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Nur noch 20 Prozent durch Nord Stream 1

Der nächste Akt im Turbinendrama

Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1: Ab Mittwoch werden nur noch 20 Prozent geliefert.

Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1: Ab Mittwoch werden nur noch 20 Prozent geliefert.

Berlin. Am Montagmorgen klang der Chef der Bundesnetzagentur noch beinahe optimistisch. Die deutschen Gasspeicher befänden sich „endlich wieder auf einem ordentlichen Einspeicherpfad“, twitterte Klaus Müller um 7.26 Uhr. Jetzt gelte es, die Füllstandsquote von 75 Prozent zum 1. September zu schaffen.

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Es dauerte keine zehn Stunden, dann war der Optimismus wieder dahin. Die Ankündigungen für die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 seien „halbiert“ worden, teilte Müller am späten Nachmittag nüchtern mit. Mehr sagte er nicht.

Musste er auch gar nicht, denn auch so war jedem klar, was die neue Ankündigung aus Moskau für Deutschland bedeutet. Auf 20 Prozent der Maximalkapazität fährt Russland die Lieferungen durch die Nord-Stream-Pipeline zurück. Statt 67 Millionen Kubikmetern Gas sollen ab Mittwoch nur noch 33 Millionen fließen. Ein guter Teil der zuletzt täglich eingespeicherten Menge fällt damit wieder weg.

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Ab Mittwoch liefert Gazprom nur noch 20 Prozent

Der russische Energieriese Gazprom begründete den Schritt mit der nun fälligen Reparatur einer weiteren Turbine. Kremlchef Wladimir Putin hatte ein solches Szenario bereits in der vergangenen Woche angedeutet. Sollte Russland die in Kanada gewartete erste Turbine nicht rechtzeitig zurück­erhalten, drohe die tägliche Durchlasskapazität der Pipeline Ende Juli wegen der notwendigen Reparatur eines „weiteren Aggregats“ auf 33 Millionen Kubikmeter zu fallen, hatte Putin laut Bericht der Agentur Tass gesagt. Und genauso kommt es nun auch.

Die erste Turbine war an einem Standort von Siemens Energy in Kanada gewartet worden. Um ihre Ausfuhr hatte es ein wochenlanges Tauzeihen zwischen den Regierungen in Ottawa, Berlin und Moskau gegeben. Zwar ist dieses Aggregat in der Zwischenzeit von Kanada nach Deutschland geflogen worden, an seinem Bestimmungsort angekommen, einer Kompressorstation nahe Sankt Petersburg, ist das tonnenschwere Bauteil aber offenbar noch nicht. Aus Berliner Regierungskreisen heißt es, die Russen hätten erkennbar keine Eile gezeigt, die Turbine zu übernehmen.

Die Bundesregierung hält das Turbinenproblem für vorgeschoben

Ohnehin hält man sowohl in der deutschen Regierung als auch in Industrie­kreisen die fehlenden Turbinen nur für einen Vorwand, um die reduzierten Liefermengen zu begründen. Die Reparatur sei ein Routine­vorgang, der in der Vergangenheit keinerlei Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Pipeline gehabt habe, heißt es.

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Gazprom senkt Lieferung durch Nord Stream 1 auf 20 Prozent

Es hatte sich angekündigt: Russland drosselt die Gaslieferungen über Nord Stream 1 weiter. Dabei war die Pipeline gerade erst wieder in Betrieb gegangen.

„Es gibt nach unseren Informationen keinen technischen Grund für eine Reduktion der Lieferungen“, sagte eine Sprecherin der Behörde am Montagabend. Man beobachte die Lage sehr genau. Eine Sprecherin des Bundes­wirtschafts­ministeriums äußerte sich fast wortgleich.

Energiepolitiker alarmiert: „Macht die weiter bestehende unsichere Lage deutlich“

Führende Energiepolitiker der Koalition zeigten sich angesichts der weiteren Eskalation alarmiert und forderten mehr Tempo bei der Diversifizierung der Bezugsquellen. „Die erneute Drosselung der Liefermenge macht die weiter bestehende unsichere Lage deutlich. Es gilt, weiter alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Abhängigkeit von russischem Gas schnellstmöglich zu reduzieren und alle Alternativen zu heben“, sagte SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND).

Der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestags­fraktion, Michael Kruse, übte scharfe Kritik an Russland. „Die deutsche Öffentlichkeit sollte sich schnellstmöglich daran gewöhnen, dass nun regelmäßig Nachrichten über vermeintliche Lieferprobleme durch Nord Stream 1 seitens Russlands angeführt werden“, sagte er dem RND.

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Putin haben den einstmals so zuverlässigen Rohstofflieferanten Russland zu einem „unsicheren Kantonisten“ gemacht, so Kruse weiter. „Wir tun deshalb gut daran, uns von dieser Gasquelle unabhängig zu machen, und sollten dafür schnellstmöglich die eigene Gasförderung in der Nordsee und an Land wieder hochfahren“, fordert er. „Nur dann können wir Putins psychologische Kriegs­führung gegen den Westen irgendwann als irrelevantes Getue beiseiteschieben.“

Für die Industrie dagegen sei jede Kilowattstunde wichtig, die durch die Pipeline fließt, sagt Jörg Rothermel, Energieexperte beim Verband der Chemischen Industrie, dem RND. „Die weitere Reduzierung der Gaslieferungen auf 20 Prozent erhöht das Risiko, dass uns im Winter Gas fehlen wird, weil wir große Schwierigkeiten haben werden, unsere Speicher zu füllen“, so Rothermel. „Das ist die Unsicherheit, mit der wir derzeit leben müssen. Niemand weiß, wie sich die Situation entwickelt“, sagt Rothermel weiter. Umso wichtiger sei es, mit schwimmenden LNG-Terminals, dem Einsatz von Kohlekraftwerken bei der Stromproduktion sowie mit dem Auktionsmodell schnell unabhängiger von russischem Gas zu werden, fügte er hinzu.

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