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Bindungstheorie: Warum manche Beziehungen zum Scheitern verurteilt sind

Nähe, Abstand oder Stabilität – Wonach wir in einer Beziehung suchen, wird von unserem Bindungstyp bestimmt.

Nähe, Abstand oder Stabilität – Wonach wir in einer Beziehung suchen, wird von unserem Bindungstyp bestimmt.

Die einen gehen bei jeder Art von Nähe und Verbindlichkeit auf Abstand, die anderen sind von Verlustängsten geplagt. Obwohl jeder Mensch seine Gefühle auf individuelle Weise zum Ausdruck bringt und keine Beziehung der anderen gleicht, lassen sich doch gewisse Schemata erkennen. Denn laut US-Psychologe Amir Levine existieren gerade einmal drei Beziehungstypen, in die sich alle Menschen unterteilen lassen: sicher, ängstlich und vermeidend.

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Die Abhängigkeit vom Partner ist genetisch begründet

Schon in den Fünfzigerjahren entwickelte der britische Psychoanalytiker John Bowlby die Bindungstheorie. Er fand heraus, dass das Bedürfnis, unser Leben mit jemandem zu teilen, in den menschlichen Genen angelegt ist. Die Theorie besagt außerdem, dass starke Gefühle die Beziehung zu festigen, sobald wir jemanden als unseren Partner wählen. Bowlbys Ansatz versteht das lebenslange Streben nach engen emotionalen Bindungen als etwas natürliches. Das Bedürfnis nach Sicherheit kennzeichnet für ihn keine Schwäche, sondern eine psychisch gesunde Persönlichkeit.

Doch gerade aus dieser starken, biologisch begründeten Bindung ergibt sich ein Paradoxon: Obwohl der Mensch von seinem Partner abhängig ist, bedeutet es nicht, dass er jede Minute mit ihm verbringen muss, um glücklich zu sein. Stattdessen kann ihm auch das Wissen, einen verlässlichen Partner an seiner Seite zu haben, genügend Sicherheit geben, um seinen eigenen Weg zu gehen.

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Auch Amir Levine, der die Professur für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der renommierten Columbia University in New York innehat, beschäftigte sich mit der Bindungstheorie von John Bowlby. Bei seinen Studien stellte er fest, dass es lediglich drei Beziehungstypen gibt: Den ängstlichen, sicheren und vermeidenden Typ. Zur Bestimmung des Beziehungstyps helfen Levine zufolge zwei Kriterien: Das Ausmaß an Nähe und Verbindlichkeit, mit dem sich jemand wohlfühlt und die Intensität, mit er fürchtet, die Liebe seines Partners zu verlieren.

Der sichere Beziehungstyp

Menschen des sicher-autonomen Beziehungstyps fühlen sich mit Nähe wohl und sind in der Lage, langfristige Partnerschaften zu führen. Sie können sowohl Liebe annehmen, als auch geben und vertrauen ihrem Partner. Personen dieses Typs deuten die Gefühle ihres Partners richtig, haben gleichermaßen an erfolgen wie Problemen des Partners teil und bauschen Konflikte nicht zu Dramen auf.

Diese Menschen gelten in Beziehungen als zuverlässig, aufrichtig und liebevoll. Sie sind in der Lage, Beziehungen ohne Manipulationen und emotionale Berg- und Talfahrten zu führen. Außerdem erhalten sie sich ihre Autonomie, indem sie ihren Interessen außerhalb der Beziehung nachgehen und sich nicht zu sehr auf den Partner fixieren.

Der ängstliche Beziehungstyp

Menschen dieses Typs brauchen sehr viel Nähe und machen sich gleichzeitig Sorgen, dass es dem Partner nicht so geht. Ihr Wunsch nach Kontrolle ist hoch: Bei Zurückweisung oder Stimmungsschwankungen reagieren sie verletzt und überzogen. Außerdem neigen Menschen mit diesem Bindungstyp dazu, Negatives in das Verhalten ihres Partners hineinzuinterpretieren. Sie investieren viel Energie und Zeit in die Beziehung – oft mehr als der Partner.

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Ängstliche Beziehungstypen können ihre Zuneigung nicht angemessen zum Ausdruck bringen. Während der Verlust des Partners oder seiner Liebe ihre größte Angst darstellt, drohen sie bei Konflikten gleichzeitig mit der Trennung, um den Partner enger an sich zu binden.

Der vermeidende Beziehungstyp

Bei aufkommender Intimität fürchten diese Menschen automatisch um ihre Unabhängigkeit und gehen auf Distanz. Dabei ist vor allem emotionale Nähe gleichbedeutend mit dem Verlust der Autonomie. Personen des vermeidenden Typs halten zudem die Augen nach Anzeichen von Abhängigkeit offen. Sobald sie erkennen, dass sie Kontrolle über ihren Partner erlangt haben und er ihnen verfallen ist, gehen diese Menschen auf Abstand.

Auch das Senden von zweideutigen Signalen ist typisch für diesen Beziehungstyp. Damit machen sie sich unnahbar und schwer einzuschätzen. Wenn eine Beziehung gut läuft, neigen diese Menschen zur Sabotage – zum Beispiel, indem sie sich zurückziehen oder nach anderen Optionen umsehen. Dabei liegt diesem Verhalten vor allem die unbewusste Angst vor Zurückweisung zugrunde.

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Theorie erklärt das Scheitern von Beziehungen

Das Bewusstsein darüber, welchem Typ man selber angehört, hilft laut Levine dabei, das Verhalten von Menschen in Beziehungen und gescheiterte Partnerschaften besser zu verstehen. Gemeinsam mit der Therapeutin Rachel Heller erforschte er die unterschiedlichen Konstellationen der Beziehungstypen und stellte ihre Ergebnisse schließlich im Bestseller „Warum wir uns immer in den Falschen verlieben: Beziehungstypen und ihre Bedeutung für unsere Partnerschaft“ vor.

Darin erklären sie, dass etwa 50 Prozent der Menschen dem sicheren Beziehungstyp angehören, rund 20 Prozent dem ängstlichen und 25 Prozent dem vermeidenden. Die restlichen drei bis fünf Prozent gehören der vierten, weniger häufigen Kategorie an, der Kombination des ängstlichen mit der des vermeidenden Typs.

Welche Konstellationen funktionieren – und welche nicht

Einige Studien belegen, dass Menschen, die dem sicheren Beziehungstyp zugeordnet werden können, mit ihren Partnerschaften zufriedener sind. Sie sind darüber hinaus in der Lage, eine Partnerschaft mit anderen Bindungstypen zu führen. Denn auch ängstliche und vermeidende Beziehungstypen finden bei ihnen mehr Sicherheit und Stabilität.

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Doch auch die Paarung des ängstlichen mit dem vermeidenden Typ kommt häufiger vor, als gedacht. Da die ängstlichen Typen mit einem geringen Selbstwertgefühl und Verlustängsten zu kämpfen haben, fühlen sie sich zu Menschen mit vermeidendem Beziehungsverhalten hingezogen. Mit ihrer abweisenden Art bestätigen sie nämlich die Befürchtungen der Ängstlichen – und die Vermeidenden haben gleichzeitig einen Partner gefunden, der ihnen hinterherläuft.

Diese Konstellation ist laut Heller und Levine in den meisten Fällen zum Scheitern verurteilt. Doch trotz aller Ernüchterung über die Unmöglichkeit mancher Paarungen hat die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Beziehungstypen einen entscheidenden Vorteil: Es ist möglich zu lernen, sich nicht mehr mit dem falschen Partner einzulassen.

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