Vom positiven Test bis zur Klinik

Abtreibung in Deutschland – eine Betroffene berichtet

Rund 100.000 Frauen haben 2019 in Deutschland einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen (Symbolbild).

Rund 100.000 Frauen haben 2019 in Deutschland einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen (Symbolbild).

Berlin. Drei Betten stehen im Zimmer, getrennt durch Vorhänge. In einem davon wacht Sophie Fischer* auf. Sie fühlt sich erleichtert. Noch ein bisschen benebelt von der Narkose hört sie aus dem Bett neben sich eine Frau flüstern: „Und wie weit warst du?“ „In der achten Woche. Aber jetzt haben wir es ja geschafft“, antwortet Fischer. Doch die Fremde hinter dem Vorhang wirkt traurig auf sie. „Du klingst nicht so erleichtert“, schiebt Fischer nach. Ihr Partner und sie haben schon ein Kind, erzählt die Frau daraufhin. Er wollte kein weiteres. Aber sie hätte es gern behalten.

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Die Frau hinter dem Vorhang und Sophie Fischer zählen zu den rund 100.000 Frauen, die in Deutschland 2019 einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen ließen. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor. Das Thema polarisiert nicht nur unter Betroffenen, sondern auch in der Gesellschaft immer wieder.

Der Fall Kristina Hänel

Ein Grund dafür ist der Fall Kristina Hänel. Im Jahr 2017 hatte das Amtsgericht Gießen die Ärztin zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Grundlage war Paragraph 219a des Strafgesetzbuches, „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“. Auf Hänels Webseite hatten Frauen damals Informationen über Schwangerschaftsabbrüche via Mail anfordern können. Nach einer verworfenen Berufung, dem Aufheben des Urteils und schließlich einer erneuten Verurteilung hat Hänel laut eigener Aussage in diesem Jahr Verfassungsbeschwerde gegen den Paragraphen 219a eingereicht.

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Vor zwei Jahren ist er schon einmal reformiert worden. Ärztinnen und Ärzte dürfen nun öffentlich darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Mehr Details zu nennen, zum Beispiel mit welchen Methoden sie Abbrüche durchführen, ist weiterhin nicht erlaubt. Welche Medizinerinnen und Mediziner Abtreibungen medikamentös oder operativ durchführen, ist in einer Liste der Bundesärztekammer online einsehbar.

Mutter sein ja, aber nicht jetzt

Als ihr nach einer Verhütungspanne der Verdacht kam, schwanger sein zu können, machte Sophie Fischer einen Test. Ergebnis: positiv. Der Ultraschall bei der Frauenärztin bestätigte ihr die Schwangerschaft. Den Bildschirm drehte die Gynäkologin weg. So musste die heute 29-Jährige den Embryo nicht sehen, gegen den sie sich bereits entschieden hatte.

Mutter zu werden, kann sich Fischer zwar grundsätzlich vorstellen: „Wenn ich meinem Leben und dem des schutzbedürftigen Menschen, den ich damit in die Welt setzen würde, gerecht werden kann.“ Als sie sich für die Abtreibung entschied, sei das nicht der Fall gewesen. „Studium, Nebenjob und Kind – ein Teil wäre zu kurz gekommen“, meint sie. Ihr damaliger Partner sei keine Unterstützung gewesen und er habe kein Kind gewollt. Deshalb entschied Fischer: „Während des Studiums ein Kind zu bekommen, das kam für mich nicht infrage.“

Abtreibung im Strafgesetzbuch

Mit ihren Gründen ist sie nicht alleine. In „Frauen leben 3“ haben mehr als 4000 Frauen Fragen zu ihrer Familienplanung beantwortet. Herausgegeben hat die Studie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Von denjenigen, die bereits einen Abbruch hinter sich hatten, gaben je ein Fünftel als Gründe „berufliche oder finanzielle Unsicherheit“ und „gesundheitliche Bedenken“ an. Ein Drittel der Teilnehmerinnen entschieden sich für die Abtreibung, weil sie in einer schwierigen Partnerschaft lebten oder keinen Partner hatten.

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Wer in Deutschland eine Schwangerschaft abbrechen lassen möchte, muss sich laut Strafgesetzbuch vorher in einer anerkannten Schwangerschaftskonflikt-Beratungsstelle beraten lassen. Die BZgA-Plattform familienplanung.de listet solche Institutionen. Ohne den Beratungsschein, den Frauen dort kriegen, ist eine Abtreibung strafbar. Außerdem dürfen seit der Empfängnis maximal zwölf Wochen vergangen sein. Ausnahmen von diesen Regeln gelten nach einer Vergewaltigung oder wenn es medizinische Gründe gibt.

Kritik am Beratungsgespräch

Auch wenn sie selbst als Beraterin in solch einer anerkannten Stelle arbeitet, sieht Heike Pinne diese Pflicht zur Beratung kritisch. „Viele Frauen denken, sie sollen in der Beratung überprüft oder kontrolliert werden“, sagt die Geschäftsführerin von Pro Familia Offenbach. Dabei kriegt den Beratungsschein bei Pinne und ihren Kolleginnen und Kollegen nach der Beratung jede. Ganz egal, was sie erzählt oder auch nicht. Sophie Fischer fand die von ihr besuchte Beratung in Ordnung, bemängelt aber auch die Pflicht: „Das spricht der Frau die Selbstermächtigung über ihren Körper ab.“

Ein weiteres Problem sei, dass das Thema Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch stehe. Dort gehöre es nicht hin, meint Pinne von Pro Familia. „Wir würden uns wünschen, dass ein Recht auf Beratung während der Schwangerschaft, auch der ungewollten, als Anspruch im Gesetz verortet wird“, sagt sie. Die Pflichtberatung impliziere, dass eine Frau alleine nicht in der Lage wäre, eine verantwortliche Entscheidung zu treffen. „Die Frauen wägen aber sehr sorgfältig und individuell für sie passend ab“, fasst Pinne ihre Erfahrungen aus mehr als zwei Jahrzehnten Beratung zusammen.

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Kein Postabortionsyndrom

Rund drei Wochen dauerte es bei ihr vom positiven Schwangerschaftstest bis zum Abbruch, erinnert sich Fischer. Als sie in der gynäkologischen Klinik aus der Narkose erwachte, war sie nicht traurig, sondern erleichtert. Manche Frauen würden aber durchaus trauern, sagt Pro-Familia-Beraterin Pinne: „Sie müssen sich von einer Seite verabschieden und es gibt gute Gründe für beide“, erklärt sie.

Was laut Forscherin Cornelia Helfferich aber nicht wissenschaftlich belegt ist: ein Postabortionsyndrom, also langfristige psychische Beeinträchtigungen nach einer Abtreibung. „Ungewollte Schwangerschaften sind mit Belastungen verbunden – auch die, die ausgetragen wurden“, erklärt die Professorin, die an der Evangelischen Hochschule Freiburg das sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut zu Geschlechterfragen leitet und auch an der Studie „Frauen leben 3“ beteiligt war. Eine große US-Studie habe gezeigt, dass Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch im Durchschnitt nicht höher belastet waren. In der Studie seien ausgetragene und abgebrochene ungewollte Schwangerschaften verglichen worden. „Es gab sogar einzelne positive Effekte bei einem Abbruch“, sagt Helfferich.

Stigmatisierung nach Schwangerschaftsabbruch

Manche Frauen fühlen sich nach einem Abbruch traurig, manche erleichtert, andere niedergeschlagen. Unmittelbar danach erleben einige Frauen laut Pro Familia depressive Verstimmungen oder Schlafstörungen. Das Ausmaß von Belastungen ist laut Forscherin Helfferich unter anderem von sozialen Faktoren wie der Gestaltung der Versorgung abhängig oder von der Stigmatisierung von Frauen, die Schwangerschaften abbrechen lassen.

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Um dieser entgegenzuwirken, spricht Sophie Fischer mittlerweile mit Freundinnen, Freunden und einem Teil ihrer Familie offen über ihre Abtreibung. Die Entscheidung bereut sie auch zwei Jahre später nicht: „Ein Kind, das kein Wunschkind ist, kommt für mich nicht infrage.“

*Der Name ist ein Pseudonym. Über dieses intime Thema möchte die Betroffene lieber anonym sprechen. Ihr echter Name ist der Redaktion bekannt.

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