Selbstfahrende Autos: Wann rollen sie auf Deutschlands Straßen – und wie weit ist die Technik?
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Noch gehören die Hände ans Lenkrad – aber wie lange noch?
© Quelle: dpa
Im April sorgte ein Unfall im US-Bundesstaat Texas weltweit für Schlagzeilen: Ein Elektroauto der Marke Tesla prallte gegen einen Baum und geriet in Brand, zwei Menschen starben. Schnell kursierten Gerüchte, das Assistenzsystem „Autopilot“ des Wagens habe womöglich versagt. Bewiesen ist das bis heute nicht, nach jüngeren Angaben der zuständigen Behörde war das System vermutlich nicht voll aktiviert – auch Tesla-Chef Elon Musk hatte dies immer betont.
Vorfälle wie dieser dürften bei vielen Menschen ein ungutes Gefühl beim Gedanken an selbsttätig fahrende Autos zurücklassen. Die meisten verfügbaren Daten sprechen allerdings dafür, dass automatisierte Fahrzeuge für mehr Sicherheit im Verkehr sorgen. In Deutschland wird die Technologieentwicklung hin zum autonomen Fahren in zahlreichen Projekten in Wissenschaft und Wirtschaft vorangetrieben.
Bundesregierung schafft mit Gesetzesänderungen rechtlichen Rahmen für automatisiertes Fahren
Kürzlich schaffte die Bundesregierung mit der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Pflichtversicherungsgesetzes auch den rechtlichen Rahmen für hoch- und vollautomatisiertes Fahren. Das Gesetz mache den „Weg frei, um selbststeuernde Fahrzeuge ganz regulär auf die Straße zu holen – als erstes Land weltweit“, sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nach der Zustimmung des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf. Das Gesetz regelt den Betrieb führerloser Kraftfahrzeuge in zahlreichen Einsatzszenarien, wie zum Beispiel für Shuttlebusse oder Fahrzeuge auf der Strecke zwischen zwei Verteilerzentren. Dabei umschreibt es technische Anforderungen an die Fahrzeuge, regelt das Zulassungsprozedere oder die Datenverarbeitung der Systeme.
Ausnahmegenehmigungen der zuständigen Behörden für den Betrieb automatisierter Fahrzeuge in einem begrenzten Gebiet sind damit nicht mehr nötig, etwa für autonom fahrende Shuttlebusse, eine der derzeit verbreitetsten Anwendungen der Technologie. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen führt auf seiner Internetseite 56 Projekte mit solchen Bussen auf.
Expertin sieht im ÖPNV eine der frühen Anwendungsmöglichkeiten für autonomes Fahren
Eines davon ist HEAT, was für Hamburg Electric Autonomous Transportation (autonom fahrende elektrische Busse in Hamburg) steht. Der elektrisch angetriebene, fünf Meter lange Bus fährt in der Hafencity, ganz in der Nähe der Elbphilharmonie, im Testbetrieb. Die Hamburger Hochbahn AG, das landesweit größte Verkehrsunternehmen, betreut das vom Bundesumweltministerium geförderte Forschungs- und Entwicklungsprojekt mit mehreren Partnern. Im Oktober 2021 wird HEAT ein zentrales Vorzeigeprojekt im Rahmen des Weltkongresses ITS (Intelligent Transport Systems and Services, Intelligente Verkehrssysteme und Services) in Hamburg sein.
Katharina Seifert sieht im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) eine der frühen Anwendungsmöglichkeiten für autonomes Fahren. „Die Technologie ist aufwendig, deshalb muss es für den Betreiber einen bestimmten Nutzen geben, etwa ein besseres Mobilitätsangebot für die Kunden“, sagt Seifert. Sie leitet das Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig, das mit öffentlicher Förderung und Wirtschaftspartnern das Testfeld Niedersachsen betreibt: 280 Streckenkilometer auf Autobahnen, Bundes- und Landstraßen sowie die Strecken der Anwendungsplattform Intelligente Mobilität in der Braunschweiger Innenstadt.
Testfeld Niedersachsen: Offene Forschungs- und Entwicklungsplattform
Das Testfeld Niedersachsen präsentiert sich als offene Forschungs- und Entwicklungsplattform, die unter anderem eine hochgenaue Erfassungstechnik für Fahrzeugpositionen und verschiedene Simulationsmöglichkeiten bietet. Zwar sind Pkw dabei wichtige Testobjekte, doch sieht Seifert sie nicht unbedingt als die Fahrzeuge an, bei denen das automatisierte Fahren in den ersten Jahren eine wichtige Rolle spielen wird. Diese Fahrzeuge würden stattdessen in kleinen Schritten automatisiert: „Die Fahrerassistenzsysteme, etwa Spurhalte- oder Stauassistenten, dienen als Startpunkt für die Automatisierung definierter Fahrsituationen.“
Eher könnte die Technologie für die Logistikbranche interessant sein, vor allem für Speditionen. So verweist Seifert auf ein Projekt der Daimler AG, bei dem über Funk vernetzte Lkw einen Konvoi bilden. Darin fahren zwei, drei oder mehr Laster automatisiert einem führenden Lkw in geringem Abstand hinterher. Dieses sogenannte Platooning spart wegen des geringeren Luftwiderstands etwa 7 Prozent an Kraftstoff, berichtet Jürgen Bönninger, Geschäftsführer der Fahrzeugsystemdaten GmbH (FSD) in Dresden und Leiter der Zentralen Stelle nach StVG. Die FSD entwickelt neuartige Prüftechnologien, um Störungen, Verschleiß, Alterung und Manipulation an Fahrzeugbauteilen und -systemen für die periodisch-technische Fahrzeugüberwachung feststellen zu können.
Experte: Vollautomatisiertes und vernetztes Fahren könnte den Lastkraftverkehr sicherer machen
Für Bönninger ist das Platooning die logische Weiterentwicklung der aktuellen Situation: „Schon heute fahren manche Lkws Hunderte Kilometer hintereinander her.“ Das vollautomatisierte und vernetzte Fahren könnte den Lastkraftverkehr sicherer machen, denn wenn das erste Fahrzeug bremst und lenkt, bremsen und lenken die Folgenden ohne bedeutende Latenzzeiten – menschliche Fahrerinnen und Fahrer benötigen hingegen jeweils eine Reaktionszeit von etwa einer Sekunde, wenn sie aufmerksam sind. Zwar würden zunächst noch für jeden Lkw im Konvoi Fahrerinnen und Fahrer benötigt, aber diese könnten entlastet werden, etwa bei den Regeln zu den Lenk- und Ruhezeiten. Mit einer Verringerung der Lkw-Maut könnte ein zusätzlicher Anreiz für Speditionen gesetzt werden, eine solche Technologie zu nutzen, meint Bönninger.
Im Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes fehlen dem amtlich anerkannten Sachverständigen für den Kraftfahrzeugverkehr einige Aspekte: So sei die vorgeschriebene Datenerhebung nicht ausreichend, um die Technologie weiterzuentwickeln und sicherer zu machen. Beispielsweise müssten mehr Daten aus der Umgebung des Fahrzeugs, auch anonymisierte Daten anderer Verkehrsteilnehmer, erfasst werden. Sie sollten später auch für eine Überprüfung der Leistungsfähigkeit durch zuständige Stellen oder Behörden herangezogen werden und für die Prüfung, ob Teile der Technik, etwa Sensoren, noch einwandfrei funktionieren. Zudem fordert Bönninger, standardisierte Schnittstellen und Datenformate für die Datenübertragung vorzuschreiben.
Jurist: Entwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes teils vage
Schließlich stört sich Bönninger am Wort „autonom“, denn Autonomie sei dem Menschen vorbehalten. Auch viele Wissenschaftler sprechen lieber von „hoch- oder vollautomatisiertem Fahren“. Nach einer Einteilung des ADAC entspricht das „autonome Fahren“ der höchsten Kategorie (Level fünf), wobei der Mensch nicht mehr eingreifen muss.
Ein weiteres Problem sieht Benjamin von Bodungen von der German Graduate School of Management and Law in Heilbronn: Der Gesetzentwurf führt als Sicherheitsmaßnahme die technische Aufsicht ein, die in problematischen Situationen Fahrfunktionen deaktivieren und Fahrmanöver freigeben kann. Allerdings bleibt der Gesetzestext hier ziemlich vage, so von Bodungen. „Aus dem Gesetzentwurf ist nicht einmal zu entnehmen, ob sich die technische Aufsicht zwingend außerhalb des Fahrzeugs befinden muss.“ Er geht davon aus, dass dieser Aspekt in einer Verordnung genauer geregelt werden wird. Von Bodungen kann sich eine Art Verkehrsleitstelle vorstellen, die die Überwachung ganzer Fahrzeugflotten übernimmt. Dies käme wohl vor allem für die öffentliche Personen- und kommerzielle Güterbeförderung infrage, also in erster Linie für LKW und Busse.
Expertinnen und Experten halten ausgereifte technische Systeme für sicher
Von Bodungen sieht jedoch auch ein mögliches Geschäftsmodell für Mobilitätsanbieter, die neben einem autonomen Fahrzeug auch die technische Aufsicht als Service offerieren. In jedem Fall muss die technische Aufsicht per Funk mit dem Fahrzeug in Kontakt stehen, was Markus Maurer von der Technischen Universität Braunschweig kritisch sieht: „Die mit dieser Aufsicht verbundenen Risiken in den Bereichen Cybersicherheit und Datenschutz sollten von Expertinnen und Experten und in der öffentlichen Debatte besonders diskutiert werden.“ Nach seiner Einschätzung kann diese Aufsicht keinen wesentlichen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten.
Für sicher halten die meisten Expertinnen und Experten hingegen die ausgereiften technischen Systeme, die mit Kameras, Lidar- und Radarsensoren die Fahrzeugumgebung erfassen. Christoph Stiller vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zufolge können die Systeme „in den Sensordaten die relevanten Objekte wie Fahrbahn, Bordsteine oder Ampeln und andere Verkehrsteilnehmende wie Fußgängerinnen und Fußgänger, Radfahrerinnen und Radfahrer oder andere Autos mit hoher Zuverlässigkeit wahrnehmen“. Aufgrund dieser Information plane dann ein Fahrzeugrechner sinnvolle und vor allem sichere Bewegungsverläufe und steuere Motor, Bremse und Lenkung entsprechend an, sodass sich das Fahrzeug fahrerlos durch den Verkehr bewege.
Ingenieur: Umgang mit Umweltbedingungen größte technische Herausforderungen
„Die größten technischen Herausforderungen liegen im Umgang mit unterschiedlichen Umweltbedingungen“, betont Markus Lienkamp von der Technischen Universität München. Dies seien zum einen Witterungsverhältnisse, wie Regen, Schnee oder Nebel, und schwierige Lichtverhältnisse, wie Gegenlicht oder Dunkelheit. Zum anderen spiele auch der Reibwert der Fahrbahn und damit der Kontakt zwischen Rädern und Straße eine entscheidende Rolle für die Verkehrssicherheit. Dabei stehe besonders die Frage der Kombination verschiedener Sensortypen zur Wahrnehmung der Umgebung im Vordergrund.
Eine solche Kombination sei ein Merkmal der deutschen Forschung auf diesem Gebiet, erklärt Katharina Seifert, während Tesla vor allem auf Kameras setze. „Trotz der fortgeschrittenen Technologie kommt das automatisierte Fahren nicht vollständig ohne Ausbau der Verkehrsinfrastruktur aus“, unterstreicht Seifert. So sei die Umgebungserfassung neben Witterung und anderen situativen Faktoren auch von einer gut sichtbaren Fahrbahnmarkierung abhängig. Allein das Fehlen solcher Markierungen auf kleineren Landstraßen ist Seifert zufolge einer der technischen Hinderungsgründe, einen automatisierten ÖPNV im ländlichen Raum aufzubauen und entlegenere Ortschaften anzubinden.
Bedingungen für automatisiertes Fahren auf gut ausgebauten Straßen bereits gegeben
Auf gut ausgebauten Straßen dürften die Bedingungen für automatisiertes Fahren schon weitgehend gegeben sein. In späteren Ausbaustufen könnten etwa mit den Fahrzeugen vernetzte Ampeln und Verkehrsschilder die Zuverlässigkeit des automatisierten Verkehrs verbessern, sagt Seifert. Für schwierige Passagen, wie Kreuzungen und Autobahnauffahrten, könnten installierte technische Systeme, die mit den automatisierten Fahrzeugen vernetzt sind, für mehr Sicherheit sorgen.
Davon könnten auch die Fahrerassistenzsysteme profitieren, die den Individualverkehr Stück für Stück automatisieren werden. Anwendungen für vollautomatisiertes Fahren jedoch sehen die Experten in den kommenden Jahren vor allem im ÖPNV und im Lastverkehr. „Dass man sich von seinem eigenen Auto abholen lassen kann, wenn man Alkohol getrunken hat, wird in absehbarer Zeit nicht Realität werden“, sagt Jürgen Bönninger.
RND