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Erst ein Prozent: Deswegen sind so wenige Menschen in armen Ländern gegen Corona geimpft

In Afrika sind gerade einmal ein Prozent der Menschen gegen das Coronavirus geimpft.

In Afrika sind gerade einmal ein Prozent der Menschen gegen das Coronavirus geimpft.

Als das Rennen um die schützenden Corona-Impfstoffe begann, was klar, dass die wohlhabenden Länder die Nase vorn haben würden. Dass aber die armen Länder nun derart von den reichen und deren Spenden abhängen, hatten selbst die meisten Experten nicht erwartet. Während in den klammen Nationen erst etwa ein Prozent der Bevölkerung geimpft ist, sind es weltweit 25 Prozent – und in einer Reihe von Industrieländern schon deutlich mehr als die Hälfte.

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Die Gründe dafür reichen zurück bis in die Anfangszeit des Sicherns von Vakzinen, als diese noch gar nicht zugelassen waren. Aus Behördenkreisen, vor allem in den USA und Europa, hieß es in Gesprächen, dass nie die globale Situation im Vordergrund gestanden habe, sondern eben genügend Impfstoffe für den heimischen Bedarf. Dass Covid-19 zuerst vornehmlich reiche Länder im Mark getroffen hatte, schien den Kurs nur zu bestätigen.

Ungleichheit war zu erwarten

Also schlossen wohlhabende Staaten und Regionen Verträge über Impfstofflieferungen ab, die für ihre Bevölkerung mehrfach reichten. Zugleich waren dies in den meisten Fällen auch die Länder, in denen die Kapazitäten und das Knowhow für die Entwicklung von Vakzinen vorhanden waren. Es sei wie in einer Hungersnot, in der „der reichste Kerl sich den Bäcker schnappt“, sagt Strive Masiyiwa, der sich als Botschafter der Afrikanischen Union für den Erwerb von Impfstoffen stark macht.

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Die Ungleichheit war zu erwarten. Aber ihr Ausmaß, die überdimensionierten Bestandssicherungen der Reichen, das Fehlen einer globalen Strategie, hat selbst leidgeprüfte Gesundheitsexperten geschockt. „Es ist wie damals mit der HIV-Pandemie“, erklärt Masiyiwa. „Auch als Therapien im Westen schon acht Jahre lang verfügbar waren, hatten wir noch keine, und wir verloren zehn Millionen Menschen.“ Auch jetzt gelte für die Armen: „Wir haben kein Impfstoffwunder.“

USA: Vakzine durften zunächst nicht exportiert werden

Die Annahme bei der Impfstoffentwicklung im Kampf gegen Pandemien sei immer gewesen, dass die Reichen dies für Entwicklungsländer mitfinanzieren würden, erklärt Christian Happi, Berater der Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung CEPI, einer Allianz zur Erforschung und Entwicklung von Impfstoffen zwischen Regierungen, WHO, Forschungseinrichtungen, Industrie und privaten Geldgebern. Als es dann darum ging, Vakzine gegen Covid-19 zu finden und für die Bevölkerung zu sichern, lagen vor allem die USA und Großbritannien vorn. Die vielversprechendsten Impfstoffkandidaten kamen aus den Industriestaaten. Hier lief und läuft die Produktion, hier stand das Geld für Entwicklung und Fertigung zur Verfügung.

So rief etwa Donald Trump schon im Mai 2020 für die USA die Operation „Warp Speed“ aus und versprach Impfstoffe bis zum Jahresende. Ausgestattet mit dickem Finanzpolster schloss „Warp Speed“-Chef Moncef Slaoui Verträge ab, ohne groß auf Preis und Konditionen achten zu müssen. Sie seien klar darauf fokussiert gewesen, alles so schnell wie nur menschlich möglich zu schaffen, betont Slaoui. Zugleich sorgte die US-Gesetzgebung dafür, dass wichtige Rohstoffe und letztlich auch die Vakzine selbst zunächst nicht exportiert werden durften.

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Trotz Covax keine Impfstoffe für Afrika

Kurze Zeit später wurde Covax ins Leben gerufen, die internationale Initiative zur Versorgung mit Covid-19-Impfstoffen für alle. Hinter Covax stehen unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Cepi, die Impfallianz Gavi oder auch die Gates-Stiftung. Doch der Finanztopf war eben nicht so gefüllt, dass die Initiative entsprechend Impfdosen sichern konnte.

In den reichen Ländern schritten dann Entwicklung und Produktion voran. Afrika blieb abgehängt. Sie hätten damit wieder die grausame Lektion gelernt, „wie abhängig wir von Importen sind“, sagt der dortige WHO-Experte für Impfstoffentwicklung, Richard Mihigo. Während in Europa, Nordamerika und einigen anderen zahlungswilligen Ländern Vorräte gesichert wurden, gingen an Covax weiter Zusagen statt Gelder.

Impf-Kluft vertieft sich täglich weiter

Am 8. Dezember 2020 begann Großbritannien als erstes mit der Impfung weiter Teile der Bevölkerung. Sechs Tage später stiegen die USA ein, am 26. Dezember folgten Länder der Europäischen Union. Auch China und Russland hatten bereits mit dem Spritzen ihrer eigenen Impfstoffe begonnen, bevor die üblicherweise erforderlichen Daten dazu vorlagen.

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Covax lieferte die ersten Impfstoffe erst Ende Februar aus. 600.000 Dosen Astrazeneca, die in Indien produziert wurden, gingen nach Ghana. Doch schon der Start war holprig, und seitdem hat sich die Impf-Kluft zwischen reichen und armen Ländern täglich weiter vertieft.

Patentschutz wird vorerst nicht ausgesetzt

Immer wieder stockten allerdings auch die Lieferungen in den Industriestaaten, weil die Hersteller ihre Zusagen nicht einhielten oder es zu Problemen in einzelnen Betriebsstätten kam. Doch dann nahmen die Lieferungen wieder Fahrt auf. Und bei der Ausweitung von Produktionsorten geschah dies innerhalb der amerikanischen und europäischen Fabriknetzwerke, wo die nötigen Voraussetzungen relativ schnell geschaffen werden konnten und die Standards ebenso gesichert waren wie die Wahrung der geistigen Eigentumsrechte.

Forderungen von Hilfsorganisationen, zahlreichen Gesundheitsexperten und auch Regierungen nach einer vorübergehenden Aussetzung des Patentschutzes sind bislang ins Leere gelaufen. Covax muss sich derweil mit Zusagen und Spenden begnügen – wobei ein Großteil der zugesicherten Impfdosen erst für das kommende Jahr erwartet wird.

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Vakzine ein Gut oder ein Recht?

So gingen auch die Mitglieder der WHO-Gruppe, die sich mit der Impfstoffverteilung befasst, bei einem Treffen jüngst mit leeren Händen auseinander. „Null Dosen Astrazeneca-Impfstoff, null Dosen Pfizer-Impfstoff, null Dosen J&J-Impfstoff“, erklärte danach der WHO-Berater Bruce Aylward.

Die große Frage sei, ob Vakzine und lebensrettende Medikamente ein Gut oder ein Recht seien, meint die Forscherin Ingrid Katz vom Zentrum für Globale Gesundheit am Allgemeinkrankenhaus von Massachusetts. Die Weichen würden gestellt von „nur wenigen Leuten, die über großen Reichtum verfügen und letztlich Entscheidungen über Leben und Tod für den Rest der Welt treffen“, sagt Katz. Und das bedeute für die Impfkampagnen: „Jeder Monat, den wir verloren haben, hat uns weiter und weiter zurückgeworfen.“

RND/AP

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