In der Textilbranche geht die Angst vor Shoppingscham um

Klimaschützer gegen H&M: Den Modeketten brockt ihr Geschäft immer mehr Kritik ein.

Klimaschützer gegen H&M: Den Modeketten brockt ihr Geschäft immer mehr Kritik ein.

Da lässt sich nichts schönreden. Die Modebranche hat ein Riesenproblem. Der Ressourcenverbrauch ist riesig, die Arbeitsbedingungen in den Fabriken oft ausbeuterisch. Viele Billigtextilien werden nur wenige Male getragen, bevor sie im Müll landen. Nachhaltig ist anders. Doch nun wächst die Gegenbewegung, mit Secondhand-Plattformen und Klamotten zum Ausleihen. Ausgerechnet einer der Protagonisten der sogenannten Fast Fashion will sich an die Spitze der Bewegung stellen: Der Chef von H&M.

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Karl-Johan Persson, Chef des schwedischen Textilkonzerns, spricht von „einer sehr realen sozialen Gefahr“. Er habe ein „Muster der Scham“ entdeckt, sagte er kürzlich der Finanznachrichtenagentur Bloomberg. Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Bewegung wollten Verhaltensverbote durchsetzen, wie den Verzicht auf Flugreisen. Und er befürchtet, dass es seine Branche auch erwischen könnte.

Mehr Treibhausgase als Luftfahrt und Schifffahrt zusammen

Die globale Textilindustrie hat in den vergangenen 15 Jahren einen enormen Produktivitätsschub hingelegt. Das hatte zur Folge, dass sich der Absatz und der Umsatz mehr als verdoppelten. Die weltweiten Erlöse für dieses Jahr werden auf mehr als 2500 Milliarden Dollar taxiert.

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Zugleich bezeichnen die Vereinten Nationen das, was in der Branche passiert, als einen „ökologischen und sozialen Notfall“. Die Herstellung von Shirts, Hosen etc. verursache inzwischen mehr Emissionen des Klimakillergases CO₂ als die Seeschifffahrt und die weltweite Luftfahrt zusammen. Jeder Bundesbürger kauft laut Greenpeace mittlerweile im Schnitt 60 Kleidungsstücke pro Jahr, trägt sie aber nur noch halb so lang wie vor 15 Jahren.

Mikroplastik im Wasser – dank Polyestershirts?

H&M, Zara und Co. vernichteten tonnenweise Billigtextilien, die in den Läden liegen geblieben sind, weil das billiger sei, als sie zu verramschen, so Greenpeace-Expertin Kirsten Brodde. Die Qualität der Produkte sei ohnehin miserabel. Der Stoff, der den Boom antreibt, heißt Polyester.

Die Kunstfaser, die aus Erdöl hergestellt wird, ist extrem preiswert, bei ihrer Herstellung fällt aber dreimal so viel CO₂ an wie bei Baumwolle. Mutmaßlich gelangt durch das Waschen von Polyestertextilien Mikrokunststoff zunächst in das Abwasser, dann in die Flüsse und schließlich in die Nahrungskette.

H&M will Kleidung verleihen

Persson hat die Umwelt- und Klimaproblematik als „Riesenbedrohung“ und „unglaublich wichtiges Thema“ bezeichnet. 2040 soll H&M „klimapositiv“ sein – also unter anderem mit Recycling und erneuerbaren Energien mehr CO₂ binden als emittieren.

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H&M hat gerade einen kleinen Schritt in diese Richtung gemacht und in Stockholm in einer Filiale einen Kleiderverleih eingerichtet. Es handele sich, so H&M-Manager Pascal Brun, zunächst um „ausgewählte Partykleider und -röcke“ aus nachhaltigen Materialien, die für 350 Kronen (33,50 Euro) pro Woche geliehen werden könnten. Dazu gibt es noch eine kostenlose Stylingberatung. Auch ein Reparaturservice ist dem neuen Dienstleistungsangebot angegliedert, dort können Kunden ihre besten Stücke flicken lassen.

Mitglieder des H&M-Clubs dürfen pro Woche maximal drei Teile aus den „Conscious Exclusive“-Kollektionen der Jahre 2012 bis 2019 leihen. Auch im neuen Berliner Konzeptladen des Konzerns namens Mitte Garten ist Leihen möglich, und zwar von topaktuellen Modellen, kostenlos für maximal 48 Stunden. Das dürfte ein neues Geschäftsfeld für H&M werden: Hochwertige Dienstleistungen anstelle von Wegwerfmode.

Trend aus den USA

Der schwedische Konzern springt dabei auf einen Trend auf, der aus den USA und Großbritannien kommt. Dort wachsen Internetplattformen wie Rent the Runway oder Hurr Collective gerade rasant. Sie bieten vor allem edle Roben auf Zeit. Die Preise gehen bei 30 Euro los. Kunden nutzen den Verleih bislang vor allem für besondere Gelegenheiten wie Hochzeiten oder Parties. Doch auch Saisonales wie Wintermäntel wird gern genommen.

Marktforscher taxieren, dass dieser Markt in den nächsten drei Jahren auf ein globales Volumen von 1,9 Milliarden Dollar steigen wird. Als potenzielle Kunden werden nicht nur umwelt- und klimabewusste, in der Mehrheit weibliche Zeitgenossen gesehen, sondern vor allem auch jüngere Menschen, die sich mit schicken und entsprechend teuren Outfits schmücken wollen, die sie sich normalerweise nicht leisten könnten.

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Kleiderkreisel als Alternative

Günstige Preise jenseits von Fast Fashion spielen natürlich auch eine Rolle bei der zweiten Variante für neue Wege in der Modewelt: Secondhand im Internet. Kürzlich hat das litauische Start-up Vinted den Status eines Einhorns erreicht, also eine Bewertung von mehr als einer Milliarde Euro. Zu den Investoren gehört auch der Burda-Konzern. Das eingesammelte Kapital wird nach den Worten von Firmenchef Thomas Plantenga natürlich in die Expansion in Europa gesteckt. Das junge Unternehmen ist bislang in zwölf Ländern aktiv – zu Vinted gehört auch die hiesige Website Kleiderkreisel.

Im vorigen Jahr hat sich der Umsatz des litauischen Unternehmens auf knapp 33 Millionen Euro verdreifacht. Allerdings hat Plantenga auch den Nettoverlust auf 42 Millionen Euro vervierfacht. Wie bei vielen anderen Internet-Start-ups kann der Weg in die Profitabilität nur über Größe gelingen. Die Vinted-Manager sehen dafür Potenzial, sie trauen dem globalen Secondhand-Markt ein Marktvolumen von jährlich 500 Milliarden Euro zu. Und sie erwarten, dass Geschäfte mit den gebrauchten Klamotten 20-mal schneller wachsen werden als die mit neuen Textilien. Wichtigste Käufergruppe sind junge Menschen bis 24 – die Generation Greta.

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