Deutschland spart Gas – Ökonomen warnen vor dem Kollaps
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Die Flamme eines Gasherdes brennt in einer Küche.
© Quelle: Frank Rumpenhorst/dpa/Symbolbild
Frankfurt am Main. Deutschland geht enorm sparsam mit Erdgas um. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) meldete am Donnerstag einen täglichen Verbrauch für die vorige Woche von durchschnittlich knapp 1900 Gigawattstunden (GWh). Das ist zwar eine leichte Erhöhung im Vergleich zur Vorwoche, in der war es allerdings auch im Mittel noch 4,7 Grad wärmer. Die Zahlen lassen darauf schließen, dass in vielen Wohnungen und Büros sehr vorsichtig an den Thermostatreglern gedreht wird.
Zudem ist seit Wochen zu erkennen, dass viele Unternehmen ihren Verbrauch eingeschränkt haben. Dies geschieht vor allem wegen des nach wie vor relativ hohen Preisniveaus beim Erdgas, das vielfach energieintensive Produktion unrentabel macht. In der vergangenen Woche ist der Verbrauch der Industrie noch einmal leicht gesunken – auf 1168 GWh pro Tag.
Einer der mildesten Winter seit 1991
Wie Deutschland durch den Winter kommt, wird aber vor allem von den Außentemperaturen abhängen. Hier sieht es derzeit ziemlich gut aus. So liegen die 1900 GWh immerhin um rund 36 Prozent unter dem Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2021. Und die Netzagentur betont in ihrem aktuellen Lagebericht für die 44. Kalenderwoche: „Die Temperaturen waren 1,9 Grad wärmer als in den Vorjahren.“
Und dieser Trend könnte sich fortsetzen: Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat anhand von saisonalen Klimavorhersagen die Temperaturen für die Wintermonate (Dezember ’22 bis Februar ’23) abgeschätzt: Treten die Modellrechnungen der Experten ein, könnte es auf eine mittlere Temperatur von zwei Grad hinauslaufen. Der kommende Winter würde dann zu den 33 Prozent der mildesten für den Zeitraum von 1991 bis 2020 gehören, in denen im Gesamtdurchschnitt 1,4 Grad gemessen wurden. Auch andere europäische Wetterdienste – wie der französische und britische – gehen von einem milden Winter in Deutschland aus. Tobias Fuchs vom DWD betont: „Die Winterprognose ist für alle Energieverbraucher eine gute Nachricht. Sollte das Modell recht behalten, können wir dadurch Heizenergie sparen.“
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Ein weiterer Effekt der gemessenen und prognostizierten Temperaturen: Im Großhandel sinken allmählich die Gaspreise, weil die Händler eine geringe Nachfrage erwarten. Auf der für den europäischen Markt maßgeblichen Handelsplattform (Dutch TTF) kostete die Megawattstunde zur Lieferung im Dezember gestern zeitweise 110 Euro. Mitte Oktober waren es noch um die 150 Euro, aber vor einem Jahr nur 40 Euro gewesen.
Für BNetzA-Präsident Klaus Müller bedeuten die Berechnungen der professionellen Wetterfrösche indes, dass ein milder Winter helfen könnte, die „notwendigen Einsparungen von mindestens 20 Prozent beim Gasverbrauch auch in den kommenden Monaten durchzuhalten“. Er appelliert aber, jetzt bei den Einsparungen nicht nachzulassen. Zwar seien die Gasspeicher gefüllt. Doch schon durch ein paar kalte Tage könnten die unterirdischen Reservoire leer gepumpt werden. Bei Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt kann der Tagesverbrauch auf bis zu 6000 Gigawattstunden steigen. Müller: „Sparsamkeit ist auch bei milden Temperaturen das Gebot der Stunde.“
Wettbewerb auch in der größten Not
So warnen die beiden Ökonomen Axel Ockenfels (Uni Köln) und Achim Wambach vom Mannheimer Forschungsinstitut ZEW in einer aktuellen Studie vor einem möglichen Kollaps des Gasmarktes. Das kann passieren, wenn extreme Knappheit des Gasangebots mit „unflexibler Nachfrage“ verbunden ist. Solche Mechanismen wirkten im vorigen Jahr bei der Stromversorgung in Texas: Das Ergebnis waren Blackouts. Wegen der Mangellage konnten seinerzeit keine Preise mehr ermittelt werden. So etwas sei auch beim Gas möglich, wenn die Notierungen wegen einer Kaltfront so stark in die Höhe schnellen, dass kein Versorger mehr die geforderten Preise zahlen kann. An den Gasbörsen könnte dann der Handel eingestellt werden.
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© Quelle: Reuters
Das wäre der Moment, da die Netzagentur Gas zuteilen müsste. Ockenfels und Wambach schlagen aber vor, für eine solche Notlage wettbewerbliche Elemente zu entwickeln. Etwa indem Unternehmen Zertifikate für den Gasbezug erhalten, sie diese aber weiterverkaufen können. So soll sichergestellt werden, dass das Gas dahin kommt, wo es am nötigsten gebraucht wird. Als weiteres Instrument schlagen die Ökonomen vor, dass „Abschalt- oder Umschaltauktionen“ organisiert werden.
Dabei bekommen Firmen Geld dafür, dass sie den Gasverbrauch herunterfahren, indem sie die Produktion stoppen oder beispielsweise auf Öl umstellen. Diese Verbrauchsreduktionen sollten nicht nur stunden- oder tageweise – wie von der BNetzA derzeit geplant – erfolgen, sondern auch für Wochen oder Monate gelten. So könnten die Unternehmen identifiziert werden, die „zu den geringsten Investitions- und Vorbereitungskosten“ die Verbrauchsreduktionen umsetzen könnten.