Dialekte und Minderheitssprachen drohen zu verschwinden

Politik auf Platt: warum der Bundestag auf Niederdeutsch debattiert

Eine Lehrerin unterrichtet auf Plattdeutsch.

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Wie nennen Sie das Ende vom Brot?

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Knust, Käppele, Knistchen, Knärzl, Knorze, Kruschd, Dutt?

Mehr als 100 Bezeichnungen gibt es für das Endstück vom Brot, so viele wie für kaum einen anderen Gegenstand. Egal, wohin in Deutschland man kommt, in jeder Region heißt es anders, manchmal unterscheidet es sich gar von Dorf zu Dorf. Das hochdeutsche Wort Kanten ist vor allem im norddeutschen Raum üblich, im Bäckerfachwerk ist oft vom An- oder Abschnitt die Rede.

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Ein Wort allein kann zeigen, woher der Sprechende kommt

An der Wahl des Wortes für das Brotendstück lässt sich einiges ablesen. Etwa, woher jemand kommt, welcher Gruppe sich die Person sprachlich zugehörig fühlt, und wie stark ausgeprägt Dialekt im sozialen Umfeld der Person gesprochen wird und wurde. „Sprachen und Dialekte haben eine kulturelle Komponente“, erklärt Alfred Lameli, Direktor des Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas. „Sprachen und Dialekte sind identitätsstiftend, sie symbolisieren die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und stiften Nähe.“

Rund 20 Dialektgruppen gibt es im Deutschen, die wiederum unzählige Subdialekte haben. Dazu kommen die fünf anerkannten Minderheitssprachen Niederdeutsch (Platt), Friesisch, Dänisch, Sorbisch und Romani. Initiativen wollen zudem erreichen, dass auch Jiddisch als Minderheitensprache registriert wird. Und diese sprachliche Varietät gilt es zu schützen – denn immer weniger werden sie tatsächlich gesprochen.

Im Norden Niederdeutsch, im Süden eine Vielfalt an Dialekten

Noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts dominierten in ganz Deutschland Dialekte und sprachliche Abwandlungen. Historisch gab es zwei Sprachbereiche: der Norden, der Niederdeutsch sprach, und der Süden, der Dialekte des Hochdeutschen sprach. Der Niederrhein als Übergangsbereich sprach ebenfalls Niederdeutsch, allerdings in einer anderen regionalen Ausformung, da Elemente des Hochdeutschen einflossen. Heraus kam ein einheitlich sprechender Norden und ein Multi-Sprachen-Süden. „Bayerisch und Schwäbisch können die meisten Menschen sehr einfach unterscheiden“, sagt Lameli, „im Norddeutschen klingen die verschiedenen Dialekte hingegen sehr ähnlich.“

Erstaunlich sei es, sagt Lameli, dass sich Hochdeutsch, das es ohne die Dialekte gar nicht geben würde, so schnell als Standard durchgesetzt habe. Noch in den 90er-Jahren wurden in Schulen in Baden-Württemberg Debatten geführt, ob Lehrkräfte nicht Hochdeutsch sprechen müssten, vor allem im Deutschunterricht und vor allem beim Diktat. Lameli erinnert sich an seine Zeit an der Universität Heidelberg, ebenfalls in den 90ern, als selbst Lehrkräfte Dialekt sprachen. Doch nun droht dieses Kulturgut auszusterben. Lameli fürchtet: „In zwei, drei Generationen ist von Dialekt nicht mehr viel übrig.“

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Bundestagsdebatte auf Platt, Friesisch und Dänisch

Um mehr Aufmerksamkeit auf die Thematik zu legen, wird im Bundestag am Donnerstag Platt, Sorbisch, Dänisch und Co. gesprochen – weil sich der Jahrestag der EU-Charta zu Regional- und Minderheitensprachen am 1. März zum 25. Mal jährt. Am 2. März ab 14 Uhr sind die Abgeordneten ausdrücklich aufgefordert, ihre Reden nicht auf Hochdeutsch zu halten. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, planen das auch mehrere Abgeordnete: Außer Grünen-Politikerin Linda Heitmann sollen FDP-Frau Gyde Jensen und SPD-Mann Johann Saathoff Reden auf Platt vorbereitet haben, Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband will seine Rede auf Dänisch, Platt und Friesisch halten. Lameli freut sich, dass die Sprachvielfalt auf diese Art wertgeschätzt wird: „Vielen Leuten in Deutschland ist wohl nicht klar, dass es Sorbisch in Deutschland gibt.“

Es gibt im Norden kaum Kinder, die mit Dialekten sozialisiert sind.

Alfred Lameli, Direktor Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas

Mit der EU-Charta verständigte sich Europa auf den Schutz und die Förderung von Sprachen, die von Minderheiten gesprochen werden, etwa Niederdeutsch. Während Deutschland als Land, aber auch zahlreiche Bundesländer die Charta ratifiziert haben, gibt es in Frankreich keine Umsetzung – dort liegt der Fokus klar auf Französisch. Als Ziele sind in der Charta angegeben: „Achtung der Verbreitungsgebiete jeder dieser Sprachen, die Notwendigkeit ihrer Förderung, die Erleichterung des Gebrauchs und/oder die Ermutigung zu ihrem Gebrauch in Wort und Schrift im öffentlichen Leben und im privaten Bereich.“

Das plattdeutsche Lexikon nach Saß ist die Grundlage fürs schriftliche Plattdeutsch.

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Was ist ein Dialekt, was ist eine Sprache?

Nicht geschützt durch die Charta sind allerdings die in Deutschland viel gängigeren Dialekte. Für Lameli ist das zwar schade, aber kein Widerspruch: „Im Norden wird heute deutlich weniger Platt geredet und weniger Dialekt als im Süden“, sagt er, „es gibt im Norden kaum Kinder, die mit Dialekten sozialisiert sind.“ Deshalb, so der Sprachwissenschaftler, sei ein besonderer Schutz für Platt „schon berechtigt“. Immerhin gibt es erste Erfolge: Niederdeutsch kann an Schulen als Fremdsprache belegt werden, es kann als Abiturfach gewählt werden.

Eine offizielle Definition, was Sprache, Regionalsprache, Minderheitssprache und Dialekt unterscheidet, gibt es nicht. Im Allgemeinen hat sich die Wissenschaft darauf verständigt, dass eine Sprache normiert und codiert sein muss, sprich: Es muss eine einheitliche Schriftform sowie einen Standard beim Sprechen geben. Deshalb gilt Niederdeutsch als eigenständige Sprache, Schwyzerdütsch, das keine eigene, einheitliche Schriftsprache hat, aber nicht. Für Lameli ist es vor allem eine politische Frage, ob eine sprachliche Varietät als Dialekt oder (Minderheits-)Sprache eingestuft wird.

Kinder lernen Niederdeutsch in der Schule – als Fremdsprache

Dialekte sind vitalere Formen von Sprache. Vor allem in den südlichen Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland sowie im Osten mit Sachsen und Thüringen ist Dialekt verbreitet. Ein Merkmal: Dialekte lassen sich gut mit Hochdeutsch mischen, Elemente aus dem Deutschen fließen beim Sprechen mit ein. Im Gegensatz hierzu ist etwa Niederdeutsch als eigene Sprache abgrenzbar – sie wird nicht mit hochdeutschen Worten gemischt.

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Doch selbst wenn Dialekte und Minderheitssprachen gefördert und geschützt werden, gibt es ein großes Problem: Die Praxis fehlt. Kinder, die Niederdeutsch als Schulfach belegen, lernen zwar die Grundzüge der Sprache, nicht aber Merkmale wie spezielle Intonation. Niederdeutsch bleibt damit für sie eine Fremdsprache, keine praktizierte Alltagssprache. „Es gibt in Norddeutschland kaum noch Menschen mit tiefen Plattkenntnissen“, sagt Lameli, „es sind vor allem Ältere und auch nur an wenigen regionalen Spots, die Platt sprechen.“

So wundert es nicht, dass „die Dialektkompetenz deutlich abgenommen hat“, wie Lameli sagt. Doch einen Abgesang auf den Dialekt und auf die Minderheitssprachen will er nicht machen. Denn zuletzt gab es auch kleine Bestrebungen, die Mut machen. Da wäre beispielsweise der Comedian Cossu, der Hunderttausende bis Millionen Fans auf Tiktok mit kurzen Videos im Dialekt begeistert. Dahinter steckt Lukas Staier, ein geborener Schwarzwälder, der nicht nur Badisch beherrscht, sondern verschiedenste Dialekte nachmachen kann.

Durch Menschen wie Cossu wird Dialekt plötzlich wieder hip und angesagt. Inzwischen, sagt Lameli, gebe es sogar wieder häufiger Situationen, in denen Enkel bewusst von ihren Omas und Opas Dialekt lernen wollten. „Die Enkel sprechen die Mundart dann nicht unbedingt fließend, aber sie kennen bestimmte, identitätsstiftende Elemente der Sprache.“

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