auch jenseits der dramatischen weltpolitischen Lage auszubremsen. Dabei müsste Deutschland 2023 so dringend unter Beweis stellen, dass der Staat funktions- und reform­fähig ist. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Fähigkeiten der Parteien, Probleme zu lösen, war laut Meinungs­forschungs­institut Forsa Ende des vergangenen Jahres auf einem Tiefpunkt angekommen. Das ist besorgnis­erregend, weil es mit der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger einhergeht, dass zu viel nicht oder nur mühsam funktioniert – von der Deutschen Bahn über das Gesundheits­wesen bis zur Kinder­betreuung. Ganz zu schweigen von der Dauer bei Baugenehmigungen oder der Nachbesetzung von Schulleitungen. Viel zu oft werden Verantwortungen zwischen Stadt, Land und Bund oder zwischen Behörden hin- und hergeschoben und verschlingen dabei Milliarden­summen. Justiz­minister Marco Buschmann hat für 2023 ein Gesetz zum Bürokratie­abbau angekündigt – es wäre das vierte seiner Art seit 2015.

Das Gefühl von Staats­versagen gibt den Rechts­populisten Wasser auf die Mühlen, die nur allzu gerne verärgerte, verarmte oder verzweifelte Bürgerinnen und Bürger abholen und gegen das System aufhetzen. Corona wird in diesem Jahr wahrscheinlich nicht mehr dafür taugen, dass die AfD ihr Süppchen auf den Schutz­maßnahmen kocht. Ob es jedoch 2023 in der auslaufenden Pandemie Entlastung in den Kliniken und Arztpraxen gibt und wann Kranken­wagen wieder kommen können, wenn man sie dringend braucht, ist offen.

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Der Klimawandel

Schaut man auf die Geschwindigkeit, in der Deutschland die LNG-Terminals zum Anlanden von Flüssiggas bauen konnte, denkt man: geht doch. Der Jahres­wechsel bei Frühlings­temperaturen steht wie ein Symbol am Anfang von 2023, dass ein solches Tempo, ein so unbürokratisches Vorgehen auch bei der Energie­wende notwendig ist. Die Fridays for Future Führungsfrau Luisa Neubauer verweist sarkastisch darauf, dass in Bayern im vergangenen Jahr mehr als dreimal so viele Klima­aktivisten und ‑aktivistinnen verhaftet worden seien, wie Windräder aufgestellt wurden.

In der Tat droht die Ampel­regierung ihre selbst gesteckten Ziele beim Windkraft­ausbau und bei den CO₂-Einsparungen im Verkehrs­sektor zu verfehlen. Am Ende des Jahres 2023 ist schon Halbzeit für die Ampel – 2023 ist also auch das Jahr, in dem die Klimaschutz­maßnahmen auf den Weg gebracht werden müssen, die in dieser Wahlperiode noch Wirkung entfalten sollen.

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