Analyse des Innenohrs verrät Eigenschaften von Dinosauriern
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/5COBP3NHO5EPFDFG7JUVEAUWYI.jpg)
Die Form des Innenohrs gibt Forschern zufolge verlässliche Hinweise darauf, ob und wie ein Dinosaurier flog.
© Quelle: Bild von Sebastian Ganso auf Pixabay
Zeig mir dein Innenohr und ich sage dir, was du kannst: Aus der Analyse kleiner Knochenstrukturen haben Forscher Rückschlüsse auf die Fähigkeiten von Sauriern und frühen Vögeln gezogen. Erkennen lasse sich etwa, ob die Art flog, ob sie eher am Tag oder nachts unterwegs war und ob sie wahrscheinlich auf die hohen Töne ihres Nachwuchses reagierte, berichten zwei Teams im Fachmagazin „Science“. Die Forschergruppen hatten unabhängig voneinander Strukturen etwa des Innenohrs bei 124 ausgestorbenen und 91 lebenden Arten untersucht. Die genutzten Analyseformen ermöglichten gänzlich neue Fenster in die Vergangenheit, heißt es in einem Kommentar.
Ohr und Auge verraten viel über die sensorischen Fähigkeiten
Von den rund 10.000 heute lebenden Vogelarten können den Forschern um Jonah Choiniere von der Witwatersrand-Universität in Johannesburg (Südafrika) zufolge lediglich eine Handvoll bewegliche Beute in der Dunkelheit jagen. Ob es schon unter den Theropoden, den Vorfahren der Vögel unter den Dinosauriern, nachtaktive Jäger gab, war bisher unklar. Die Forscher um Choiniere nutzten CT-Scans und andere Verfahren, um aus den Messdaten zu Innenohr und Auge auf die sensorischen Fähigkeiten der jeweiligen Art zu schließen.
Die sogenannte Lagena im Ohr zum Beispiel weist demnach auf die Verarbeitung des Schalls hin: Die in völliger Dunkelheit allein mit dem Gehör jagende Schleiereule etwa habe die proportional längste Lagena aller Vögel. Beim Sehvermögen wiederum begutachteten die Wissenschaftler unter anderem den Skleralring, eine ringförmige Verstärkung um die Pupille bei Vögeln und auch Dinos. Sein Durchmesser lasse Rückschlüsse darauf zu, wie viel Licht das Auge sammeln kann – je mehr, desto besser sei das Sehvermögen bei Nacht.
Den Ergebnissen nach hatten viele fleischfressende Theropoden wie Tyrannosaurus und Dromaeosaurus ein gutes Gehör und ein für den Tag optimiertes Sehvermögen. Ein kleiner, Shuvuuia genannter Theropode aber habe sowohl ein außergewöhnliches Gehör als auch Nachtsicht gehabt. Die Lagena der Art sei von der relativen Größe her fast mit der heutiger Schleiereulen vergleichbar. Das deute darauf hin, dass Shuvuuia in völliger Dunkelheit jagen konnte, erläutern die Forscher.
Die Strukturen des Innenohrs gleichen einem mechanischen Gerät
Forscher um Bhart-Anjan Bhullar und Michael Hanson von der Yale University in New Haven (Connecticut) analysierten auf ähnliche Weise die Innenohrstruktur für 128 Arten. Darunter waren heute lebende Vögel und Krokodile, frühe Vögel wie der 85 Millionen Jahre alte Hesperornis sowie Dino- und Flugsaurier. Sie erläutern in „Science“, dass die Form des Innenohrs verlässliche Hinweise darauf gebe, ob und wie gut ein Tier flog, ob es auf dem Boden lief – und sogar, ob es manchmal schwamm. „Von allen Strukturen, die man aus Fossilien rekonstruieren kann, ist das Innenohr vielleicht diejenige, die einem mechanischen Gerät am ähnlichsten ist“, so Bhullar.
Mitunter lasse sich aus den Strukturen des Innenohrs auch darauf schließen, ob die Art wahrscheinlich auf hochfrequente Rufe ihrer Jungtiere hörte, erläutern die Forscher. Solche Tiere weisen demnach eine ähnliche Verlängerung in einem den Hörbereich beeinflussenden Teil des Innenohrs auf. Sie komme bei recht vielen Arten wie allen modernen Vögeln und Krokodilen vor. „Wir vermuten, dass diese Umgestaltung mit der Entstehung der hochfrequenten Ortungs-, Alarm- und Schlüpfsynchronisationsrufe der Jungtiere und den Reaktionen der Eltern darauf zusammenfiel.“ Offenbar habe diese Entwicklung schon bei sehr frühen Reptilien wie dem vor rund 240 Millionen Jahren lebenden Euparkeria ihren Anfang genommen.
CT-Scanner statt Hacke und Schaufel
Zwar bleibe das Dokumentieren der Geschichte des Lebens mit fossilen Entdeckungen der Kern der Paläontologie, schreibt Lawrence Witmer von der Ohio University in Athens in einem Kommentar zu den vorgestellten Analysen. Die beiden Studien seien aber typisch für eine neue Gruppe von Paläontologen, die nicht mit Hacke und Schaufel, sondern mit Geräten wie dem CT-Scanner und ausgefeilten statistischen Verfahren arbeiteten. Bis vor Kurzem seien die präsentierten Fortschritte noch undenkbar gewesen.
„Zähne und Gliedmaßen werden immer Anhaltspunkte für die Rekonstruktion der Evolutionsgeschichte liefern, aber relativ neue anatomische Akteure wie das Innenohr und knöcherne Augenringe öffnen neue Fenster in die Vergangenheit“, so Witmer. „Und durch solche Fenster können wir jetzt Babydinosaurier nach ihren Eltern rufen hören, einen kleinen Troodontiden beobachten, wie er unbeholfen auf einen niedrigen Ast flattert, und vielleicht einen Blick auf den Mondschatten eines vorbeiziehenden Shuvuuia erhaschen.“
RND/dpa