Forschende: Zunahme des Fleischhandels lässt Zahl von ernährungsbedingten Krankheiten wachsen
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Heutzutage wird deutlich mehr Fleisch produziert als noch vor wenigen Jahrzehnten.
© Quelle: imago/photothek
East Lansing. Mit dem weltweit gestiegenen Verzehr vor allem von Rind- und Schweinefleisch ging einer Analyse zufolge in den vergangenen drei Jahrzehnten eine merkliche Zunahme ernährungsbedingter Krankheiten einher. Am größten sei der Einfluss in Nord- und Osteuropa sowie in den Inselstaaten der Karibik und Ozeaniens gewesen, berichten Forschende im Fachjournal „BMJ Global Health“. Sie untersuchten den Zusammenhang allerdings nicht direkt, sondern nutzten Handels- und Erkrankungszahlen.
Ein hoher Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch wird mit einem erhöhten Risiko für Erkrankungen wie Darmkrebs, Diabetes und koronare Herzkrankheiten in Verbindung gebracht. Als rotes Fleisch wird das Fleisch vor allem von Rind, Schwein und Schaf bezeichnet. Weißes Fleisch stammt von Geflügel. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IACR) in Lyon hat den Verzehr von rotem Fleisch als „wahrscheinlich krebserregend" eingestuft. Verarbeitetes Fleisch gilt demnach sogar als „krebserregend". Viele Ernährungsrichtlinien empfehlen einen geringen Fleischverzehr.
Weltweiter Handel mit rotem Fleisch um fast 150 Prozent gestiegen
Im Zuge von Verstädterung und wachsenden Einkommen habe der globale Handel mit rotem und verarbeitetem Fleisch in den vergangenen Jahrzehnten exponentiell zugenommen, um den in vielen Ländern rasant steigenden Bedarf zu decken, erläutern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Min Gon Chung von der Michigan State University in East Lansing nun. Dieser Handel spiele eine wesentliche Rolle für die Verfügbarkeit von Fleisch in der Welt, verursache aber immense Umwelt- und Gesundheitsfolgen, geben die Forschenden zu bedenken. Die Produktion für den Export übe erheblichen Druck auf die Landnutzung aus und führe zum Verlust von Biodiversität in Exportländern. Mit steigendem Konsum habe es zudem einen abrupten Anstieg bei ernährungsbedingten Krankheiten gegeben.
Diesen Zusammenhang versuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun in Zahlen zu fassen. Basis bildeten Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zu Fleischproduktion und -handel für mehr als 150 Länder aus dem Zeitraum von 1993 bis 2018. Für besonders relevante 20 Produkte aus Rind-, Schweine-, Lamm- und Ziegenfleisch wurden die importierten und exportierten Mengen erfasst. Sechs der Produkte bestanden hauptsächlich aus Rind- und Schweinefleisch und waren durch Räuchern, Salzen, Pökeln oder Chemikalien haltbar gemacht worden. Einbezogen wurden zudem Schätzungen zum Anteil bei Transport und Lagerung weggeworfener Waren.
Der weltweite Handel mit dem roten, teilweise verarbeiteten Fleisch stieg demnach um fast 150 Prozent: von 10 Millionen Tonnen in den Jahren 1993–1995 auf fast 25 Millionen Tonnen in den Jahren 2016–2018. Die Hälfte der Ausfuhren entfiel in beiden Zeiträumen auf die Industrieländer in Europa. Die Entwicklungsländer steigerten ihre Importe um mehr als 340 Prozent von zwei auf fast neun Millionen Tonnen; die Industrieländer verdoppelten ihre Importe von acht auf 16 Millionen Tonnen. Zu den wichtigsten exportierenden Ländern zählten zuletzt unter anderem Brasilien, die Niederlande und Deutschland.
Zahl der ernährungsbedingten Todesfälle nahm um etwa 75 Prozent zu
Zugleich berechneten die Forschenden den Anteil der Todesfälle und der mit Behinderung gelebten Lebensjahre, die sie auf Ernährungsfolgen wie Darmkrebs, Typ-2-Diabetes und koronarer Herzkrankheit bei Menschen ab 25 Jahren in den Ländern zurückführten. Die Zahl statistisch mit dem globalen Handel mit den Fleischprodukten in Verbindung zu bringender ernährungsbedingter Todesfälle nahm demnach in drei Vierteln der 154 Länder zu – im Mittel um etwa 75 Prozent. Die Zeit mit Einschränkungen gelebter Jahre legte noch stärker zu.
Das Plus verteilte sich dabei ungleichmäßig: In Industrieländern – mit oft schon zuvor hohem Fleischkonsum – stieg die Todesfallzahl um etwa 55 Prozent, in den Entwicklungsländern hingegen um etwa 137 Prozent. Zu den zehn Ländern mit dem höchsten Anteil an Todesfällen, die sich in den Jahren 2016–2018 mit dem Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch in Verbindung bringen ließen, zählen die Niederlande, die Bahamas, Tonga, Dänemark, Antigua und Barbuda, die Seychellen, die Vereinigten Arabischen Emirate, Singapur, Kroatien und Griechenland.
Ursachen für die Krankheiten noch nicht geklärt
Die Forschenden geben einschränkend zu bedenken, dass kein ursächlicher, sondern lediglich ein statistischer Zusammenhang nachgewiesen wurde. Andere Faktoren wie Veränderungen im Bewegungsverhalten oder in anderen Ernährungsbereichen blieben unberücksichtigt. Zudem gelte für viele Länder, dass sie rotes Fleisch importieren, um es für den Export zu verarbeiten – das könne die erzielten Ergebnisse verfälschen. Insgesamt aber ließen die Daten klar darauf schließen, dass der weltweite Anstieg des Handels mit rotem und verarbeitetem Fleisch zu einem abrupten Anstieg ernährungsbedingter Krankheiten beitrug.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen, dass sich die Politik auch über den Handel für eine gesündere und nachhaltigere Ernährungsweise der Bevölkerung einsetzen sollte. Die EU, auf die die Hälfte des weltweiten Fleischhandels entfalle, bereite die Erhebung von Grenzabgaben auf importierte Waren abhängig von den bei der Herstellung freigesetzten Treibhausgasen vor, erläutern sie. Eine auf Fleisch und Fleischprodukte angewandte Kohlenstoff-Grenzabgabe könne helfen, eine nachhaltige Ernährungsweise mit weniger rotem und verarbeitetem Fleisch zu erreichen. Die Emissionen beim Transport sollten dabei ebenfalls berücksichtigt werden, so die Forschenden.
RND/dpa