Lynk & Co: Der Autobauer, der Mobilität statt Fahrzeuge verkaufen will
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/ORQ7UDCZZ5E3HASV7IFWZC5734.jpeg)
Der Lynk & Co 01: Ein hochwertiges Großstadt-SUV zum Teilen.
© Quelle: Lynk & Co
Ein Auto, das auf der Straße unterwegs ist und nicht 96 Prozent seines Tages in der Garage verbringt – das ist die Idee, die sich hinter Lynk & Co verbirgt. Wer den Wagen fährt, das sollen die Lynk & Co-Kunden unter sich selbst ausmachen – unterstützt von einer App. Was das Kind von Volvo und dessen chinesischem Eigner Geely sonst noch von Sharing oder Leasing unterscheidet, schildert Lynk-Chef Alain Visser im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Die Auswahl ist nicht sehr groß. Ganz hinten in einem verwinkelten Raum des großzügigen zweistöckigen Ladenlokals in Berlins alter Mitte steht er, der Lynk & Co 01. In strahlendem Blau oder dezenten Schwarz ist er zu haben – das war’s eigentlich mit den Optionen. In den Räumen davor, einer Mischung aus Bioboutique, Großstadtcafé und Co-Working-Space, sitzen junge Menschen beim Kaffee oder vor ihren Laptops.
Was hat das jetzt mit dem Auto zu tun? Der Lynk & Co Club ist der Ort, an dem dieses Fahrzeug angeschaut werden kann, aber nicht im Mittelpunkt stehen soll. Auf den ersten Blick ein Widerspruch. Möchte man denn gar keine Fahrzeuge verkaufen? „Da, wo alle Autohersteller Autos verkaufen, wollen wir Mobilitätserfahrungen verkaufen“, sagt Alain Visser, CEO von Lynk & Co, im Gespräch mit dem RND. „Deshalb wollen wir auch keine Autohäuser. Nach 35 Jahren in der Autoindustrie habe ich noch immer nicht die Familie getroffen, die am Sonntagmorgen zu ihren Kindern sagt: ‚Jungs. Gute Nachricht! Wir gehen zum Autohändler.‘“
Der Belgier Visser, ehemaliger Opel-Chef, 17 Jahre bei Ford, neun bei General Motors und zuletzt vier Jahre bei Volvo, ist überzeugt davon, dass sich etwas ändern muss in seiner Branche. „In der Autoindustrie hat sich 100 Jahre lang nichts bewegt.“ Die Autos selbst hätten sich in den vergangenen fünf Jahren allerdings so verändert wie in 50 Jahren nicht.
Die Idee, ein Auto zu bauen, das kurzfristig, aber fortwährend eingesetzt werden kann und innerhalb einer eigenen Community zirkuliert, treibt Visser schon länger um. Schließlich konnte er sein Konzept Geely verkaufen, dem chinesischen Mutterkonzern von Volvo, Polestar und Lotus. Das Basisprinzip ist ein monatlich kündbares Abo zum Fixpreis von 500 Euro. Darin ist alles enthalten – Versicherung, Wartung, Winterreifen etc. Braucht man das Fahrzeug nicht, lässt es sich per App stunden- oder tageweise an die Lynk & Co Community vermieten. Eine Kaufoption sowie gewerbliche Flottenangebote gibt es auch.
„Wir sind das Spotify der Autoindustrie“
„In Deutschland ist derzeit sehr viel von Autoabos zu lesen“, sagt Visser. „Aber das ist nichts anderes als Marketing-Blabla für Leasing. Bei uns hat man wirklich ein Monatsabo. Ich sage immer, wir sind das Spotify der Autoindustrie. Sie kaufen da für einen Monat Musik – bei uns Mobility –, und nach einem Monat können Sie sagen, ich höre auf, gebe das Auto zurück und Schluss. Und es gibt einen weiteren Unterschied. All diese Autohersteller, die tatsächlich jetzt für mehr Lifestyle sorgen, haben letztlich nur ein Ziel: mehr Autos zu verkaufen. Das wollen wir nicht – im Gegenteil.
Unser Ziel ist, die Nutzung des Autos zu erhöhen. Deswegen ist Sharing bei uns ein integriertes Konzept. Wenn man sieht, dass 96 Prozent der Zeit das Auto stillsteht, dann kann das nicht die Lösung sein zu sagen, wir wollen mehr Autos verkaufen. Also wir haben gesagt, unser Geschäftsmodell ist nicht, so viele Autos wie möglich auf den Markt zu bringen, sondern die Autos, die wir auf den Markt bringen, optimal zu nutzen. Das ist unser Geschäftsmodell. Und ich glaube, es ist gut.“
Alain Visser, CEO von Lynk & Co
© Quelle: Daniel Killy/RND
Gut ist auch das Fahrzeug, das auf der CMA-Plattform (Compact Modular Architecture) des Volvo XC 40 und Polestar 2 in China gebaut, aber in Schweden entwickelt wird. Geely hält 70, Volvo rund 30 Prozent an dem Joint Venture. Und weil man sich offensichtlich von der Idee sehr viel verspricht, ist der Lynk & Co 01 auch komplett ausgestattet – bei einem Kaufpreis für die, die dann doch noch ein Auto kaufen wollen, von 42.000 Euro. Das ist eine von den Konzernmüttern Geely und Volvo stark subventionierte Differenz von rund 17.000 Euro zu einem vollausgestatteten XC 40 Hybrid.
Ein hochwertiges Großstadt-SUV, das als Plug-in-Hybrid auf der Autobahn politisch inkorrekte 210 km/h erreicht und somit aus dem Motto „Teilen statt Eilen“ ein „Teilen und Eilen“ macht. Seinen wahren Charme entfaltet der Vollhybrid im einmonatigen Praxistest allerdings eher in der Großstadt oder als Kurzstreckenpendler. Denn mit den gut 70 Kilometern rein elektrischer Reichweite, die sich in der Automatikposition „B“ mit ordentlich Rekuperation auch wirklich ausschöpfen lässt, ist man große Teile des fahrerischen Regelalltags emissionsfrei unterwegs.
Sofern einem nicht die miserable Ladesäulenstruktur in Hamburg und etliche kalte Nächte die noch vorherrschenden Probleme der E‑Mobilität vor Augen führen. Hinzu kommt, dass die 17,6-kW/h-Batterie des Lynk & Co 01 nicht zu den Schnellladern gehört. Aber das ist keine Kinderkrankheit des Lynk & Co, das sind durchaus omnipräsente Probleme einer noch sehr mangelhaften flächendeckenden Elektrifizierung. Der Lynk & Co jedenfalls macht in praktisch jeder Verkehrssituation bella figura. Das im Vergleich zum XC 40 um zwölf Zentimeter gestreckte Chassis lässt viel Raum für Fondpassagiere und sorgt für eine gediegene Steifigkeit in den Kurven. Der Rest ist Volvo – ob praktische Details wie das gekühlte Handschuhfach oder die hochwertigen Bedienelemente und die passive Sicherheit.
Der Lynk & Co 01 macht richtig Spaß, als klassischer Autofahrer will man ihn haben – aber er soll halt vor allem dadurch Spaß machen, dass er nicht in der eigenen Garage steht.
So leugnet Alain Visser auch gar nicht die Nähe zu Volvo, stellt aber den Unterschied zum Lynk & Co 01 deutlich heraus: „Volvo ist für mich die einzige Automarke, die wirklich Ernst macht in Sachen Nachhaltigkeit und Lifestyle. Aber es bleibt natürlich eine Automarke. Wir sind eine Marke, die von Anfang an nicht eine Automarke ist, sondern versucht, etwas komplett anderes zu machen. 80 Prozent meiner Mitarbeiter haben nie in der Autoindustrie gearbeitet. Mein Marketingchef hat keinen Führerschein. Vielleicht reden wir deswegen auch so wenig über das Auto.“
Und bleibt es bei der chinesischen „Ein-Kind-Politik“, also immer nur ein Lynk & Co gleichzeitig auf dem europäischen und amerikanischen Markt, Herr Visser? „Wir könnten mal zwei Autos haben. Ich glaube maximal. Aber ich mag diese brutale Schlichtheit. Ich habe es nie verstanden, warum jedes Auto in 15 Farben, mit sechs Felgen, Lederausstattung oder ohne und mit Hunderten Optionen angeboten werden muss.
Lynk & Co Club Berlin
© Quelle: Daniel Killy/RND
„Schwarz und blau, alles ist drin, alles ist dran“
Und wir haben gesagt, schwarz und blau, alles ist drin, alles ist dran. Sie machen nie einen Fehler, sie haben alles. Und das hat auch zwei Vorteile. Erstens die Einsparungen in der Herstellung im Werk sind enorm. Wir bauen immer nur zwei Autos (Mild Hybrid und Plug-in, Red.). Zweitens, wir haben immer das richtige Auto auf Lager. Wir bauen nur fürs Lager, weil wir ab Lager verkaufen. Aber wir haben immer das richtige Auto. Wenn Sie am Montag bestellen, sollten Sie normalerweise Mittwoch damit nach Hause fahren. Wir müssen nur die Versicherung und die Zulassung organisieren.“
Das Auto mobil zu halten, anstatt zu parken – dieses Konzept gilt auch für Businesskunden. Dabei können auch mehr monatliche Kilometer vereinbart werden als die 1250, die im Abonnement vorgesehen sind. „Das für mich Interessanteste bei unserem Konzept ist aber Folgendes“, so Visser: „In einer Großstadt wohnen drei Freunde, die sagen alle drei: ‚Ich möchte ein Auto, aber eigentlich nicht immer.‘ Warum teilen wir uns nicht die 500 Euro, und wir benutzen die App, um einfach zu verabreden, wer das Auto nimmt, und die Benutzer setzen den Preis auf null. Und teilen das Auto unter sich auf. Das ist, glaube ich, das Konzept, wo wir am meisten Potenzial sehen.“
Blick in den Lynk & Co Club Berlin: das Auto als Nebensache.
© Quelle: Daniel Killy/RND
35.000 Mitglieder haben sich von der Idee bereits in den sechs Lynk & Co Ländern Spanien, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande, Deutschland und Schweden überzeugen lassen, darunter 4500 in Deutschland (Stand Januar 2022). Im Dezember 2021 hatte Lynk & Co 600 Mitarbeiter, zum Jahresbeginn 2021 waren es 220.
„Wir hatten das Ziel, 2022 etwa 20.000 Autos auf die Straße zu bringen“, sagt Alain Visser. „Aber weil wir jetzt schon 30.000 Nachfragen haben, ist auch für uns die Lieferbarkeit zu einer Versorgungsfrage geworden. Wir sind ja nicht unbeeinflusst von dem Chipproblem. Aber wir glauben, wenn sich die Lage in den nächsten Monaten bessert, dass wir 2022 deutlich mehr als 20.000 Fahrzeuge auf Europas Straßen haben werden.“
Die Sharing-Zahlen sind dabei noch undeutlich. Laut ersten Trends werde das Angebot aber durchaus genutzt, so Visser. „Die bisher größte Überraschung für uns ist aber Folgendes: Wir haben vor drei Jahren entschieden, wir bieten das Auto auch zum Kauf an. Wir haben uns intern gewünscht, dass wir 70 Prozent Membership haben und 30 Prozent Kauf. Und wir sind jetzt auf 95 Prozent Membership, was für uns sehr überraschend und natürlich sehr motivierend ist. Denn das heißt, dass die Europäer deutlich das Signal geben, dass sie offen sind für so ein Geschäftsmodell.“
„Elektrizität allein ist nicht nachhaltig“
Allein von Kundenseite lässt sich das Strukturproblem von Autobranche und Gesamtgesellschaft allerdings nicht lösen, meint Alain Visser: „Es gibt in dieser Autoindustrie so eine extreme Scheinheiligkeit. Auf einmal sind alle nachhaltig. Warum? Weil sie elektrische Autos machen. Warum machen sie elektrische Autos? Weil Tesla vor zehn Jahren bewiesen hat, dass es geht. Aber wenn das Geschäftsmodell nach 100 Jahren immer noch ist, so viele Autos wie möglich auf die Straße zu kriegen, die nur zu 4 Prozent genutzt werden, dann ist das verdammt noch mal nicht nachhaltig.“
Visser ist nicht zu stoppen und auch nicht kompromissbereit bei dem Thema: „Alle Autohersteller sagen, Sharing, das funktioniert nicht. Aber das stimmt überhaupt nicht. Natürlich funktioniert Sharing. Wenn Leute bereit sind, ihr eigenes Haus zu vermieten, warum dann nicht ein Auto? Doch die Hersteller versagen dabei, das Sharing zu promoten. Wie sollen sie auch? Lasst uns ehrlich sein: Wenn dein Ziel ist, mehr Autos zu verkaufen, ist Sharing gegen das Ziel. Das ist ein Interessenskonflikt. Also wenn du wirklich als Alleinstellungsmerkmal hast, Autos zu verkaufen, warum würdest du dann Sharing promoten?“
Der Lynk & Co 02 wird mit einiger Sicherheit ein vollelektrisches Fahrzeug werden – noch sei die Infrastruktur dafür nicht ausreichend in Europa, meint Visser. Und kritisiert die Autobranche erneut: „Elektromobilität ist eine technische Änderung desselben Konzepts. Das ist für mich der Beweis, dass diese Industrie noch immer schläft. Ich sage seit 15 Jahren, wenn diese Industrie nicht aufpasst, wird sie in zehn Jahren Zulieferer eines Dienstleistungsgeschäfts sein. Und das passiert jetzt schon.“ Visser bemüht einen Vergleich aus der Flugbranche. Man wolle lieber nicht als Herstellermarke wahrgenommen werden, sondern als Anbieter von Flügen und den damit verbundenen Services.
„Die Autoindustrie sollte sich entscheiden, ob sie Lufthansa oder Boeing sein will. Ich glaube, die gesamte Industrie hat entschieden, dass sie Boeing sein will, was meiner Meinung nach völlig falsch ist. Wir haben entschieden, wir wollen Lufthansa sein, aber wir haben unser eigenes Flugzeug.“
Das „Flugzeug“, es steht ganz hinten im Club. Es ist strahlend blau.