Konzertierte Aktion: „Die Bundesregierung muss ein weiteres Entlastungspaket schnüren“
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Der Wirtschaftsforscher Sebastian Dullien.
© Quelle: IMK
Frankfurt am Main. Sebastian Dullien ist der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Im RND-Interview macht er deutlich, dass er die von Bundeskanzler initiierte „konzertierte Aktion“ mit Gewerkschaften und Arbeitgebern zwar gut findet. Für ihn aber ist klar: Es dürfe dabei nicht darum gehen, dass die Bundesregierung den Tarifparteien nun vorschreibt, was sie zu tun und was sie zu lassen haben. Er fordert vielmehr, dass der Staat etwas auf den Tisch legt. Nämlich ein weiteres Entlastungspaket für die Bürger, um die Kaufkraft zu stabilisieren. Ende des Jahres müsse das Geld ausgezahlt werden.
Herr Dullien, eine konzertierte Aktion gab es bereits in den 1960er-Jahren. Hat Bundeskanzler Scholz mit seinem Vorschlag einer Neuauflage eine olle Kamelle aus der Tasche gezogen?
Es ist eine Referenz auf eine Wirtschaftspolitik, der es gelungen war, gesamtwirtschaftliche Stabilität zu erzeugen – mit niedriger Inflation, niedriger Arbeitslosigkeit und hohem Wachstum. Jetzt geht es wieder darum: Olaf Scholz will die Sozialpartner und den Staat an einen Tisch setzen, um Wege zu finden, die eine stabilitätsgefährdende Entwicklung verhindern.
Droht nun vor allem eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale?
Wir müssen jetzt zweierlei verhindern: Die durch die hohen Energiepreise getroffene Kaufkraft der Konsumenten muss so stabilisiert werden, dass Deutschland nicht in eine Rezession rutscht. Zudem muss verhindert werden, dass Gewinnmitnahmen und Lohnsteigerungen massiv inflationär wirken. Auf diesem schmalen Grad bedarf es eines guten Zusammenspiels von Finanzpolitik und der Tarifpolitik der Sozialpartner. Und dazu gehört auch die Europäische Zentralbank. Die EZB wird einen makroökonomischen Dialog sehr genau beobachten. Und wenn sie sieht, dass die Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale gesenkt wird, dann sinkt auch das Risiko, dass sie zu stark die Zinsen erhöht und dass sie eine Rezession zur Senkung der Inflation hervorrufen muss. So könnte auch in der Geldpolitik Stabilität erzeugt werden.
In den USA gibt es bereits deutliche Zeichen übermäßig steigender Löhne und Gewinne, was in eine schwere Krise münden kann. Was muss hierzulande geschehen, um dies zu verhindern?
In den USA haben die Unternehmen in der Corona-Krise Beschäftigte entlassen. Die Arbeitnehmer haben aber einen relativ dicken Scheck vom Staat bekommen. So konnten sie sich überlegen, ob sie künftig womöglich etwas Besseres machen, als bei McDonald‘s Burger zu braten. Deshalb war es schwer, die Leute zurückzuholen, als die Wirtschaft wieder ansprang. Dies hat in Teilen hohe Lohnsteigerungen ausgelöst. In Europa ist all das nicht passiert, weil die Mitarbeiter mithilfe von Kurzarbeit gehalten wurden. Und ob der Fachkräftemangel hierzulande inflationäre Lohnsteigerungen auslöst, sehe ich bislang nicht. Insgesamt sehen wir für dieses und fürs nächste Jahr keine Lohnentwicklung, die stabilitätsgefährdend wäre.
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© Quelle: Reuters
Wie muss der schmale Grad, den Sie erwähnt hatten, begangen werden?
Wir werden in diesem Jahr eine Inflation von durchschnittlich knapp 7 Prozent haben. Gesamtwirtschaftlich kann die Tarifpolitik das kurzfristig nicht kompensieren. Das bedeutet, dass Kaufkraft verloren geht. Idealerweise müsste der Staat einspringen und jetzt dies ausgleichen. Die Tarifpolitik müsste in der Folge diese Kaufkraftverluste wieder nachhaltig zurückholen, gegebenenfalls in mehreren Schritten.
Weniger Druck auf Tarifverhandlungen
Scholz hat als Vorbild den Tarifabschluss der IG-BCE erwähnt, der sich auf Einmalzahlungen beschränkt hat. Ist das der Weg?
Der IG-BCE-Abschluss mit den Einmalzahlungen ist eine gute Brücke, die für eine konkrete Branche zu einem konkreten Zeitpunkt ausgehandelt wurde. Da gab es keine Steigerung in den Tariftabellen. Es geht kein Weg daran vorbei, dass da noch etwas draufkommt. Darüber hinaus kommt es darauf an, dass der Staat jetzt die Kaufkraft stützt, etwa durch steuerpflichtige Einmalzahlungen – denn da kommt mehr bei den Ärmeren als bei den Reichen an. Das nimmt dann Druck aus den Tarifverhandlungen und verringert die Gefahr von Abschlüssen, die dann doch stabilitätsgefährdend wirken könnten.
Also weitere staatliche Entlastungspakete?
Unsere Befragungen zeigen, dass große Teile der Bevölkerung sich derzeit finanziell belasteter fühlen als jemals in den Zeiten der Corona-Krise. Das muss eingefangen werden. Und das ist derzeit die Aufgabe des Staates. Es müsste ein weiteres Entlastungspaket kommen, zusätzlich zu den Rentenerhöhungen, die im September kommen, und zu den Entlastungspaketen, die schon beschlossen wurden.
Aber schon im nächsten Jahr soll wieder die Schuldenbremse gelten.
Das stimmt. Eine Möglichkeit wäre, das Geld aus dem neuen Entlastungspaket im Dezember auszuzahlen. Dann könnte das noch im Bundeshaushalt für 2022 verbucht werden. Was nicht geht: Wenn der Staat nichts auf den Tisch legt und die Bundesregierung den Sozialpartnern vorschreiben würde, was sie nun tun müssen. Das wäre letztlich auch das Aushebeln der Tarifautonomie.
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