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Eine Mülldeponie voll spektakulärer Fossilien: das Phänomen L’Abocandor de Can Mata in Katalonien

Die Grabungsstätte L’Abocador de Can Mata auf der Müllhalde in der Nähe von Barcelona.

Die Grabungsstätte L’Abocador de Can Mata auf der Müllhalde in der Nähe von Barcelona.

Dass Müll zu den kulturhistorisch spannenden Forschungsthemen gehört, das ist bekannt. Eine Mülldeponie als Grabungsort für Fossilien hingegen klingt eher ungewöhnlich. Der spanische Paläontologe Isaac Casanovas-Vilar erzählt im RND-Gespräch von der Arbeit auf der Müllkippe von L’Abocandor de Can Mata.

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Herr Casanovas-Vilar, was ist Can Mata für ein Ort?

Isaac Casanovas-Vilar: Die Mülldeponie von Can Mata liegt etwa eine halbe Autostunde entfernt von Barcelona. Dort wird der gesamte Abfall der Region gesammelt. Gleichzeitig befindet sich die Deponie auf einem der fossilienreichsten Gebiete Europas. Schon in den 1930er- und 1940er-Jahren wurden hier Fossilien gefunden. Irgendwann geriet das Gebiet in Vergessenheit. Zurück in den Fokus der Forschung rückte Can Mata erst, als die Deponie vor einigen Jahren erweitert wurde. Dabei stieß man auf sehr viele Fossilien, etwa elf bis zwölf Millionen Jahre alt. Seit 2002 arbeiten wir in Can Mata und haben seitdem mehrere Zehntausend versteinerte Überreste gefunden.

Ich stelle mir die Arbeit in einer Mülldeponie nicht gerade schön vor.

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Wir graben ja nicht direkt im Müll, sondern sind dabei, wenn neue Gruben ausgehoben werden. Can Mata liegt auf Schichten aus Mud­stone, also Schlammgestein, insgesamt drei Kilometer dick. Darin bleiben Fossilien ausgezeichnet erhalten. Gleichzeitig ist es bestens für die Lagerung von nicht recycelbarem Müll geeignet. Das Gestein lässt kein Wasser rein oder raus. So sind das Grundwasser oder die Flüsse der Umgebung vor Verschmutzung sicher. Außerdem können die vollen Gruben wieder zugeschüttet werden, es wachsen sogar Bäume hier. Can Mata wird laufend erweitert, es werden immer neue Gruben ausgehoben.

Isaac Casanovas-Vilar forscht am Institut Català de Paleontologia Miquel Crusafont und leitet die Forschungsgruppe für Paläoökologie. Er ist spezialisiert auf prähistorische Nagetiere. Seit 2002 graben er und seine Kollegen in Abocandor de Can Mata.

Isaac Casanovas-Vilar forscht am Institut Català de Paleontologia Miquel Crusafont und leitet die Forschungsgruppe für Paläoökologie. Er ist spezialisiert auf prähistorische Nagetiere. Seit 2002 graben er und seine Kollegen in Abocandor de Can Mata.

Wie sieht für Sie ein typischer Arbeitstag aus?

Der Mud­stone ist sehr hart. Selbst Bulldozer und Bagger können sich nur langsam durch das Gestein kratzen. Das ist für uns ein großes Glück. Wir können so sofort dafür sorgen, dass die Maschinen stoppen, wenn wir einen versteinerten Knochen entdecken. Haben wir etwas gefunden, beginnt der normale Bergungsprozess. Wir graben die Knochen aus, machen Fotos von der Fundstelle und machen sie für den Transport ins Institut fertig. Die Erde ist so voller Fossilien, dass wir die Maschinen ungefähr jede Stunde stoppen müssen.

Das klingt nach harter Arbeit.

Absolut. Man steht den ganzen Tag, manchmal auch in der Nacht, in der Nähe von großen Maschinen. Es ist laut und staubig. Im Sommer haben wir oft Temperaturen von 40 Grad. Im Winter ist es kalt und regnerisch. Die Maschinen halten bei keinem Wetter an. Wir müssen also bei Wind und Wetter raus. Es gibt nämlich die Auflage der katalanischen Regierung, dass in Can Mata nur gegraben werden darf, wenn auch Paläontologen vor Ort sind. Die Betreiberfirma selbst unterstützt unsere Arbeit auch finanziell und ist sehr kooperativ.

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Wie sah es während des Miozäns in der Region aus, also in der Zeit von vor 23 Millionen Jahren bis vor fünf Millionen Jahren?

Es war deutlich wärmer und feuchter als heute, fast subtropisch. Es gab vermutlich auch starke Trocken- und Regenphasen. Rund um das Wasser war ein dichter Regenwald. Die Artenvielfalt in dieser Zeit war immens. Wir finden verschiedene Primaten, darunter Vorfahren der Menschenaffen. Es wurden auch schon Pferde, Nashörner, Verwandte der Elefanten, unzählige Nagetiere, kleine Echsen und Vögel entdeckt.

Haben Sie ein Lieblingsfossil?

Mein Spezialgebiet sind prähistorische Nagetiere. Deshalb ist mein Lieblingsfund das älteste Gleithörnchen der Welt. Aber die wichtigsten Funde von Can Mata sind die Homioniden. Sie sind die Vorläufer von Menschenaffen wie Gorillas oder Schimpansen, aber auch von uns Menschen. Für mich war der Fund von Pau – Pierolapithecus catalaunicus – sehr besonders. Gefunden haben wir ihn 2002, damals fingen wir gerade an, in Can Mata zu graben. Eines Tages stießen wir auf seine zwölf Millionen Jahre alten Überreste. Das Skelett ist erstaunlich vollständig, sogar sein Gesicht kann man gut erkennen. Das war einer meiner wichtigsten Funde überhaupt und vielleicht nach der Geburt meines ersten Sohns und meiner Hochzeit einer der schönsten Augenblicke meines Lebens.

Reicht ein Forscherleben aus, um alle Fossilien aus Can Mata zu untersuchen?

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Wir haben inzwischen über 70.000 Fossilien von größeren Säugetieren gefunden. Dazu kommt wahrscheinlich noch mal die gleiche Menge an Überresten von kleineren Tieren. Wir haben bisher rund 20 Prozent der Funde präpariert und beschrieben. Das ist eine großartige Leistung. Trotzdem sind es schon jetzt mehr Fossilien, als wir in unserem Leben untersuchen können.

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