Diess muss gehen: das überraschend schnelle Ende in Wolfsburg
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Da lachte er noch: Herbert Diess auf dem Genfer Autosalon (Archivfoto).
© Quelle: picture alliance/dpa
Hannover/Berlin. Die Geschichte von Volkswagen ist nicht gerade arm an Paukenschlägen, am Freitagabend kam ein weiterer hinzu. VW-Vorstandschef Herbert Diess nimmt den Hut. Der 63-Jährige habe sich mit dem Aufsichtsrat darauf verständigt, zum 1. September auszuscheiden, teilte das Unternehmen nach Börsenschluss mit.
Auch ein Nachfolger steht bereits fest. Porsche-Chef Oliver Blume wird Diess beerben. Der Zeitpunkt des Führungswechsels kommt selbst intern für viele überraschend. Es war zwar ein offenes Geheimnis, dass Diess immer weniger Rückhalt im Aufsichtsrat hatte, aber zuletzt war etwas mehr Ruhe eingekehrt. In Aufsichtsratskreisen hieß es am Abend, die Aktionärsfamilien Porsche und Piëch, die Diess lange gestützt hatten, hätten sich nun abgewandt. Die Entscheidung sei kurzfristig in den vergangenen Tagen gefallen, man habe sie aber noch vor den Ferien veröffentlichen wollen: Am Freitag hat bei VW der Werksurlaub begonnen.
Zwei Mal hatte Diess bereits kurz vor dem Rauswurf gestanden. Im Jahr 2020, weil er den eigenen Aufsichtsräten das Durchstechen von Firmeninterna an die Medien vorgeworfen und sogar wörtlich von „Straftaten“ gesprochen hatte, die im Aufsichtsrat passiert und dort „offensichtlich zugeordnet werden“ könnten.
Nur mit Mühe konnten die Wogen geglättet werden, aber im Sommer darauf bekam Diess dennoch die von ihm geforderte Vertragsverlängerung bis 2025.
Wer dachte, dass damit endlich Ruhe einkehren würde, irrte gewaltig. Nur wenige Monate nach der Vertragsverlängerung kam es zu einem neuen Eklat im Aufsichtsrat. Damals, im September 2021, stellte Diess in einer Sitzung des Gremiums Pläne über einen Abbau von bis zu 30.000 Stellen in den Raum, über die er zuvor keinen der Kontrolleure informiert hatte. Als er sich danach auch noch weigerte, an einer Mitarbeiterveranstaltung des Betriebsrats teilzunehmen und zu den Plänen Stellung zu nehmen, drohte sich die Stimmung endgültig gegen ihn zu wenden. Betriebsratschefin Daniela Cavallo soll ihm ausdrücklich das Misstrauen ausgesprochen haben, auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hätten ihn am liebsten vor die Tür gesetzt.
Nach wochenlangen Verhandlungen wurde der Streit am Ende zwar entschärft, aber Diess musste einen hohen Preis zahlen, um seinen Job zu retten. Zahlreiche Kompetenzen und damit auch ein großes Stück seiner Macht gingen an andere Manager über. Unter anderen musste er sich weitgehend aus dem operativen Geschäft zurückziehen, wo sich die Probleme ebenfalls gehäuft hatten.
Die Softwaretochter Cariad ist eine Dauerbaustelle und sorgt für zum Teil massive Verzögerungen bei der Einführung neuer Modelle. In der Halbleiterkrise musste sich Diess den Vorwurf gefallen lassen, nicht ausreichend Vorsorge getroffen zu haben, um VW und die Konzerntöchter mit ausreichend Mikrochips zu versorgen. Auch hier waren Verzögerungen und sogar Ausfälle der Produktion die Folge. Hinzu kamen offene Rangeleien zwischen den Konzerntöchtern Audi, Porsche und der Kernmarke, die sich gegenseitig Personal und Standorte streitig machten und teilweise eher gegen- als miteinander arbeiten.
Zum 1. September überträgt der Aufsichtsrat die Macht in Wolfsburg an den in Zuffenhausen extrem erfolgreichen Porsche-Chef Oliver Blume. Das ist die zweite große Überraschung, denn der 54-Jährige bereitet gerade den Börsengang für Porsche vor. Der wird nicht zuletzt damit begründet, dass man unabhängig vom schwerfälligen VW-Konzern erfolgreicher sein könne. Blume, der seit 2018 auch dem VW-Konzernvorstand angehört, soll beide Unternehmen in Personalunion führen und auch nach einem möglichen Börsengang des Sportwagenbauers VW-Chef bleiben.
Die Doppelfunktion soll durch eine neue Aufgabenverteilung tragbar werden: VW-Finanzvorstand Arno Antlitz wird „Chief Operating Officer“ und damit für das Tagesgeschäft des Konzerns verantwortlich. Bei der Porsche AG füllt Finanzvorstand Lutz Meschke bereits eine ähnliche Rolle aus. Blume führe Porsche „wirtschaftlich, technologisch und kulturell mit großem Erfolg“, heißt es in der Konzernmitteilung.
Im gleich Stil soll er nun die Transformation des gesamten Konzerns vorantreiben – „mit einer Führungskultur, die den Teamgedanken in den Mittelpunkt stellt“. Damit sei auch gesagt, was man bei Diess trotz vieler Ermahnungen vermisst habe, hieß es in Aufsichtsratskreisen.