Sind Bakterien für Parkinson verantwortlich? Experten sehen „interessantes Mosaiksteinchen“
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Im Gehirn sterben Nervenzellen ab: Forscher der Universität Helsinki glauben, in Darmbakterien einen Schlüssel zur Bekämpfung der Parkinson-Erkrankung gefunden zu haben.
© Quelle: Naeblys - Fotolia
Der Schauspieler Michael J. Fox stürzt schwer auf einem Bürgersteig in New York. Ein Fan, der ihm zu Hilfe eilt, bekommt eine typische Fox-Antwort: „Schön, Sie zu treffen! Sie haben mich wirklich umgehauen!“ Der einstige Hollywoodstar hat seinen Humor nicht verloren. Auch wenn es natürlich seine Parkinson-Erkrankung war, die ihn „umgehauen“ hat. Wieder einmal. Sein Leben mit der Krankheit steht im Zentrum der anrührenden Doku „Still“, die am 12. Mai beim Streamingdienst Apple TV+ anläuft.
„Es klopft an die Tür“, sagte Fox jüngst in einem Interview mit der „CBS Sunday Morning“-Moderatorin Jane Pauley. „Es wird härter. Jeder Tag wird härter. Aber so ist es nun einmal.“ Mit dem Türklopfer meint der Emmy- und Golden-Globe-Preisträger sein nahendes Ende. „Ich breche mir Sachen“, sagt er seiner Gesprächspartnerin. „Diesen Arm und den anderen Arm, diesen Ellbogen. Ich habe mein Gesicht gebrochen. Ich habe mir bei dem Sturz die Hand gebrochen.“
Michael J. Fox ist das weltweite Gesicht von Parkinson
Neben der Poplegende Neil Diamond und dem 2016 verstorbenen mehrfachen Boxweltmeister Muhammad Ali ist Fox das weltweite Gesicht der auch als „Schüttellähmung“ bekannten neurodegenerativen Krankheit, von der, so schätzt die gemeinnützige Organisation Parkinson Schweiz, weltweit rund 10 Millionen Menschen betroffen sind. Von bis zu 400.000 Erkrankten in Deutschland spricht – Stand 2016 - die Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) mit Sitz in Berlin.
Die Krankheit, die der englische Arzt James Parkinson 1817 zum ersten Mal beschrieb, äußert sich in einer verlangsamten Motorik, die bis zur völligen Bewegungslosigkeit führen kann. Die an Morbus Parkinson erkrankten Menschen zeigen im Hauptstadium als Kardinalsymptome ein starkes, rhythmisches Zittern der Arme und Beine, eine Muskelstarre und eine Gang- und Standunsicherheit.
Dopaminmangel ruft die Parkinson-Symptome hervor
Hervorgerufen werden die erst spät auftretenden Symptome durch ein Absterben von Nervenzellen, die den Neurotransmitter Dopamin herstellen, den sogenannten „Botenstoff des Glücks“, der Signale zwischen Nervenzellen weiterleitet und unter anderem emotionale und motorische Reaktionen steuert.
Parkinson ist im Grunde eine Gruppe von Krankheiten. Als Auslöser gelten in etwa fünf bis zehn Prozent der Fälle Genmutationen, extern stehen Neurotoxine im Verdacht. Von Octenol, einem Stoffwechselprodukt von Schimmelpilzen, ist etwa bekannt, dass es Dopaminstörungen verursacht. Ein Wissenschaftsteam an der Universität Montreal veröffentlichte 2019 Forschungsergebnisse, wonach es bei Mausmutanten, die ein bestimmtes Enzym nicht bilden können, über eine Darminfektion zu einer Autoimmunreaktion kommt, in deren Folge dopaminerge Neurone im Gehirn abgetötet werden.
Forschungsergebnis aus Helsinki: Darmbakterien als Mediatoren von Parkinson
Die Universität von Helsinki gab nun am vorigen Montag (5. Mai) bekannt, dass Forscher um Professor Per Saris, dem Leiter der dortigen Abteilung für Mikrobiologie, im Darm von Patienten gefundene Bakterienstämme als Mediatoren der Umwelteinflüsse für eine Verklumpung (Aggregation) des Alpha-Synuclein-Eiweißes - und damit zum Fortschreiten von Parkinson - verantwortlich machen.
Schon 2021 hatte die Saris-Gruppe Ergebnisse veröffentlicht, wonach eine höhere Anzahl von Bakterien der Gattung Desulfovibrio mit der Schwere der Krankheitssymptome korrelierte. Modellorganismus der Laboruntersuchungen war Caenorhabditis elegans, ein etwa ein Millimeter großer Fadenwurm, der bereits seit den Sechzigerjahren als Beobachtungsobjekt für Zellbiologie Verwendung findet.
Man könne nun die Träger der schädlichen Desulfovibrio-Bakterien aufspüren, so Saris in der Uni-Mitteilung. „Durch Maßnahmen zur Entnahme dieser Stämme aus dem Darm können sie gezielt bekämpft werden, wodurch die Symptome von Parkinson-Patienten gelindert und verlangsamt werden könnten.“ Seien die Bakterien erst einmal aus dem Darm entfernt, würden in den Darmzellen keine Alpha-Synuclein-Aggregate mehr gebildet, deren Fehlfaltung für Parkinson charakteristisch ist.
Experte Ebersbach: „Kein Quantensprung in der Parkinson-Heilung“
Im Internet fanden sich umgehend Schlagzeilen, die von einem „Durchbruch“ sprachen. Helsinki selbst hält die eigenen Resultate für „bedeutsam“, dennoch klingt Euphorie anders. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass bestimmte Stämme von Desulfovibrio-Bakterien wahrscheinlich die Parkinson-Krankheit verursachen“, wird Saris in der Mitteilung eher vorsichtig zitiert.
Die „spektakuläre Headline“, die ihm bei Google Alert entgegensprang, kann auch Professor Georg Ebersbach im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) nicht nachvollziehen. Der Chefarzt des Neurologischen Fachkrankenhauses für Bewegungsstörungen / Parkinson in Beelitz Heilstätten, der auch zahlreiche wissenschaftliche Publikationen zur Parkinson-Erkrankung veröffentlicht hat, sieht darin „keinen Quantensprung in der Parkinson-Heilung“, stattdessen „ein interessantes Mosaiksteinchen, aber auch nicht mehr“. Die Helsinki-Arbeit sei eine von vielen Laboruntersuchungen zum Thema, Mikrobiom-Analysen seien „unglaublich komplex“, man könne da „immer nur Assoziationen feststellen und nicht Kausalitäten“.
„Inwieweit die Ergebnisse auf Patienten übertragbar sind, ob sich daraus ein Therapieansatz ergibt – all das liegt in weiter Ferne“, sagt der Kliniker Ebersbach, der 2000 mit einer Arbeit über Gangstörungen bei Parkinson habilitierte. „Da sind noch viele Zwischenschritte nötig, bis man das bewerten kann.“ Etwas Revolutionäres könne er nicht erkennen.
In den Zehnerjahren wurde Bulgarischer Joghurt zum Parkinson-Wundermittel
Der Helsinki-Hype erinnert Ebersbach an den Mitte der Zehnerjahre ob seiner Bakterien zum vermeintlichen Parkinson-Wundermittel ausgerufenen Bulgarischen Joghurt. „Das wurde in der Laien-Presse laut verkündet, und die Patienten hatten Tränen in den Augen, dass wirklich etwas gefunden sein sollte.“ Auch damals seien viele Zwischenschritte auf dem Weg vom Laborergebnis zur medizinischen Anwendung übersprungen worden, ein Vorgehen, das Ebersbach „unwissenschaftlich“ nennt.
Und wie man dem Mikrobiom ausschließlich Desulfovibrio-Stämme entnehmen könne, wisse er auch nicht. „Ich kenne keinen Therapieansatz, kein Antibiotikum, das nur gegen eine bestimmte Sorte Darmbakterien wirkt.
Die Lebensqualität kann lange aufrecht erhalten werden
Bislang wird Parkinson vornehmlich mit Medikamenten behandelt, die an den Bedarf beim jeweiligen Patienten individuell angepasst werden. Dopamin wird entweder in Arzneiform zugeführt oder man verhindert mit Hemmstoffe enthaltenden Medikamenten den Abbau von Dopamin. Bei einem chirurgischen Eingriff, der „tiefen Hirnstimulation“, werden Elektroden ins Gehirn eingeführt, deren elektrische Impulse gute Wirkung zeigen, wenn sich durch Medikamente keine gleichmäßige Wirkung erreichen lässt. Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie halten die Lebensqualität lange aufrecht. „Die Lebenserwartung von Menschen ist heute weitgehend normal“, heißt es auf der Website der DPG.
Das Alpha-Synuclein-Protein, das bei Parkinson-Erkrankten in einer fehlgefalteten Variante vorliegt und dann anfängt, den Zellstoffwechsel störende Verklumpungen zu bilden, werde in der Forschung längst als sehr relevant angesehen, so Ebersbach. Und es gebe derzeit verschiedene Ansätze, diese Eiweißklumpen per Immuntherapie zu entsorgen, und so den Zellstoffwechsel wieder zu normalisieren. Heilung sei dabei das Fernziel, gegenwärtig ginge es darum, das Fortschreiten von Parkinson zu bremsen.
Einige Ansätze würden bereits klinisch angewendet. Zwei große Studien hätten indes ein negatives und ein halb negatives Resultat gezeitigt. Bei dem halb negativen sei zwar das eigentliche Ziel verfehlt worden, bei den sekundären Zielparametern habe es aber Signale gegeben, die ein Weitertesten eines Antikörpers gegen das wahrscheinlich krankheitstreibende Alpha-Synuclein rechtfertigten. Ebersbach sieht Parallelen zur Alzheimer-Forschung, wo ganz viele Versuche scheiterten, Ablagerungen des Proteins Amyloid durch Antikörper zu entfernen. „Und jetzt scheint ein Ansatz doch zu funktionieren.“ In den USA erhielt eine Antikörper-Therapie gegen Alzheimer im Januar bereits eine Zulassung.
Können eines Tages auch lange Erkrankte geheilt werden?
Könnten, wenn denn eines Tages bei Parkinson das Fernziel Heilung erreicht sei, auch langjährige Patienten wie Michael J. Fox geheilt werden – also per Therapie quasi in einen Gesundheitszustand vor ihrer Erkrankung zurückversetzt werden? Oder wäre bei den Erkrankten nur ein „Einfrieren“ der Symptome auf dem erreichten Stand möglich – weil Verlorengegangenes bei neurodegenerativen Erkrankungen nicht zurückzuholen ist? „Das ist alles spekulativ“, räumt Ebersbach ein, „ich denke aber eher Letzteres. Dass man die Uhr zurückdreht und geschädigte Nervenzellen wieder funktionell macht, ist schwer vorstellbar. Grundsätzlich geht es erst einmal um Einflussnahme auf den Degenerationsprozess.“
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Michael J. Fox: „Es ist beschissen, Parkinson zu haben“
Seine Diagnose hatte Fox, der Star aus der „Zurück in die Zukunft“-Filmtrilogie ungewöhnlich bereits als 29-Jähriger bekommen, nachdem er einen Tremor im kleinen Finger hatte untersuchen lassen. Und der vierfache Vater spricht Klartext, wenn es um sein derzeitiges Befinden geht: „Es ist beschissen. Es ist beschissen, Parkinson zu haben. Für die Familien ist es ein Albtraum. Es ist die Hölle auf Erden“, sagt Fox. „Man muss sich mit Realitäten auseinandersetzen, die sich die meisten Menschen nicht vorstellen können.“
Fox: „Mit Dankbarkeit ist Optimismus nachhaltig“
Die „Michael J. Fox Foundation for Parkinson‘s Research“, die er im Jahr 2000 gegründet hatte, hat erst im April eine neue Testmethode vorgestellt, mit deren Hilfe Parkinson früher diagnostiziert und Fehldiagnosen verhindert werden können. Fox ist sich sicher, dass gute Behandlungsmethoden nicht mehr in allzu ferner Zukunft liegen. Und obwohl er nicht glaubt, dass er selbst noch seinen 80. Geburtstag erleben wird, wirkt er im CBS-Interview kein bisschen resigniert: „Mit Dankbarkeit ist der Optimismus nachhaltig“, sagt er.
„Wenn man etwas findet, für das man dankbar sein kann, dann findet man auch etwas, auf das man sich freuen kann. Und dann macht man weiter.“