Ex-Innenminister Otto Schily: „Windräder im Wald sind ein Skandal“
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Otto Schily, ehemaliger Bundesminister, spricht im Hotel Albrechtshof bei der Buchpräsentation „Die große Energiekrise: … und wie wir sie bewältigen können“.
© Quelle: Paul Zinken/dpa
Berlin. In einer Sache ist sich Otto Schily treu geblieben: Er hat es immer wieder vermocht, die Republik zur überraschen. Er startete als RAF-Anwalt, wurde Abgeordneter der Grünen, wechselte zur SPD und machte sich im Kabinett von Gerhard Schröder als „roter Sheriff“ einen Namen, weil er eine Law-and-Order-Politik verkörperte, die selbst im konservativen Flügel der CDU auf Wohlwollen stieß.
Inzwischen ist Schily 90 Jahre alt, aber das Unangepasste hat er sich bewahrt. So ist es aus Schilys Sicht auch kein Problem, dass er an diesem Freitag im holzgetäfelten Antikzimmer eines Berliner Hotels sitzt und das neue Buch von Fritz Vahrenholt vorstellt. „Die große Energiekrise und wie wir sie bewältigen können“, ist der Titel des 207 Seiten umfassenden Bandes.
Buchvorstellung für einen Autor, der auch als „Klima-Sarrazin“ beschrieben wurde
Vahrenholt, das muss man wissen, war zwar in den 1990er-Jahren Umweltsenator für die SPD in Hamburg, ist aber kein Elder Statesman, der auf einem SPD-Parteitag Beifallsstürme erntet – eher im Gegenteil. Der Mann, der nach seiner politischen Karriere in die Wirtschaft gewechselt war und für den Ölmulti Shell sowie den Energieriesen RWE die Abteilungen für erneuerbare Energien mit aufgebaut hatte, hat in den letzten Jahren mit umstrittenen Äußerungen zum Klimawandel von sich reden gemacht.
Zwar leugnet der Chemieprofessor den Beitrag des Menschen zur globalen Erwärmung nicht, schätzt ihn aber im Vergleich zu den meisten Klimaforschern als deutlich weniger wichtig ein. Die Versuche der Politik, den CO₂-Ausstoß bis 2045 auf null zu senken, hält er für aussichtslos und akut wohlstandsgefährdend.
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Es sind Botschaften, die vor allem beim konservativen Publikum und in Teilen der Wirtschaft gut ankommen, sodass Vahrenholt, den mehrere Medien bereits als „Klima-Sarrazin“ bezeichnet haben, in den vergangenen Jahren enormen Zulauf bekommen hat.
Bei der Wahl seiner Zuhörer war er wenig zimperlich. Wie die Tageszeitung „taz“ im vergangenen nachwies, hat der ehemalige SPD-Politiker, Manager und Hochschullehrende auch schon Vorträge auf Einladung der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung gehalten.
Und so ist es wenig verwunderlich, wer sich da alles im Publikum der Buchpräsentation tummelt. Da sitzen der Herausgeber und Chefredakteur einer dem Selbstverständnis nach konservativ-liberalen Onlineplattform, auf der häufig auch rechtspopulistische Stimmen zu Wort kommen, der Politikchef eines deutschen Medien-Start-ups, das offenbar dem US-Senders Fox News nacheifert, die frühere Anchorfrau des Putin-Propaganda-Senders RT deutsch, der sein Programm in der EU nicht mehr ausstrahlen darf, sowie der Korrespondent einer ultrakonservativen katholischen Wochenzeitung, die sich gegen den innerkirchlichen Reformprozess wendet.
Es ist ein bisschen wie beim Klassentreffen derjenigen, die ein Problem mit Einwanderung, Klimaschutz, Gleichstellung oder dem vermeintlich links-grün dominierten Medienmainstream haben.
Warum setzt sich Schily auf so ein Podium?
Warum also setzt sich ein ehemaliger Bundesminister mit so einem Mann aufs Podium? Weil auch er sich um die Energieversorgung und den Wohlstand des Landes sorge, sagt Schily.
Er und Vahrenholt seien damit keineswegs allein, betont der SPD-Politiker und zitiert als Kronzeugin DGB-Chefin Yasmin Fahimi, die vor einer Deindustrialisierung infolge der hohen Energiepreise gewarnt hatte. Es ist ein cleverer Schachzug, denn Fahimi war Generalsekretärin der SPD, und mit den Gewerkschaften pflegen die Genossen seit jeher ein enges Bündnis. Indem sich Schily auf sie beruft, macht er sich ein Stückweit unangreifbar.
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Münkler: Schwarzer und Wagenknecht „betreiben Putins Geschäft mit kenntnislosem Dahergerede“
Ein „gewissenloses Manifest“: Herfried Münkler ist einer der renommiertesten deutschen Politologen und hat eine klare Meinung zum Friedensaufruf von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht. Im Interview erklärt er, warum die beiden die „gesamte Idee des Pazifismus“ bloßstellen.
Dann lobt er Vahrenholt über den grünen Klee. Der „liebe Fritz“ sei ein „Wissenschaftler von hohem Rang“, der „ressortübergreifendes Fachwissen“ mit einem „ganzheitlichen Blick“ kombiniere. Außerdem sei Vahrenholt kein Dogmatiker und immer offen für neue Argumente. Mit seinen Äußerungen zum Weltklima die „differenziert und ernst zu nehmen“ seien, leiste Vahrenholt einen „positiven Betrag“ auf dem Weg zu einer „realistischen Energiepolitik“ – findet Schily.
Der so Gelobte holt dann weit aus, um zu erklären, dass die Energiekrise nicht mit dem Ukraine-Krieg, sondern weit vorher angefangen hat, die Politik der Bundesregierung ideologiegetrieben und das Erreichen der Klima- und Energieziele „absolut ausgeschlossen“ ist.
Es ist nicht alles falsch, was Vahrenholt sagt und in seinem Buch schreibt. Natürlich gefährdet die Energiekrise den Wohlstand, natürlich ist der Strompreis in Deutschland für Verbraucher wie Industrie zu hoch, und natürlich ist der Umbau der Industrie auf klimaneutrale Produktion eine Herkulesaufgabe. Selbst Robert Habeck würde nichts davon bestreiten. Und auch bei Vahrenholts Forderung nach der unterirdischen Speicherung von CO₂ geht der grüne Wirtschaftsminister inzwischen mit.
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Das Problem ist aber, dass der Autor unbestreitbare Tatsachen mit Halbwahrheiten und Andeutungen vermischt und sich auf diese Weise den Beifall von Leuten sichert, die die ganze Energiewende lieber heute als morgen stoppen würden. Er fungiert als Brückenkopf zwischen ehrlich Besorgten und Klimaleugnern. Das macht sein Buch und seine Auftritte gefährlich.
Schily sieht das offenkundig nicht so. Er wünsche sich, dass Vahrenholts Buch alle politischen Akteure zu der Einsicht bringe, dass die aktuelle Energiepolitik zu einem wirtschaftlichen Verlust führe, das Klima nicht rette und Umwelt belaste, sagt der frühere Innenminister.
Es sei „ein Skandal“, Windräder in Wälder zu bauen, ohne Rücksicht auf die Natur zu nehmen, sagt er auch noch. Da nicken sie im Publikum eifrig – so als wäre es den Anwesenden nie um ein anderes Thema als den Umweltschutz gegangen.