Roboterautos: „Der digitale Fahrer kommt 2025“

Johann Jungwirth von Mobileye gilt als einer der wichtigsten Vordenker beim autonomen Fahren.

Johann Jungwirth von Mobileye gilt als einer der wichtigsten Vordenker beim autonomen Fahren.

Frankfurt/Main. Johann „JJ“ Jung­wirth gilt als einer der welt­weit führenden Köpfe beim Thema auto­nomes Fahren. Er leitet bei der Intel-Tochter Mobil­eye seit 2019 den Bereich Mobi­lity as a Service (MaaS). Im RND-Inter­view erläu­tert Jung­wirth, dass mit den Roboter­­autos Mobi­lität nicht nur sicherer und erschwing­licher, sondern auch sauberer und effi­zienter werden soll. Der Manager geht davon aus, dass die Selbst­fahr­­tech­nologie vom Jahr 2025 an auch für private Pkw als Zusatz­­ausstat­tung offeriert wird. Vor seiner Zeit bei Mobil­eye war Jung­wirth der Digital­chef des Volks­wagen-Konzerns. Der heute 47-Jährige hat auch bei Daimler und bei Apple gearbeitet.

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Herr Jung­wirth, wer heute mit den neuesten Assis­tenz­­systemen fährt, kann immer noch unlieb­same Über­raschungen erleben. Autos, die auf Abbiege­­streifen plötz­lich beschleu­nigen oder das Tempo ohne erkenn­baren Grund extrem verlang­samen. Das erhöht nicht gerade das Vertrauen ins auto­nome Fahren.

Es ist ganz wichtig zu unter­scheiden: Was heute in Autos als Assis­tenz­­systeme ange­boten wird und was es in Zukunft geben wird. Die heutigen Assis­tenz­­systeme – der Stufen eins und zwei – benö­tigen einen Fahrer, der das System über­wacht. Auto­nomes Fahren – Stufe vier und fünf – ist eine ganz andere Dimen­sion beim Beob­achten des Verkehrs und der Umwelt. Wir haben dafür zwei komplett unab­hängige Systeme, eins basiert auf Kameras, und das andere basiert auf Radar- und Lidar­sensoren. Die Infor­mationen beider Systeme werden ständig miteinander abge­glichen. So kann der digi­tale Fahrer die rich­tigen Entschei­dungen treffen.

Empfehlen Sie Auto­fahrern dennoch, zum Einge­wöhnen die aktuellen Assis­tenz­­systeme schon mal zu nutzen?

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Die heutigen Assis­tenz­­systeme redu­zieren die Häufig­keit von Unfällen schon heute. Auffahr­­unfälle werden in hohem Maß durch Brems­­assis­tenten vermieden. Deshalb sollte man diese Systeme in jedem Fall nutzen. Mit unserem neuen „Mobil­eye Super-Vision Level 2+“-Fahrer­­assis­tenz­­system kann man sogar die Hände vom Lenkrad nehmen und muss das System und die Fahr­weise nur über­wachen und bei Bedarf über­nehmen. Dieses System haben wir mit vier Fahr­zeugen auch während der IAA Mobi­lity in München demons­triert.

Autos ohne Fahrer schon Ende 2022

Sie wollen aber viel weiter. Wann kommen die Robo­­taxis?

Wir werden im nächsten Jahr mit Robo­taxis in München starten, zunächst noch mit Sicherheits­fahrern an Bord. Sobald wir die entsprechende Typ­genehmigung vom Kraftfahrt­bundesamt haben, werden wir die komplett autonomen Autos ohne Fahrer sehen – in der zweiten Jahres­hälfte 2022 oder Anfang 2023. Auf der IAA im September hatten wir die Welt­premiere unseres Robotaxi-Fahrzeugs – mit sehr positiver Resonanz.

Warum planen Sie, dafür SUV mit Elektro­antrieb vom hierzulande kaum bekannten chinesischen Start-up Nio einzusetzen? Mobileye kooperiert doch seit Jahren auch mit dem Münchner Unternehmen BMW.

Wir arbeiten weiterhin gerne mit BMW und anderen deutschen Unternehmen zusammen. Als wir aber 2019 nach einem Partner für das Robotaxi suchten, hatten wir drei Anforderungen: Erstens sollte das Fahrzeug autonomes Fahren auf Level vier können – das System übernimmt vollständig die Kontrolle und muss nicht mehr von einem Fahrer überwacht werden. Zweitens sollte die Fertigung der Fahrzeuge in diesem Jahr beginnen. Und drittens sollte garantiert werden, dass der Sicherheits­fahrer 2022 wegfallen kann. Nio konnte diese Anforderungen erfüllen. Damit war die Entscheidung klar.

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Das passt dazu, dass Experten bei chinesischen Herstellern einen großen Vorsprung beim automatischen Fahren sehen. Werden die deutschen Autobauer abgehängt?

Das kann man nicht generell sagen. Die Technologie zum autonomen Fahren wird komplett von uns entwickelt und bereitgestellt. Bei unserer Entscheidung ging es vorrangig um die Fahrzeug­plattform, welche bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss, wie eine doppelte Strom­versorgung oder Redundanz, die mit der Technik zum autonomen Fahren an sich nichts zu tun haben.

Das alles ist schon einsatzfähig?

Wir haben ein schlüsselfertiges System für Level vier und fünf, beginnend mit Level vier in München und Tel Aviv im nächsten Jahr. Das können wir in beinahe jedes beliebige Fahrzeug integrieren. Wir haben derzeit mehr als ein halbes Dutzend Projekte laufen für Fahrzeuge verschiedener Art. Auch Nutz­fahrzeuge und Shuttles für die Personen­beförderung sind dabei. Die Nutzer können schon bald über eine Smartphone-App die Fahrzeuge rufen.

Mit 120 Stunden­kilometer über die Autobahn

Selbstfahrende Kleinbusse, die mit 20 Sachen unterwegs sind, gibt es seit einigen Jahren. Haben Sie etwas in dieser Art entwickelt?

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Das ist uns ganz wichtig: Der digitale Mobileye-Fahrer fährt von der Fahrweise her wie ein Mensch, nur sicherer. Unsere Test­fahrzeuge sind auf allen Typen von Straßen unterwegs. Auf der Autobahn mit bis zu 120 km/h. Sie halten sich an Geschwindigkeits­begrenzungen, und die Shuttles dürfen bis 50 km/h fahren, da man sich in den Fahrzeugen nicht anschnallen muss und dort auch stehen kann. Wir wollen kein Fahrzeug auf die Straße bringen, das sich wie ein Verkehrs­hindernis anfühlt.

Trotz der hohen Geschwindigkeiten können Sie die Verkehrs­sicherheit garantieren?

Autonomes Fahren bedeutet, sicherer als der Mensch zu fahren, um den Faktor zehn oder den Faktor 100 und vielleicht sogar irgendwann um den Faktor 1000. Wobei zu bedenken ist, dass mehr als 90 Prozent aller Verkehrs­unfälle durch menschliches Versagen verursacht werden. Autonome Systeme werden hingegen nicht müde, trinken keinen Alkohol, haben keine Schreck­sekunde und nicht zwei, sondern zig Augen, die bei Tag und bei Nacht sehr gut sehen.

Tesla offeriert schon einen Autopiloten, mit dem es aber tragische Unfälle gab.

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Tesla sagt ganz klar, dass es sich um ein Level-zwei-System handelt. Das darf man nicht mit Level vier und Level fünf vergleichen, das wir auf der IAA gezeigt haben. Es ist wirklich sehr wichtig, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Levels zu erkennen.

Mehr Mobilität für Alte und Behinderte

Wann kommt das erste Auto, das keine Lenkräder und keine Pedale mehr hat?

Im nächsten Jahr kommen die ersten Fahrzeuge auf die Straße, welche auch fahrerlos Menschen und Güter transportieren können. Erst dann kann man bewerten, was autonomes Fahren wirklich ist und wie groß der Unterschied zu den heutigen Assistenz­systemen ist. Diese Autos ohne Fahrer werden sich bald ganz selbst­verständlich in den Verkehr einfügen, wo noch überwiegend von Menschen gelenkte Autos unterwegs sind. Ab 2023 erwarten wir vor allem die Shuttles ohne Lenkrad und Pedalerie, die im öffentlichen Nahverkehr unterstützend eingesetzt werden. Damit wird auch für Menschen im Rollstuhl, Ältere und Behinderte der Zugang zu Mobilität erheblich erleichtert.

Das wird nicht nur die Autobranche, sondern die gesamte Mobilität umkrempeln?

Mobilität für alle und inklusive Mobilität – das liegt mir persönlich auch sehr am Herzen. Das können wir jetzt schaffen. Es wird auch erheblich einfacher, ländliche Gebiete mit ÖPNV-Angeboten abzudecken. Die dann für den aktuellen Bedarf maßgeschneidert werden können – also nicht mehr riesige Busse mit Diesel­motoren.

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Wann kommen Roboter­autos für privat genutzte Personen­wagen?

Unsere Roadmap sieht das für die Jahre ab 2025 vor. Vor allem weil dann die Kosten für die Selbstfahr­technologie in einem Rahmen sind, um die Fahrzeuge auch an Privatleute zu verkaufen. Es geht aber auch darum, dass der digitale Fahrer als Sonder­ausstattung erst angeboten werden kann, wenn er auch nahezu überall funktioniert. Dafür sind noch zwei, drei Jahre notwendig.

Was wird der nächste Schritt sein?

Der nächste Schritt wird dann zwischen 2025 und 2030 der Wegfall von Lenkrad und Pedalerie sein in einer größeren Anzahl von Neufahrzeugen für verschiedene Einsatz­zwecke. Und dann wird auch sehr bald die Diskussion kommen, ob man Menschen in bestimmten Städten überhaupt noch erlaubt zu fahren, weil das dann unnötige Unfallrisiken bringt. Zumindest Zonen in Innenstädten, wo nur autonome Autos fahren dürfen, kann ich mir sehr gut vorstellen.

Autonomes Fahren wird eine Disruption für die Branche. Welche Hersteller werden sich durchsetzen?

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Das kann niemand derzeit vorhersagen. Ich würde das jetzt auch nicht auf einzelne Länder oder Hersteller beziehen. Was man sieht, ist die Veränderung der Wertschöpfungs­kette. Wir sprechen von Mobility as a Service: Mobilität wird zu einer Dienstleistung per Smartphone. Zudem werden sich neue Geschäfts­modelle entwickeln. Im Preis fürs Kinoticket kann die Fahrt zum Kino und wieder zurück gleich eingeschlossen werden. Das gilt ebenfalls für Übernachtungen in Hotels, fürs Einkaufen bei Edeka oder den Besuch eines Fußball­spiels. Da kommen ganz neue Akteure in die Branche – das ist die wirkliche Revolution, ermöglicht durch das Roboter­auto.

Neues Betätigungs­feld für Innen­architekten

Solche Dienstleitungs­angebote machen es doch überflüssig, ein Auto zu besitzen?

Das ist so. Wir werden definitiv eine Verschiebung sehen, wir werden viel mehr Fahrzeuge im Flotten­betrieb von Mobilitäts­anbietern sehen. Wie gesagt: Mobilität gibt es quasi auf Knopfdruck. Und in ländlichen Gebieten wird es beispielsweise auch Apotheken auf Rädern geben, die ohne Fahrer über die Dörfer rollen und die Menschen mit Medikamenten versorgen.

Wie wird sich generell das Verhältnis der Menschen zum Auto ändern?

Es wird viel mehr um den Innenraum gehen. Wie ein Büro oder eine Lounge, vielleicht sogar mit Schlaf­möglichkeiten. Oder ein Fahrzeug als Kinosaal. Die Möblierung wird von großer Bedeutung sein, da durch den Wegfall des Lenkrads und der Pedalerie ganz neue Möglichkeiten für Innenarchitekten entstehen. Familien können sich um einen Tisch herum versammeln.

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Was wird dann aus Porsche, BMW oder Audi – also Autobauer, die sich heute über PS und auch ganz stark über die äußere Hülle definieren?

Das Interieur wird zum neuen Exterieur. Gerade im Premium­bereich gibt es auch weiterhin sehr großes Potenzial für Differenzierung und Innovationen. Dieses haben die Premium­marken bereits an anderer Stelle unter Beweis gestellt.

Neben Mobileye mischen auch große Techkonzerne bei Mobility as a Service mit. Haben Sie Angst vor Apple oder Google?

Wir haben Respekt vor allen Wettbewerbern, wir sehen das sportlich. Zwar hat es schon eine starke Konsolidierung gegeben. Aber Wettbewerb wird es künftig auch beim autonomen Fahren geben. Unser großer Vorteil ist, dass wir mit so gut wie allen Auto­herstellern zusammenarbeiten. Jetzt sind es schon mehr als 28 Hersteller und Marken. Diese Unabhängigkeit ist uns wichtig. Und wir haben bereits viele weitere Anfragen von Autobauern. Mehr als wir bearbeiten können.

Wird sich ähnlich wie bei Handy­betriebs­systemen eine Struktur mit zwei oder drei Anbietern bei den künftigen Betriebs­systemen für Autos entwickeln?

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Die Analogie ist gut. Ich rechne damit, dass es eine Handvoll Technologie­anbieter für digitale Fahrer und die dazugehörigen Komplett­systeme geben wird.

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