TV-Koch Christian Rach über Gastrobranche: „Die großen Insolvenzwellen kommen erst 2021“
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Der Fernsehkoch Christian Rach hat selbst keine eigenen Restaurants mehr.
© Quelle: picture alliance / zb
Sie haben der deutschen Gastronomie schon letztes Jahr, als wir noch nichts von Corona wussten, eine dunkle Zukunft vorausgesagt. Was war damals der Grund?
Es gab einen extremen Notstand beim Personal, überall offene Stellen und keine Bewerber. Viele Missstände und viele Abwerbungen aus anderen Branchen wie zum Beispiel der Kreuzfahrtbranche haben wie ein Staubsauger im Personalgebiet gewirkt. Da wurde alles abgesaugt, was geht. Außerdem waren die Arbeitsbedingungen in der Gastrobranche katastrophal und sind es zum Großteil heute noch. Corona konnte man da noch nicht am Horizont sehen.
Nun leidet die Gastrobranche sehr unter den Corona-Beschränkungen. Wie schätzen Sie die Lage aktuell ein?
Es ist eine Katastrophe. Die versprochenen Hilfen kommen nicht wirklich an, es ist unglaublich kompliziert und geht von einem Lockdown in den nächsten. Die meisten Kollegen haben dieses Jahr schon sechs Monate zugehabt. Es wird vor März mit Sicherheit nichts mehr passieren, und dann ist die Frage: Wie viele werden das überleben? Der Staat hat vollmundig 75 Prozent des Umsatzes von November 2019 als Entschädigung versprochen. Ich weiß nicht, warum man das überhaupt so pauschal gemacht hat, aber wenn man es so macht, sollte man dafür sorgen, dass es dann auch so passiert. Ich kenne nur eine kleine Handvoll Gastronomen, die eine Abschlagszahlung von 10.000 Euro bekommen haben. Das ist natürlich eine Katastrophe. Wie soll das weitergehen? Die großen Insolvenzwellen kommen erst 2021.
Für wie sinnvoll halten Sie die Maßnahmen der Bundesregierung? Die Restaurants sind ja nun schon wieder seit Anfang November geschlossen.
Die Maßnahmen müssen wir alle mittragen in der Bevölkerung. Das heißt aber auch: Wir können nicht sagen: Glühweinpartys gehen, aber Restaurants, Konzerte und Veranstaltungen gehen nicht. Wenn Lockdown, dann richtig. Wenn man die Firmen zwingt, dichtzumachen, die Arbeitnehmer viel weniger Einkommen haben – 60 Prozent Kurzarbeitergeld reicht in den meisten Fällen hinten und vorne nicht –, muss man die Verwaltung auch so aufstellen, dass sie direkt in der Lage ist, das Versprochene auszuzahlen.
Das Konzept der Hilfen funktioniert Ihrer Meinung nach also nicht?
Die Idee ist gut, die Ausführung ist mangelhaft. Ich frage mich, wer das immer so entscheidet und warum sie nicht Menschen aus der Praxis dazuholen, Gastronomen oder Fachleute aus der Veranstaltungsbranche oder Künstler, die sagen können, wie das am besten vor Ort funktioniert und was gebraucht wird. Wenn ein Antrag so kompliziert ist, dass sogar Steuerberater zum Teil nicht durchblicken, wie soll das der einfache Gastronom oder Unternehmer neben all den Sorgen, die er jetzt hat, nebenher noch machen? Die Verwaltung könnte das mit zwei, drei Klicks selbstständig in die Wege leiten. Da wäre kein Betrug möglich. Alle nötigen Daten liegen doch vor. Ich verstehe nicht, warum man das Pferd von hinten aufzäumt und wieder neue Computerprogramme dafür schreibt und Antragsformulare druckt. Das dauert zu lange, das ist ein Sterben auf Raten.
Sie haben seit einigen Jahren selbst kein eigenes Restaurant mehr. Wollen Sie in Zukunft noch mal ein neues eröffnen, oder wie sind Ihre Pläne?
Nein, ich habe seit fast zehn Jahren kein Restaurant mehr. Warum soll ich jetzt noch eins eröffnen wollen? Ich bin über 60, habe in meinem Leben immer 80, 90 Stunden gearbeitet, arbeite jetzt auch immer noch mindestens 40, 50 Stunden die Woche. Ich glaube, es ist genug. Ich brauche kein Restaurant mehr zu eröffnen. (lacht)
Bei einigen Ihrer TV-Kollegen mit Restaurants läuft es aktuell nicht gut: Sarah Wiener musste Insolvenz anmelden, Tim Mälzer hat sich mehrfach öffentlich über Geldsorgen wegen seiner Restaurants beklagt. Viele hätten sicher gedacht, dass die prominenteren TV-Köche besser durchhalten als der Italiener um die Ecke. Warum ist das offenbar nicht so?
Tim Mälzer ist einer der wenigen, der das Kurzarbeitergeld für seine Mitarbeiter aus eigener Tasche auf 100 Prozent aufgestockt hat. Das ist unternehmerische Verantwortung, aber viele können das einfach nicht. Man muss aufhören zu denken, dass in der Gastronomie Millionen verdient werden. Ich kenne so viele Gastronomen, denen das Wasser seit Jahren bis zum Hals steht. Die leben immer von der Hand in den Mund, echte Kalkulationen fehlen. Diese betriebswirtschaftliche Situation rächt sich jetzt, und deswegen kämpfen nun ganz viele. Warum Sarah Wiener ihren Laden schließen muss, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur von Tim Mälzer, dass er unglaublich motiviert ist in dieser Krise, sich wahnsinnig für seine Mitarbeiter einsetzt und wirklich viel aus eigener Tasche zahlt. Weil er es kann. Nicht jeder, der es kann, tut es auch. Es gibt viele große andere Unternehmen, auch abseits der Gastrobranche, bei denen Millionen auf dem Konto liegen, die aber sagen: „Das ist mein Geld.“ Und ich frage: Aber wer hat es denn erarbeitet?
Wenn Sie auf das Jahr 2021 blicken: Wie geht es da Ihrer Meinung nach für die Gastrobranche weiter? Sie hatten ja eben schon über Insolvenzen gesprochen …
Das Ganze wird jetzt unglaublich verschleppt. Man muss ja am ersten des Monats immer die Miete zahlen, am 20. dann die Sozialabgaben, bis zum zehnten die Umsatzsteuer, und am Jahresende zahlt man dann sämtliche Versicherungen. Wenn man null Einnahmen hat, wird man keine Chance haben, das zu machen. Irgendwann streicht die Bank den Dispo, der mit Sicherheit schon ausgereizt und überzogen ist, und dann ist es zappenduster. Das wird im neuen Jahr sehr schnell kommen. Meine persönliche Meinung ist, dass es vor März nicht weitergeht. Ich hatte Anfang Dezember ein Interview mit unserem Gesundheitsminister Jens Spahn, der sagte: Vielleicht schaffen wir es ja doch, Mitte Januar reine Speisegaststätten wieder zu öffnen. Ich bezweifle das. Es funktioniert auch nicht, immer auf- und zuzumachen. Es ist eben nicht so, dass man morgens das Schnitzel einkauft und um 12 Uhr das Schnitzel auf dem Teller hat. Das ist Milchmädchendenken. Da ist es besser, komplett dichtzumachen.
Wie hat die Corona-Krise Sie persönlich denn beeinflusst? Eigene Restaurants haben Sie ja nun keine mehr.
Ich bin unglaublich gut vernetzt mit den ganzen Kollegen und stehe denen mit Rat und Tat zur Seite. Eigentlich kann ich nur motivieren und sagen: Stellt alles auf den Kopf, überprüft alles, überlegt euch, was gut war und was nicht, seid ehrlich, macht eine echte Analyse, und habt dann Lust auf 2021 mit einem gestärkten und geklärten Geschäftsmodell. Was mich persönlich betrifft: Ich bin Gott sei Dank gesund und habe mein kleines Büro, in dem ich jetzt auch sitze. Auch in meiner Familie sind alle gesund. Das sind ja die ganz persönlichen Dinge, bei denen jeder froh ist, wenn er das gut übersteht.
Bei „Grill den Henssler“ sitzen Sie ja in der Jury, da musste zwischenzeitig auch ohne Publikum gedreht werden. Wie verändert das so eine Kochshow?
Das ist natürlich ein riesengroßer Unterschied. Das ist wie Fußballspielen ohne Zuschauer. So eine Show, die live aufgenommen wird, lebt auch von den Stimmungen, vom Jubel, den Buhrufen und Gefühlsäußerungen der Zuschauer im Studio. Aber das Team hat das hervorragend gemeistert und hat auch für Stimmung gesorgt: Da hat der Kameramann mal applaudiert oder die Produktionsmitarbeiter haben „Yippiyeah“ und „Buh“ gerufen. Das war eine ganz besondere Herausforderung, aber es war trotzdem eine unglaublich professionelle, tolle, intime Stimmung, und das hat der TV-Zuschauer gespürt. Die letzte Staffel war dann auch wieder mit Zuschauern.
Sie kabbeln sich in der Sendung gern mit Jurykollege Reiner Calmund. Wie ist Ihr privates Verhältnis zueinander?
Wir sind da oft nicht einer Meinung, was die Bewertung des Essens angeht. Calli geht dann immer gern an die Decke. Das ist nicht gestellt und gespielt, da gibt es auch keine redaktionellen Vorgaben, dass wir uns streiten sollen. Das kommt einfach und ist das Salz in der Suppe. Und wenn wir hinter der Bühne sind, sind wir gute Freunde. Wir tauschen uns gern aus und telefonieren auch jetzt in dieser Zeit relativ häufig. Das ist ein ganz nettes Verhältnis, und der Calli ist gar nicht so böse mit mir, wie er da immer spielt.
Bevor Sie bei „Grill den Henssler“ in die Jury eingestiegen sind, hatten Sie unter anderem mit „Rach, der Restauranttester“ Ihre eigene Sendung. Wie ist das für Sie, nun in der Show eines anderen TV-Kochs zu sitzen?
Das ist eine völlig neue Erfahrung. Deswegen bin ich auch nie in andere Sendungen gegangen, weil ich eine eigene hatte. Ich wollte das am Anfang auch nicht machen, aber der Steffen Henssler hat mich gebeten, und jetzt habe ich viel Spaß daran.
Also gibt es da kein Konkurrenzdenken zwischen TV-Köchen?
Ich weiß nicht, ob die Fernsehköche sich das ein oder andere nicht gönnen. Ich kenne die meisten Kollegen nicht persönlich. Natürlich kenne ich Steffen Henssler und Tim Mälzer. Tim Mälzer und ich haben auch lange zusammengearbeitet, und das war alles wunderbar und hatte nix mit Konkurrenz zu tun. Konkurrenz ist eher zwischen den Restaurants einer Stadt da. Aber in dem Moment, wo man ein abgegrenztes Angebot hat, das den anderen nicht bedroht, ist da auch keine Konkurrenz.
Wie viel privaten Kontakt haben Sie denn mit anderen TV-Köchen?
Ich habe im Prinzip keinen privaten Kontakt zu den meisten Kollegen. Wir sind ja alle in anderen Städten, und jeder hat da seinen eigenen Freundeskreis. Wenn man sich sieht, redet man natürlich offen und ehrlich miteinander, aber darüber hinaus ist nicht viel Kontakt da. Jedenfalls bei mir nicht.
Wenn Sie privat in einem Restaurant essen gehen: Werden Sie immer noch als „Restauranttester“ wahrgenommen?
Ja, den Stempel habe ich, und da komme ich nicht gegen an. Ich bitte die Kollegen nur immer darum, dass ich mir etwas aussuchen kann von der Karte, das ich essen möchte, wenn ich mit meiner Familie oder meinen Freunden irgendwo bin.
Geben sich die Gastronomen dann besonders viel Mühe – werden Sie besonders behandelt?
Ich kann das schlecht beurteilen. Natürlich sehe ich, dass mein Teller besonders schön aussieht oder so, aber ich hoffe immer, dass eben keine Sonderwürstchen gemacht werden. Das will kein Mensch, der ein bisschen bekannt ist. Das Private ist so wichtig, und genau das ist es, was die gute Atmosphäre ausmacht, und was mich dann auch wiederkommen lässt.
Hatten Sie als junger Koch eigentlich ein Vorbild?
Ich habe ja in den Achtzigerjahren angefangen. Da gab es eine Handvoll berühmter Köche, die aber nicht medial berühmt waren, sondern innerhalb der Branche. Vorbild würde ich da nicht sagen, aber natürlich hat es mich total interessiert, was die Kollegen zum Beispiel in München – also sprich Witzigmann und Winkler – oder die in Frankreich gemacht haben. Da bin ich gern hingefahren in meiner Freizeit und habe dort gegessen, um einen Vergleich zu haben und zu schauen: Motiviert mich das, oder ist das etwas, was ich auf keinen Fall so will? Das ist absolut wichtig. Egal welches Metier man hat, man muss nicht neidvoll auf die Konkurrenz gucken, aber man muss wissen, was die Kollegen machen.
Sind Sie denn gern Gast in anderen Restaurants?
Das Gefühl, Gast sein zu können, ist ein unglaublich wunderbares Gefühl. Viele können gar nicht mehr Gast sein, und das ist eigentlich ein Dilemma. Man hat immer gesagt, Deutschland ist eine Servicewüste. Das habe ich oft in großen Teilen zurückgewiesen. Natürlich gibt es Situationen, die nicht so top waren im Service, aber zu gutem Service gehören immer zwei: einer, der bedient, aber auch der oder die andere, die das zulässt. Sich bedienen zu lassen ist auch eine Kenntnis und eine Gabe, die man erlernen muss und die man auch mit Respekt annehmen muss, und nicht, dass man vom Gegenüber etwas Devotes erwartet.