Batterieexperte Tübke zur Autozukunft: „Antriebstechnologien parallel entwickeln“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/B7OOXXXFSNC6XPXCSKQUIYY3G4.jpeg)
Beim Wechsel auf klimafreundliche Antriebe sollte die Industrie nicht nur auf Elektromobilität setzen, sondern auch auf die Entwicklung von Wasserstoffantrieben (im Bild ein Hyundai-Motor) und synthetischen Treibstoffen. Das fordert Prof. Jens Tübke, Sprecher der Fraunhofer-Allianz Batterien, im Gespräch mit dem RND.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
1000 Kilometer Reichweite und in zehn Minuten die Batterien wieder aufgeladen – derlei Zukunftsprognosen für die E-Mobilität hält Prof. Jens Tübke, Sprecher der Fraunhofer-Allianz Batterien, für utopisch. Stattdessen regt er im Gespräch mit dem RND die Parallelentwicklung weiterer Antriebsformen wie Synfuels oder Wasserstoff an, um alle Ansprüche an das Leistungsspektrum von Fahrzeugnutzerinnen und ‑nutzern zu gewährleisten.
Erste Autohersteller kündigen für die nahe Zukunft Reichweiten von 500 bis 1000 Kilometern an und Ladezeiten, die wie ein heutiger kurzer Tankstopp sind. Stehen wir kurz vor dem großen Durchbruch?
Jens Tübke: Diese Forderungen werden wohl für immer aufrechterhalten werden. Keiner wird sagen, dass die Batterieentwicklung immer noch mit vielen Entwicklungsrisiken verbunden ist und sich vielleicht nicht alle Ziele umsetzen lassen. Seit der Nationalen Plattform Elektromobilität 2015 beschäftigt man sich auch in Deutschland sehr viel intensiver mit der Lithium-Ionen-Technologie. Seitdem werden aber auch eine ganze Reihe von Technologien zitiert, mit denen die Kapazität verdoppelt werden könnte.
Aber was ist realistisch?
Natürlich werden wir irgendwann schnellladefähige Fahrzeuge mit mehr Reichweite als den heute üblichen 300 bis 400 Kilometern haben. Aber wie sieht die richtige Kombination aus? Rein rechnerisch müssen bei 1000 Kilometern, die in zehn Minuten geladen werden, mehrere Megawatt durchs Kabel ins Fahrzeug gelangen. Das ist allein von der Leistungselektronik her sowohl preislich als auch vom Kühlaufwand utopisch und weit weg von der praktischen Anwendbarkeit.
1000 Kilometer sind also eher eine Vision?
Wenn ich das heutige Leistungsprofil von rund 350 Kilometern Reichweite schnellladefähig mache, bin ich beim Drittel des Aufwands, und das ist realistisch. Wenn jemand 1000 Kilometer braucht, muss er mit längeren Ladezeiten leben. Momentan geht es nicht so sehr um mehr Reichweite oder höhere Ladegeschwindigkeiten, sondern um viele wichtige, auch kleinere Entwicklungsschritte – vom Onboardcharger bis zur Ladeinfrastruktur kann und muss noch einiges verbessert werden. Als Fahrer eines Elektroautos kann man vielleicht keine 1000 Kilometer am Stück fahren, ohne entsprechende Ladepausen vorzusehen. Den dazu nötigen bahnbrechenden Schritt mit Faktor zwei oder drei werden wir nicht sehen.
Solche Ankündigungen sind dann vermutlich gut für die Aktionäre. Zuallererst muss es aber doch darum gehen, Vertrauen in das Produkt Elektroauto zu schaffen.
Natürlich gibt es noch Lücken, die ein Elektrofahrzeug nicht ausfüllen kann. Ich bin heute noch nicht in der Lage, mit einem Wohnwagen oder Lastenanhänger 400 Kilometer weit zu fahren. Aber es gibt ja auch noch alternative Technologien. Synthetische Kraftstoffe, also Synfuels oder Wasserstoff, sollte man in die Gesamtbetrachtung miteinbeziehen und überlegen, was ist wo sinnvoll. Das sind Technologien, die sich parallel entwickeln werden. Wer einen klassischen Kombi mit 200 PS und Anhänger erwartet, wird auf eine andere Technologie ausweichen müssen, dann ist es vielleicht nicht der batterieelektrische Antrieb.
Die Autoindustrie hat sich aber für die Batterie entschieden.
Wir führen ja leider nicht immer eine technologieoffene Diskussion. Wenn das so wäre, würde man sagen, alles, was Kurzstrecke oder auch kurze Ladepausen realisieren kann und keine Riesenlasten bewegen muss, ist ganz klassisch batterieelektrisch. Lange Strecken und große Lasten wären dann eher etwas für Synfuel oder Wasserstoff. Alles, was fliegt, geht batterieelektrisch eh nur auf der Kurzstrecke. Und was über Ozean schippert, geht auch nur mit Synfuels. So kommen diese Technologien automatisch auf den Markt.
Aber gerade synthetische Kraftstoffe sind teuer und damit nicht wirtschaftlich.
Deswegen werden sie sich nur da durchsetzen, wo es nicht anders geht. Denn dass Kerosin für die Luftfahrt heute so billig ist, darf nicht sein. Es ist ein Fehler im System. Da wird etwas bezuschusst, was man eigentlich bestrafen müsste. Wenn wir da auf Synfuels umsteigen, hat Fliegen eben seinen Preis. Das Gleiche gilt fürs Auto. Ich fahre zu einem kleinen Preis ein Fahrzeug, das ich super in der Stadt einsetzen kann, und für längere Strecken kostet es eben mit Synfuels entsprechend mehr. Deshalb werden sich auch die Nutzungsszenarien verändern. Schon heute kann mir ja keiner mehr erklären, warum ein Inlandsflug günstiger ist als eine Bahnfahrt. Das sind Probleme im System, die verändert werden müssen.
Aber damit sagen sie: Die Wohlhabenden kommen auch weiterhin nach Mallorca, die Ärmeren bleiben zu Hause.
Darum geht es nicht. Wer heute 70 Euro für einen Hin- und Rückflug nach Mallorca zahlt, der wird zukünftig vielleicht für einen etwas reelleren Flugpreis hin- und zurückfliegen müssen. Außerdem müssen Alternativen wie die Bahn so attraktiv werden, dass keiner mehr Inland oder Kurzstrecke fliegt. Diese Probleme schlagen auf den gesamten Individualverkehr durch. Es muss sich einfach etwas am Set-up ändern. Bei den verschiedenen Technologien geht es nicht so sehr darum, was nun besser ist, denn wir werden mit Sicherheit alle nutzen. Es kann ja beispielsweise nicht sein, dass man heute auf einem Kreuzfahrtschiff jeden Dreck verbrennen darf, solange man nur weit genug vom Hafen weg ist. Wir müssen uns Gedanken machen, welche Technologien alternativ eingesetzt werden können. Wenn wir so weitermachen, werden wir irgendwann ein massives Problem mit Blick auf eine lebenswerte Umwelt haben.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/Z5N6VM4RWRDLVJVODEJ46P3OMY.jpg)
Professor Jens Tübke ist Produktbereichsleiter angewandte Elektrochemie am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) und Sprecher der Fraunhofer-Allianz Batterien. Seine Forschungsschwerpunkte sind elektrochemische Speicher und Wandler, Batterien, Brennstoffzellen, Elektrochemie, flüssige und polymere Elektrolyte für Lithium-Ionen-Batterien, Batteriesicherheit und Abuseverhalten. Tübke ist Mitglied der Nationalen Plattform Elektromobilität sowie Sprecher des Fachbeirates des Forum Elektromobilität e. V.
© Quelle: Fraunhofer
Es geht also nur um die Frage, wie wir die einzelnen Bausteine einsetzen?
Wir müssen die richtigen Anreize schaffen. Heute stehen wir an einem Punkt, wo die Technologien prinzipiell vorhanden sind. Wir haben die Brennstoffzelle, die funktioniert, wir haben Batterien, die funktionieren, und sind in der Lage, verschiedene Kraftstoffe zu synthetisieren – nur mit dem richtigen Set-up können wir es eben noch nicht. An vielen Stellen fehlt dazu noch die erforderliche Kreislaufwirtschaft für das Recycling und die Wiederverwendung kritischer Rohstoffe. Aber heute ist bereits absehbar, welche Technologien für die entsprechenden Felder infrage kommen.
In welche Richtung werden Batterien eigentlich bei der Entwicklung maximiert – geht es da eher um Umweltverträglichkeit oder Leistung?
Bislang ging es nur darum, Batterien mit einer ausreichenden Leistung, Sicherheit und zu vernünftigen Kosten zu entwickeln. Allerdings spielen zunehmend Fragen nach der Wiederverwertung oder auch nach dem CO₂-Aufwand bei der Rohstoffgewinnung eine Rolle. Das schaut man sich gerade sehr intensiv an. Viele Fahrzeughersteller haben vor zwei oder drei Jahren damit begonnen, sich Anteile an Minen und Rohstoffvorkommen zu sichern. Jeder kennt ja den CO₂-Rucksack vom E-Auto, bevor es auch nur einen Meter gefahren ist.
Der ist augenblicklich noch sehr voll, weil die Batterien noch nicht ausreichend in diese Richtung optimiert wurden. Aber das ist nur eine Frage der Zeit, es wird massiv daran gearbeitet, um den gesamten energetischen Aufwand zu verringern. Vor ein paar Jahren mussten die Hersteller noch die Zellen kaufen, die mit Kohlestrom produziert wurden. Inzwischen gehen sie zu denen, die Zellen mit 100 Prozent Ökostrom produzieren. Die Ökobilanz sieht so schlagartig viel besser aus.
Als nächster großer Sprung gilt mit Solid-State die Feststoffbatterie. Aber die lässt sich industriell noch nicht in großen Mengen herstellen.
Die Herstellungsverfahren hat man schlichtweg noch nicht. Außerdem sind Fragen in Bezug auf das Zusammenspiel der Materialien offen. Einige Probleme hat man in diesem Zusammenhang zwar schon gelöst, aber leider noch nicht zu 100 Prozent. Die richtige Rezeptur vom Material bis zur fertigen Zelle hat noch keiner gefunden.
Dann werden hier falsche Hoffnungen geweckt?
Im Automotive-Bereich passt es bislang nicht. Wer hier verkündet, dass er mit einem Solid-State-System in den Markt geht, macht das entweder für die Aktionäre oder um den Wettbewerb zu erschrecken. Natürlich will auch niemand etwas verpassen. Wenn ein Start-up etwas entwickelt und behauptet, die Technologie zu beherrschen, und das mit Hochglanz-Powerpoint-Folien belegt, mit denen kein Experte etwas anfangen kann, weil die entsprechenden Fakten einfach nicht offengelegt sind, dann kann ein Hersteller das entweder ignorieren oder sich daran beteiligen. Vielleicht ist es ja etwas. Wenn es dann doch nichts ist, muss man später eben sagen, dass man da vielleicht zu optimistisch war. Vom Entwicklungsaufwand bis zur elektroautotauglichen Zelle sind wir noch ein paar Meilen vom Solid-State-System entfernt.
Aber wo stehen wir dann tatsächlich?
Wer behauptet, dass er 2025 eine solche Batterie im Fahrzeug hat, müsste heute die Zelle schon validiert haben und die Batteriesysteme bereits als Prototypen bauen. Wenn einer sagt, er will 2030 mit Solid-State-Batterien fahren, dann müsste er heute Zellen in der Hand haben, die bereits ihre Eignung für die Fahrzeuganwendung unter Beweis gestellt haben. Die gibt es aber noch nicht. Ich würde sagen: 2035 bis 2040 beim Kunden ist realistisch, wenn in den nächsten Monaten einer um die Ecke kommt und uns die Zelle auf den Tisch legt.