Was die Entscheidung von Kanzler Scholz für den AKW-Betrieb bedeutet
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Das Atomkraftwerk Isar 2 in Bayern.
© Quelle: Armin Weigel/dpa
Hannover/Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Montag einen tagelangen Streit innerhalb der Ampelkoalition insbesondere zwischen den Grünen und der FDP mit einer klaren Ansage für beendet erklärt. Der SPD-Politiker wies die zuständigen Minister an, Gesetzesvorschläge zu machen, damit die drei Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland über das Jahresende hinaus weiterlaufen können.
Scholz machte damit von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. Demnach bestimmt der Kanzler „die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung“. Wir erklären, was seine Entscheidung nun bedeutet.
Kann die Laufzeit noch mal verlängert werden?
Nein, die verlängerte Laufzeit ist klar geregelt. „Es wird die gesetzliche Grundlage geschaffen, um den Leistungsbetrieb der Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland über den 31.12.2022 hinaus bis längstens zum 15.04.2023 zu ermöglichen“, heißt es in dem Schreiben des Kanzlers, das an Wirtschaftsminister Robert Habeck, Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) sowie Finanzminister Christian Lindner (FDP) adressiert ist. Der endgültige Atomausstieg ist damit also spätestens zum 14. April kommenden Jahres besiegelt, eine weitere Verlängerung der Laufzeiten wird es nicht geben.
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Werden neue Brennstäbe gekauft?
Auch hier gilt: nein. Neue Brennstäbe werden für den Streckbetrieb der drei Atommeiler nicht angeschafft. Das war eines der Grünen-Hauptanliegen. Die FDP hatte zuvor verlangt, alle drei AKW bis 2024 laufen zu lassen. Dafür allerdings hätten in der Tat neue Brennstäbe gekauft werden müssen.
Ist die Verlängerung des AKW Emsland sinnvoll?
Nach den ursprünglichen Plänen von Wirtschaftsminister Habeck war das Atomkraftwerk Emsland in Lingen als einziger der drei noch am Netz befindlichen Meiler nicht für den sogenannten Streckbetrieb vorgesehen. Nun ist es anders gekommen, obwohl der Weiterbetrieb des AKW Emsland auch aus der Sicht der niedersächsischen Landesregierung nicht erforderlich gewesen wäre.
Trotzdem will sie nun die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen. Das sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Montagabend in Hannover. „Entscheidend ist, dass der 15. April 2023 als spätestes endgültiges Ausstiegsdatum feststeht und keine neuen Brennstäbe gekauft werden“, betonte er.
Die niedersächsische Atomaufsicht sei auf die nun anstehenden Prüfschritte vorbereitet, sagte Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD). Zur Lösung der aktuellen Herausforderung werde das Atomkraftwerk in Lingen jedoch keinen wirklichen Beitrag leisten. „Wir haben im Norden nicht den Bedarf und schon jetzt sind die Brennstäbe im Wesentlichen aufgebraucht und die Leistung wird runtergefahren“, sagte Lies. Auch mit einer Neukonfiguration der vorhandenen Brennstäbe werde nur eine begrenzte Leistung des Kraftwerks möglich sein.
Entscheidung im AKW-Streit: Scholz für Mittelweg zwischen Grünen und FDP
Erstmals macht Olaf Scholz damit seit Antritt der Ampelkoalition von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch.
© Quelle: Reuters
Die Co-Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, sagte der Deutschen Presse-Agentur ebenfalls, das AKW Emsland sei für die Netzstabilität aber nicht erforderlich. FDP-Fraktionschef Christian Dürr hielt dagegen: „Auf das niedersächsische Kernkraftwerk sollten wir nicht verzichten. Meine große Sorge ist, dass auf das Gaskraftwerk zurückgegriffen werden muss, das nur wenige Hundert Meter vom AKW Emsland entfernt steht.“ Werde der Atommeiler abgeschaltet, müsse das Gaskraftwerk unter Volllast Gas verstromen, um die fehlende Menge auszugleichen.
Was ist die Richtlinienkompetenz?
Die Richtlinienkompetenz ist in Artikel 65 des Grundgesetzes verankert. Demnach bestimmt der Kanzler „die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung“. Weiter heißt es dort: „Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung.“ Mit seiner Entscheidung schafft Scholz nun einen Ausweg für Grüne und FDP, die sich mit unvereinbaren Positionen verhakt hatten.
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Von der Richtlinienkompetenz machen amtierende Bundeskanzler nur in besonderen Fällen Gebrauch. So hatte beispielsweise die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Jahr 2016 in der Frage, ob eine strafrechtliche Ermittlung gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten zugelassen werde, per Richtlinienkompetenz entschieden. Auf Basis dieser Entscheidung waren Ermittlungen gegen den deutschen Satiriker möglich.
Wie positionieren sich die Parteien?
Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, lobte den Beschluss von Kanzler Scholz als „eine angemessene, pragmatische Lösung für Atomkraft“. Sie schrieb auf Twitter: „Jetzt alle Kraft in den Ausbau der Erneuerbaren und Schnelligkeit bei Gas- und Strompreisbremse!“
Die Grünen-Führung reagierte reserviert. Klar sei aber, dass keine neuen Brennstäbe beschafft würden und alle deutschen AKW zum 15. April 2023 vom Netz gingen, sagte Co-Chefin Lang. Ähnlich äußerte sich Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). „Jetzt herrscht Klarheit: Es bleibt beim Atomausstieg“, schrieb sie auf Twitter.
Die FDP begrüßte den Beschluss, obwohl er auch hinter ihren Forderungen zurückblieb. Der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kruse, verbuchte die Entscheidung als Unterstützung für seine Partei. „Das Verhandlungsergebnis zeigt, dass sich gut begründete Positionen durchsetzen.“ Er erwarte als Folge auch sinkende Preise, weil das Signal gesendet werde, dass mehr Strom zur Verfügung stehen werde.
„Hier ging es weder um die Bürger noch um die Versorgungssicherheit, sondern ausschließlich um die Egos von Habeck und Lindner.“
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kanzelte die Entscheidung von Scholz indes als „absurdes Schmierentheater“ ab. „Nach der Wahl in Niedersachsen und nach dem Bundesparteitag der Grünen kommt diese Entscheidung. Hier ging es weder um die Bürger noch um die Versorgungssicherheit, sondern ausschließlich um die Egos von Habeck und Lindner“, sagte Bartsch den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Auch bei der Union erntete Scholz für seinen Vorstoß Kritik. Seine Entscheidung sei kein Machtwort, sondern ein „Zeichen von Schwäche“, teilte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Julia Klöckner, mit. „Die Bürger und Unternehmen warten auf echte Entlastung, die nur durch ein Mehr an Energie erreicht werden kann.“
AfD-Fraktionsvize Leif-Erik Holm sprach indes von einem faulen Kompromiss. „Laufzeiten nur bis zum nächsten Frühjahr sind zu kurz und reichen nicht aus, denn der kritische Winter folgt im nächsten Jahr.“
RND/tdi/dpa