Familienplanung: Gefangen im Kinderwunsch
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Wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt, wird die Psyche enorm belastet.
© Quelle: Pixabay (Symbolbild)
Schonungslos offen berichtet Julie von Bismarck in ihrem neuen Buch "84 Monate" davon, was sie und ihr Mann nach einer tragischen Fehlgeburt durchgemacht haben, um doch noch ein eigenes Kind zu bekommen. Wie sie ihre Ersparnisse aufbrauchten, ihr Zuhause und ihre Autos verkauften, um sich wieder und wieder den Kinderwunschbehandlungen auszusetzen. Sie könne jederzeit erneut schwanger werden, hatten die Ärzte gesagt – aber sieben Jahre, unzählige Tränen und Stunden unerträglicher körperlicher Schmerzen später stand fest: Das war gelogen. Nach langen zermürbenden Jahren bekam sie von einem Experten für Kinderwunschbehandlungen schließlich die traurige Diagnose: Sie selbst kann keine Kinder austragen. Mithilfe einer Leihmutter aus Kalifornien wurde Julie von Bismarck doch noch Mutter einer Tochter. Im Interview erzählt sie unter anderem, warum es so wichtig für sie war, das Buch zu schreiben.
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Autorin Julie von Bismarck lebt mit ihrer Familie in Norddeutschland und Südafrika.
© Quelle: Ralf Kornmann/Piper-Verlag
Frau von Bismarck, beim Lesen fällt auf, dass Sie sehr stark unter dem Gefühl gelitten haben, es sei Ihr persönliches Versagen, dass Ihr Kinderwunsch unerfüllt geblieben ist - obwohl es eindeutig medizinische Gründe gab, für die Sie absolut nichts konnten. Haben Sie jetzt im Nachhinein dafür eine Erklärung?
Das lag wohl auch daran, dass ich währenddessen nicht wusste, dass es medizinische Gründe gab. Denn auch wenn ich das unterschwellig immer vermutete: Gesagt wurde mir immer nur, ich könne selbstverständlich schwanger werden. Generell ist es aber so, dass Frauen sich schnell "schuldig" und fehlerhaft fühlen, wenn sie nicht einfach so schwanger werden können. Es gilt einfach als normal: Frau gleich Kinder. Was übrigens ziemlich diskriminierend ist, es gibt schließlich auch Frauen, die ganz bewusst keine Kinder haben möchten. Bei einem Mann ist das gesellschaftlich nicht mal ein Schulterzucken wert, dem wird verständnisvoll auf die Schulter geklopft. Bei einer Frau gibt es hingegen einen Aufschrei, große Empörung, und sie wird mit einem Label versehen, auf dem steht, dass mit ihr – gelinde gesagt – etwas nicht stimmt. Das ist schon ziemlich seltsam. Unter anderem dieses gesellschaftliche Denken führt zu den Schuldgefühlen. Kann man als Frau keine Kinder bekommen, ist man nichts wert, dysfunktional gewissermaßen. Mehr aus dem Inneren heraus entstehen solche Schuldgefühle nach einer Fehlgeburt: Man hat einfach das Gefühl, man hätte das verhindern müssen – auch wenn das überhaupt nicht möglich gewesen wäre und ein irrationaler Gedanke ist.
Generell ist es so, dass Frauen sich schnell “schuldig” und fehlerhaft fühlen, wenn sie nicht einfach so schwanger werden können.
Julie von Bismarck, Autorin
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An mehreren Stellen sind Sie ein Opfer ärztlicher Fehlentscheidungen und "Kunstfehler" geworden. Haben Sie beide jemals erwägt oder gar versucht, die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft zu ziehen?
Darüber nachgedacht habe ich natürlich mehrfach. Aber erstens ist es in Deutschland alles andere als einfach, eine ärztliche Fehlentscheidung gerichtsfest nachzuweisen (erst recht nach einigen Jahren) und zweitens war ich durch die psychischen und physischen Belastungen bereits so am Limit, dass ich uns nicht auch noch einen jahrelangen Rechtsstreit zumuten wollte. Denn das wäre es mindestens gewesen - mit ungewissem Ausgang und weiteren hohen Kosten. Vermutlich ist das in Deutschland, im Gegensatz zu beispielsweise den USA, ein Grund, warum in der Medizin so wenig Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen gestellt werden: Es ist einfach sehr aufwendig und meistens eher aussichtslos.
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Sie haben mehrere psychologische Nebenwirkungen Ihres starken Kinderwunsches beschrieben, unter anderem das zwanghafte Zählen. Konnten Sie das überwinden? Und wenn ja, wie ist es Ihnen gelungen?
Es geht so. Ehrlich gesagt erwische ich mich in angespannten Situationen immer noch dabei, dass ich beim Kochen die Schnitte zähle. Aber dann hilft es, konzentriert an etwas anderes zu denken oder zu singen. So schlimm wie damals ist es jedenfalls nicht mehr, auch, weil ich letztlich immer wieder bewiesen bekommen habe, dass es keinerlei Auswirkungen auf irgendetwas in meinem Leben hat, ob ich die perfekte Anzahl Gurkenstücke schneide oder eine "Pechzahl" herauskommt. Es hat mir erwiesenermaßen nicht geholfen.
Die Fülle der Rückmeldungen ist überwältigend: Je mehr ich von diesen Frauen lese, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass es richtig war, diesen für mich absolut nicht leichten Schritt zu gehen und das Buch zu veröffentlichen.
Julie von Bismarck, Autorin
Am Beginn schreiben Sie, dass Sie sich wünschen, das Buch möge anderen Frauen helfen. Wie ist es jetzt nach der Veröffentlichung: Erhalten Sie Rückmeldungen von Betroffenen?
Ja. Ich erhalte sehr viele Emails von betroffenen Frauen, die mir für meinen Mut und meine Offenheit danken und mir schreiben, wie sehr es sie getröstet hat, meine Geschichte zu lesen. Dass sie das erste Mal seit Jahren nicht mehr das Gefühl haben, mit ihnen stimme etwas nicht und dass sie sich das erste Mal nicht mehr allein fühlen. Die Fülle dieser Rückmeldungen ist überwältigend und die Geschichten, die dahinterstehen, berühren mich sehr und machen mich teilweise fassungslos. Je mehr ich von diesen Frauen lese, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass es richtig war, diesen für mich absolut nicht leichten Schritt zu gehen und das Buch zu veröffentlichen. Ich bekomme übrigens auch Rückmeldungen von Männern, die sich für das Buch bedanken, meist anonym und weniger ausführlich und mit dem Tenor, dass es für sie wichtig war, die Sicht der Frau so schonungslos offen zu lesen - damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Das ganze Ausmaß, die unfassbare Anzahl von betroffenen Frauen, Männern und Angehörigen, das wird erst langsam wirklich deutlich. Daher ist das Buch vielleicht sogar noch viel wichtiger, als wir alle zunächst gedacht haben.
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Das Buch "84 Monate" (304 Seiten, 15 Euro) ist im Piper-Verlag erschienen.
© Quelle: Piper-Verlag
Kinderwunschbehandlung – eine Übersicht
IUI - Intrauterine Insemination: Einführung der Samenzellen in die Gebärmutter mithilfe eines Katheders. Die Eizellreifung und der Eisprung werden dabei meist durch Medikamente gesteuert.
IVF - In-vitro-Fertilisation: Befruchtung der Eizellen mit den Samenzellen außerhalb des Körpers („im Reagenzglas“). Die Frau wird medikamentös behandelt, damit mehrere Eizellen gleichzeitig reifen und der Eisprung zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt erfolgt. Die reifen Eizellen werden ihr unter Narkose entnommen. Bei der klassischen IVF erfolgt die Befruchtung im Glas spontan, das heißt die Spermien suchen sich den Weg zu den Eizellen.
ICSI - Intrazytoplasmatische Spermieninjektion: Sonderform der IVF, bei der ein einzelnes Spermium unter mikroskopischer Sicht in die vorbereitete Eizelle injiziert wird. Dieses Verfahren kommt unter anderem zur Anwendung, wenn die Beweglichkeit der Spermien stark eingeschränkt ist. Bei entsprechender Diagnose können die Samenzellen per Biopsie auch direkt aus dem Hoden des Mannes entnommen werden.
Gesetzlich erlaubt ist in Deutschland die Samenspende, solange sie nicht anonym erfolgt. Verboten sind Eizellenspenden sowie die Leihmutterschaft. Es ist möglich, mehr Eizellen zu befruchten, als gebraucht werden, und diese vor der Verschmelzung der beiden Zellkerne einzufrieren. Die eingefrorenen Embryonen können später unter bestimmten Umständen an andere kinderlose Paare gespendet werden.