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Geschlechterunterschied außergewöhnlich groß

Deutsche Patente nur sehr selten von Frauen angemeldet

Ein Mann wird in einem Impfzentrum mit dem an die Corona-Variante Omikron BA.4-5 angepassten Comirnaty-Wirkstoff von Biontech geimpft.

Die Erfindung eines Covid-Impfstoffs beim deutschen Pharmakonzern Biontech geht maßgeblich auf die Ungarin Katalin Kariko zurück.

München. Es gibt Sätze, die man nicht gendern darf, weil sonst Wahrheiten verloren gehen. „Deutschland ist eine Erfindernation“ ist ein Beispiel dafür und zwar ein bedauerliches. Erfinderinnen sind nämlich speziell in der Bundesrepublik Mangelware, hat eine Studie des Europäischen Patentamts (Epa) in München enthüllt. Schon der Europaschnitt wirft Fragen nach Geschlechter­gerechtigkeit auf. Von den zwischen 1978 und 2019 beim Epa eingereichten Patentanmeldungen stammen nur 13,2 Prozent von Frauen. Deutschland steht mit 10,0 Prozent mit am schlechtesten da. Lediglich in Liechtenstein und Österreich gehen von 34 untersuchten Nationen noch weniger Anmeldungen auf Frauen zurück. „Unsere Studie kann die Diskrepanzen nicht ganz erklären“, gesteht Epa-Ökonom Ilja Rudyk und versucht es ansatzweise.

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In Deutschland würden viele Patente in Bereichen angemeldet, die typische Männerdomänen sind, wie Maschinen- oder Automobilbau. Das dämpfe den Frauenanteil. „Aber jeder dritte Promovierte in den Mint-Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik ist hierzulande weiblich“, weiß der Epa-Experte auch. Das liege weit über der Erfinderinnen­quote in der Bundesrepublik.

In Lettland geht ein Drittel der Patente auf Frauen zurück

Um ein Mehrfaches besser sieht das zum Beispiel in Lettland aus, wo gut 30 Prozent aller von dort stammenden Patent­anmeldungen auf Frauen zurückgehen. In Portugal, Kroatien oder Spanien ist es rund ein Viertel. In solchen Regionen bewegt sich der Erfinderinnen­anteil auch in China oder Südkorea, haben dortige Studien ergeben. Mit 15 Prozent liegen zudem die USA über dem Schnitt in Europa und dem deutschen Wert sowieso.

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Antonio Campinos hält schon die europäische Quote für bedenklich. „Die Studie wirft ein neues Licht auf den Beitrag von Frauen zu technologischen Innovationen und auf die Lücken, die geschlossen werden müssen“, findet der Epa-Chef. Es gelte, das volle Potenzial von Erfinderinnen auszuschöpfen, weil Innovationen ein Schlüsselfaktor für Zukunfts- und Wettbewerbs­fähigkeit seien.

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In Bayern und Baden-Württemberg ist die Erfinderinnenquote am niedrigsten

In Deutschland sähe es für Erfinderinnen noch düsterer aus, gäbe es nicht Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern oder Hamburg. Dort liegt der Erfinderinnen­anteil über 16 Prozent. Berlin folgt mit gut 13 Prozent und liegt damit zumindest noch im Europaschnitt. Am Ende rangieren dagegen Bayern mit 8 Prozent Frauenanteil und Baden-Württemberg mit 7,5 Prozent, die als besonders erfindungsintensive Bundesländer gelten. Auffällig niedrig ist der deutsche Erfinderinnen­anteil auch auf der Ebene von Unternehmen mit 8,4 Prozent im Vergleich zu öffentlichen Forschungs­einrichtungen und Universitäten mit 13,7 Prozent.

Rudyk will diese Details nicht weiter kommentieren und über männlichen Chauvinismus in der Erfinderszene spekulieren oder den Umstand, dass Frauen meistens in von Männern geführten Teams forschen und sich die möglicherweise am Ende mit den Erfindungen ihrer Kolleginnen schmücken. Historische Forscher­beispiele dafür gäbe es. Eines der bekanntesten ist das der deutschen Kernphysikerin Lise Meitner, die zusammen mit dem Chemiker Otto Hahn die Kernspaltung entdeckt hat. Der Nobelpreis dafür blieb Hahn vorbehalten. Das war 1946.

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Patente Frauen

Der Anteil von Frauen bei Patent­anmeldungen ist auch vom Technologiefeld abhängig. Am größten ist er europaweit noch bei Chemie. Dort gingen in jüngerer Zeit zwischen 2010 und 2019 immerhin 22,4 Prozent aller Anmeldungen auf Frauen zurück. Auch hier hinkt die Bundesrepublik aber mit gut 18 Prozent vergleichsweise stärker hinterher. Am niedrigsten ist die Anmeldequote von Frauen im Maschinenbau mit 5,2 Prozent im europäischen Schnitt und gerade einmal 4,2 Prozent in Deutschland. Eine deutschsprachige Erfinderin, die 2018 auch Gewinnerin des Europäischen Erfinderpreises wurde, ist die Schweizerin Ursula Keller. Sie hält zwei Patente zu ultraschnellen Lasern, die maßgeblich für eine Revolution in der Chirurgie gesorgt haben und auch für Präzisions­fertigung in der Industrie grundlegend waren. Jüngste Gewinnerin des vom Epa verliehenen Preises war 2022 die Französin Claude Grison. Sie hat ein Verfahren entwickelt, mit dem durch Metalle kontaminierte Böden durch metallfressende Pflanzen gereinigt werden können.

Über die Zeit hat es dabei schon Fortschritte gegeben, wenn auch in Trippel­schritten. Ende der 70er-Jahre stammten verschwindende 2 Prozent aller Patent­anmeldungen beim Epa von Frauen. „Es gibt kontinuierliche Verbesserungen in den letzten drei Jahrzehnten, aber keine beschleunigten in den letzten Jahren“, sagt Rudyk zum langsamen Klettern auf 10 Prozent Erfinderinnen­anteil in Deutschland. Dabei hätten Frauen wie die Ungarin und Biontech-Forscherin Katalin Kariko, deren Erfindungen Grundlage unter anderem für Covid-Impfstoffe war, in letzter Zeit bahnbrechende Erfindungen gemacht. Das gilt auch für die Forschungen der polnischen Software­ingenieurin Marta Karczewicz, die sozusagen Streaming und Netflix ermöglicht haben.

„Solche Frauen als Rollenmodell zu präsentieren könnte andere Forscherinnen zum Erfinden motivieren“, sagt Rudyk zu den Möglichkeiten, die Erfinderinnen­quote zu steigern. Seinen Arbeitgeber empfindet er dabei durchaus als vorbildhaft. Immerhin sei ein Drittel aller Epa-Beschäftigten weiblich.

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