Tourismus in der Ukraine: Das Hoffen auf den Neustart nach dem Krieg
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/JPHICREDHVGOZF7M2K43OTE4PM.jpg)
Soldaten stand Sonnenbaden: Der Tourismus in der Ukraine, etwa am Schwarzen Meer, ist nach dem russischen Angriffskrieg zum Erliegen gekommen.
© Quelle: IMAGO/Agencia EFE
Einst ein beliebtes Ziel für den Strandurlaub am Schwarzen Meer, doch nach den russischen Bomben ist Satoka nicht mehr wiederzuerkennen. Satoka in der Nähe von Odessa geht es wie vielen Orten in der Ukraine. Zerstörte Hotels und Sehenswürdigkeiten, stark beschädigte Freizeit- und Erholungszentren, Reisende, die nicht kommen, Einheimische, die während des Kriegs keinen Gedanken an Inlandsreisen verschwenden.
Die Tourismusbranche ist am stärksten von der russischen Invasion betroffen“, sagte Mariana Oleskiv, Vorsitzende der Staatlichen Agentur für Tourismusentwicklung in der Ukraine (SATD), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Mehr als ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zeichnet sie ein verheerendes Bild von der touristischen Infrastruktur des Landes.
+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++
Während das Land im Krieg ist, wird im Hintergrund jedoch an einer langfristigen Tourismus-Strategie gearbeitet. „Wir wollen, dass sich die Welt daran erinnert, dass die Ukraine ein großartiges Reiseziel ist“, sagt Oleskiv. Deshalb war die SATD auch auf der Internationalen Tourismusbörse ITB in Berlin, warb dort für den Tourismus nach dem Krieg. Anstatt Landschaften und Outdoor-Reisen zu bewerben, soll der Fokus nun auf historische Stätten des Krieges gelenkt werden. „Wir arbeiten derzeit an der Schaffung neuer Routen, die Orte der Erinnerung einschließen, um unseren ausländischen Touristen zu zeigen, was genau in der Ukraine passiert ist“, kündigt Oleskiv an, „damit sie ihren Kindern und Enkeln von unserem Kampf und Sieg erzählen können.“
Die Krim war einst der beliebteste Urlaubsort der UdSSR
Auch die Kriegsschauplätze und wie das Leben der Überlebenden dort weiterging, soll dann eine Rolle spielen, immerhin, so Oleskiv, hätten auch die Ukrainerinnen und Ukrainer gelernt, unter Kriegsbedingungen zu leben und zu arbeiten. Sie hofft, dass der Krieg nach Ende sogar mehr Menschen ins Land bringen könnte – immerhin ist das Interesse an der Ukraine gerade groß, überall wird über das osteuropäische Land und auch seine Kulturschätze gesprochen.
Einst war die Ukraine ein beliebtes Reiseland. Die Halbinsel Krim war im vergangenen Jahrtausend der meistbesuchte Urlaubsort der ehemaligen Sowjetunion. 2007 bis 2013 waren die bisher erfolgreichsten Jahre für den Tourismus in der Ukraine: Bis zu 30 Millionen Reisende kamen pro Jahr. Doch mit der Annexion der Krim ging Skepsis einher, die Zahlen brachen ein. Bis zur Corona-Pandemie erholte sich der Tourismus ein wenig, liegt durch Putins Angriffskrieg nun aber komplett am Boden.
Trotz Krieg: Inlandstourismus in der Ukraine erholt sich leicht
Doch ganz brach liegt der Tourismus nicht. Da wären zum einen die Ukrainerinnen und Ukrainer, die sich kleine Auszeiten vom Krieg nehmen und für wenige Tage innerhalb des Landes in touristische Gebiete reisen. „Der Inlandstourismus erholt sich allmählich“, sagt Oleskiv. Lokale Reiseagenturen hätten bereits vergangenen Sommer ihre Aktivitäten um bis zu 20 bis 50 Prozent erhöht, gibt sie an. „Meist handelt es sich um Wochenendausflüge in relativ sichere westliche und zentrale Regionen. Diese Reisen dienen jedoch eher einem Neustart, nicht einem Urlaub oder einer Erholung.“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/UJWNHONK7JE6XH6TDGMOFJMY44.jpg)
Kiew hat einige historische und kulturelle Schätze - vor Corona und Krieg war der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftssektor.
© Quelle: imago images / Volker Preußer
Aber zum anderen wäre da auch noch die Initiative „Visit Ukraine Today“, die mit Sightseeing-Touren vorprescht, und ebenfalls auf der ITB zugegen war. Schon vor einigen Monaten sorgte sie für Aufmerksamkeit mit der neuen Tour „Mutige Städte“, bei der Touristinnen und Touristen an die Schauplätze des Krieges geführt werden, nach Butscha und Irpin, wo mutmaßlich Hunderte Zivilistinnen und Zivilisten vom russischen Militär gefoltert und ermordet wurden.
Sightseeing in Butscha und Irpin - ist das moralisch vertretbar?
Diese Touren können zwar schon gebucht werden, finden aber noch nicht statt - im Gegensatz zu den Sightseeing-Trips in Kiew. Noch stehe man im Austausch mit Anwohnerinnen und Anwohnern von Butscha und Irpin, wie der Tourismus aussehen soll. „Ein Teil der Bürger ist der Meinung, dass die Welt so viel wie möglich über die Geschehnisse in der Ukraine sehen und hören sollte, und einige sind gegen jede Einmischung von außen“, sagt Oleksii, ein Mitarbeiter von „Visit Ukraine Today“ dem RND. Wenn Medienschaffende kommen würden, seien die Bürgerinnen und Bürger aber positiv gestimmt. „Sie nutzen die Gelegenheit, über die Gäste der Welt die Tragödie des Landes zu vermitteln. Nur so kann der ganzen Welt gezeigt werden, was der Aggressor Russland getan hat.“ Auf keinen Fall aber sollten die Reisenden an solchen Orten Werbung machen und sich als Influencerinnen und Influencer inszenieren.
Ist das Elendstourismus - und muss das während eines andauernden Krieges sein? „Wir haben festgestellt, dass viele Menschen das Bedürfnis haben, die Spuren des Krieges mit eigenen Augen zu sehen“, sagt Anton Taranenko, CEO von Visit Ukraine Today, in einer Mitteilung. Die Orte seien „ein Mahnmal unter freiem Himmel“, betont er. Tourismus an Orten mit schlimmer Geschichte, sogenannter „Dark Tourism“, hat eine Tradition in der Ukraine, etwa in Babyn Jar, wo die Nazis 1941 binnen 48 Stunden 33.000 Juden und Jüdinnen ermordeten, oder in Tschernobyl, einer Sperrzone nach einem atomaren Unfall.
Tourismus soll der Welt die Realität des Krieges in der Ukraine zeigen
„Solche Reisen sind erst einmal heikel, weil sie viel Fingerspitzengefühl von den Anbietern erfordern“, sagt Harald Friedl von der FH Joanneum, der sich mit Ethik im Tourismus beschäftigt. Man dürfe Einheimische nicht zur Schau stellen und müsse gleichzeitig bedenken, dass viele Menschen auf das Geld aus dem Tourismus angewiesen sind. „Wichtig ist, dass man sich am Leid der anderen, an der persönlichen Tragödie, nicht ergötzen darf“, so Friedl. So gibt es auch keinen Richtwert, wie viel Zeit vergehen sollte, bis der Ort eines historischen Massakers auch touristisch erschlossen werden kann oder darf. „Es können auch Begegnungsräume geschaffen werden, und Betroffene können ihre Situation darlegen. Das trägt zur Solidarität bei“, sagt Friedl.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Instagram, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Dem Problem sei man sich bewusst, sagt Oleksii: „Bei unseren Touren geht es nicht um den Kummer der Menschen. Die Touren werden so gestaltet, dass sie die persönliche Trauer der Opfer nicht beeinträchtigen und den persönlichen Raum der Menschen nicht verletzen.“ Stattdessen sollte Interessierten ein „umfassendes und vollständiges Bild der Ereignisse“ gezeigt werden. Damit wolle man der Welt die Augen öffnen.
Einreise in die Ukraine ist per Flixbus oder Bahn möglich
Gebucht werden die Touren vor allem von Einheimischen, aber auch aus dem Ausland, unter anderem aus den USA, gab es Buchungen, teilt „Visit Ukraine Today“ mit. Generell ist Reisen in die Ukraine möglich, und war es seit Ausbruch des Krieges immer. Mehr als drei Millionen Ausländerinnen und Ausländer sind seit Kriegsbeginn eingereist, viele, um zu helfen oder als Berichterstatter. Wenngleich der Luftraum gesperrt ist und keine Flugzeuge starten oder landen, gibt es Bahn- und Busrouten von Deutschland und Polen nach Kiew, Flixbus fährt fast täglich. Das Auswärtige Amt warnt jedoch vor Reisen in die Ukraine.
Im Land ist man zwiegespalten, was den Tourismus in Kriegszeiten angeht - auch auf bei offiziellen Anbietern. Während „Visit Ukraine Today“ die Touren vor allem im Westen der Ukraine schon durchführt, bremst SATD. Noch sei die Zeit für internationalen Tourismus nicht gekommen, meint Oleskiv – wenngleich viele Menschen vor Ort darauf angewiesen sind. „Wir raten Ausländern davon ab, für einen touristischen Aufenthalt in die Ukraine zu kommen. Sicherheit ist das Wichtigste und in einem Land, das sich im Krieg befindet, ist kein Ort zu 100 Prozent sicher“, sagte sie dem RND. Auch andere Experten warnten bereits: Aufgrund der Willkür Russlands sei kein Ort in der Ukraine sicher.
Spenden auf andere Art: Buchungen für Reisen, die nicht stattfinden
Reisende, die die Ukraine und die gebeutelte Tourismusbranche dennoch bereits unterstützen wollen, könnten schon jetzt Unterkünfte und Touren buchen, sagt Oleskiw. Sollten die Reisen nicht wie geplant stattfinden können, weil der Krieg noch immer andauere, würde das Geld an wohltätige Zwecke sowie für die ukrainische Hotellerie gespendet, so die Tourismus-Chefin. „Im Moment besteht unsere Hauptaufgabe darin, die Tourismusbranche in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen.“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/2NE3MNBG7RC2VIPDSU5YZNHCR4.jpg)
Wo einst Strandurlauberinnen und Strandurlauber am Schwarzen Meer entspannten, ist heute militärische Sperrzone, hier in Odessa.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Zuletzt hatte es mehrere private wie staatliche Initiativen in diese Richtung gegeben. So buchten Ausländerinnen und Ausländer weltweit Unterkünfte in der Ukraine via Airbnb – ohne eine Reise dorthin tatsächlich zu beabsichtigen. Das Geld nutzten die Menschen vor Ort entweder, um sich selbst zu versorgen – oder um Geflüchtete aus anderen Regionen des Landes aufzunehmen. Das staatlich initiierte Programm „Visit Ukraine in the Future“ hat eine ähnliche Aufmachung: Über Online-Plattformen haben Hotels Zimmer vermietet, obwohl bisweilen klar war, dass die Reise nicht stattfinden könne.
„Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die Sicherheit das Wichtigste ist“, betont Oleskiw noch einmal. „Als staatliche Einrichtung empfehlen wir Ausländern nicht, ein ukrainisches Reiseziel zu besuchen, solange Krieg herrscht. Es wäre jedoch eine gute Idee, eine Reise für die Zukunft zu buchen und so die ukrainische Tourismusindustrie zu unterstützen.“