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Interview mit Russland-Expertin

„Putin kann sich vom Finanzsystem nicht abkoppeln“

Der russische Machthaber Wladimir Putin.

Der russische Machthaber Wladimir Putin.

Frankfurt am Main. Sonja Beer ist Expertin für Außenwirtschaft beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen neben Handelspolitik und Schwellenländern auch Russland und China. Die promovierte Volkswirtin geht davon aus, dass sich die russische Regierung einen möglichen Stopp der Gaslieferungen nach Deutschland nicht leisten kann. Zugleich betont sie, dass die westlichen Länder mit den Sanktionen keinen direkten Einfluss auf die Kampfhandlungen in der Ukraine haben.

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Frau Beer, über Gaslieferungen in Rubel hat es in den vergangenen Tagen viel Aufregung gegeben. Wie wird es da weitergehen?

Eine Einstellung russischer Gaslieferungen ist nicht komplett auszuschließen. Jedoch ist dieser Fall eher unwahrscheinlich. Die Energieexporte sind Russlands Haupteinnahmequellen. Die Konsequenzen eines Lieferstopps für Gas wären für die russische Wirtschaft gravierend.

+++ Alle aktuellen News und Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine lesen Sie in unserem Liveblog. +++

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Warum hat Putin überhaupt diesen höchst fragwürdigen Vorstoß mit der Rubel-Umstellung unternommen?

Es geht darum, den schwachen Rubel zu stützen, der zwischenzeitlich viel an Wert verloren hatte. Wenn alle Abnehmer ihre Rechnungen in Rubel begleichen müssen, dann wird die Nachfrage nach der russischen Währung steigen, was dessen Umtauschverhältnis zu Dollar oder Euro verbessern würde. Dabei könnte Putin oder die Sachlage die Europäer möglicherweise dazu zwingen, den Umtausch nicht bei Geschäftsbanken, sondern bei der russischen Zentralbank vorzunehmen. Damit würden die Sanktionen teilweise umgangen, die derzeit die Zentralbank lähmen.

Bundeskanzler Scholz: Zahlung von Gaslieferungen aus Russland in Euro gesichert
31.03.2022, Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wartet auf den Bundeskanzler von Österreich, vor dem Bundeskanzleramt. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Auf die Androhung durch den russischen Präsidenten Putin reagiert Bundeskanzler Scholz weiterhin mit dem Pochen auf die bestehenden Verträge.

Was könnte das für die russische Volkswirtschaft bringen?

Ein stärkerer Rubel bringt Vertrauen zurück, macht Importe billiger und bremst damit die Inflation etwas. Das ist auch deshalb so wichtig, weil Russland bei sehr vielen wichtigen Gütern auf Einfuhren angewiesen ist, unter anderem bei Maschinen, Fahrzeugen und Elektronik.

Was würde passieren, wenn die Einnahmen aus den Energieexporten aber dann doch noch wegfallen?

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Die russischen Staatsfinanzen werden dadurch negativ beeinflusst. Auch das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit Russlands und einer noch tieferen Wirtschaftskrise steigt. Schon jetzt ist klar, dass die russische Wirtschaft wegen des Krieges deutlich schrumpfen wird. Auch eine sehr hohe Inflation zeichnet sich aufgrund vieler Knappheiten ab.

Schlechte Wirtschaftsaussichten in Russland

Die wirtschaftliche Misere würde sich bei einem Energieembargo noch deutlich verschärfen. Die russische Zentralbank geht schon jetzt von einer Inflationsrate von 20 Prozent für dieses Jahr aus – das ist schon sehr hoch. Das Bruttoinlandsprodukt soll um 8 Prozent zurückgehen. Es gibt aber auch andere Vorhersagen von Forschungsinstituten, die von einem Rückgang um sogar 15 Prozent in diesem Jahr ausgehen.

Aber viele Beobachter gehen davon aus, dass Putin die aktuellen Nöte der russischen Bevölkerung gleichgültig sind.

Die Lage ist schon jetzt sehr schwierig, mit einem Ausfall der Energieeinnahmen würde alles noch viel komplizierter. Es gibt schon jetzt Lieferstopps für sehr viele Konsumgüter und Einschränkungen beim Kapitalverkehr. Die Menschen sehen auch, dass immer mehr ausländische Firmen das Land verlassen. Das alles macht es auch für Putin schwer, einen Stopp der Energieexporte nach Europa umzusetzen und durchzuhalten. Denn dadurch würde die bereits bestehende Verunsicherung in der Bevölkerung noch einmal verstärkt.

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Die Regierung muss damit rechnen, dass mit einer Fortdauer des Krieges die Unzufriedenheit stärker wird. Jedoch existiert ein Teil der Bevölkerung, welcher Putins Politik trotzdem befürwortet. Wie das alles am Ende ausgeht, ist schwer abzusehen.

Wirtschaftliche Maßnahmen beeinträchtigen Kriegsführung nicht unmittelbar

Braucht Putin die Energieeinnahmen für seine Kriegsführung?

Putin braucht für seine Kriegswirtschaft nicht unbedingt die Einnahmen aus dem Gas- und Ölgeschäft. Die Gehälter der Soldaten, ihre Verpflegung und die Treibstoffe werden mit Rubel bezahlt. Und auch die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland können die militärische Maschinerie, die in der Ukraine operiert, zumindest kurzfristig nicht unmittelbar beeinflussen.

Dann geht doch die Debatte im Westen über Sanktionen und ein Energieembargo in die falsche Richtung?

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Bei den Sanktionen geht es darum, ökonomischen Druck auf Putin und sein politisches Umfeld auszuüben. Dieser Druck würde durch einen Stopp der Gasimporte aus Russland noch verstärkt. Ein direkter Einfluss auf die Kampfhandlungen ist aber – wie gesagt – unwahrscheinlich. Die Bombardements von ukrainischen Städten wird man damit zumindest kurzfristig wohl nicht beenden können.

Ratingagenturen warnen vor einem Zahlungsausfall des russischen Staats. Ist das realistisch?

Ein Zahlungsausfall ist nicht auszuschließen. Aber nicht aus den Gründen, die normalerweise gelten. Die russische Staatskasse hat genug Geld, um ihre Schulden zu bedienen. Zudem ist die Verschuldung des Staats relativ gering.

Es geht vielmehr um politische Faktoren, die das Risiko eines Zahlungsausfalls erhöhen. Es könnte dazu kommen, dass die russische Regierung nicht mehr bereit ist, Forderungen aus dem Ausland zu bedienen - beispielsweise als Vergeltung dafür, dass die Guthaben der Zentralbank im Ausland eingefroren sind oder dass es zu einer Verschärfung der Sanktionen gekommen ist. Wegen der Sanktionen könnte es auch zu technischen Problemen bei den Zahlungen kommen.

Doch ob Putin diese Schritte riskiert, ist schwer einschätzen. Denn dies würde einen anhaltenden Vertrauensverlust bei ausländischen Investoren nach sich ziehen und die Finanzierung des russischen Staates am internationalen Kapitalmarkt auf Jahre hin gefährden – auch nach einem Ende des Kriegs gegen die Ukraine. Das wäre nicht förderlich, weil Russland sich nicht dauerhaft aus dem internationalen Finanzsystem abkoppeln kann.

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