Göttinger Forscher: Erste Mitteleuropäer kamen aus dem heutigen Spanien
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/OQB3ODMIGJHARIJVTYAFV4AKOE.jpg)
Dunkle Haut, blaue oder grüne Augen: Dieses Bild zeichnet die Studie von den typischen Jägern und Sammlern in Mitteleuropa während und nach der Eiszeit.
© Quelle: Tom Bjoerklund
Göttingen. Vor 21.000 Jahren war Europa ein unwirtlicher Ort zum Leben. Die Eiszeit setzte zum finalen Paukenschlag an, das sogenannte letzte glaziale Maximum (LGM) sorgte dafür, dass sich die Menschen in den Süden zurückzogen. Die Gletscher reichten bis in die Region, in der heute Hamburg liegt, bis Starnberg war das Land nur spärlich besiedelt. Immerhin war der moderne Mensch besser als sein Vorläufer, der Neandertaler, für die Widrigkeiten der Kälte gewappnet.
Eine Studie hat nun die DNA von 356 menschlichen Überresten analysiert – die Ergebnisse werfen ein neues Licht auf das Leben in Europa rund um die Eiszeit. „Mit dieser Studie bekommen wir erhebliche Einsichten in die europäische Menschheitsgeschichte“, sagt Thomas Terberger, einer der 125 Autoren des Beitrags. Der Archäologe ist Professor am Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen. Die im Fachjournal „Nature“ erschienene Studie baut auf den größten je erstellten Genomdatensatz europäischer Jäger und Sammler auf.
Neue Studie mit überraschenden Entdeckungen
Die Individuen, deren Erbmaterial von der Forschergruppe analysiert wurde, lebten vor 5000 bis 35.000 Jahren zu verschiedenen Phasen der letzten Eiszeit in Europa und Asien. Die Wissenschaftler um den Tübinger Anthropologen Cosimo Posth machten überraschende Entdeckungen: So war die Bevölkerung Europas vor der Eiszeit genetisch vielfältiger als gedacht. Zudem zeigt die Studie, wie sehr das Leben auf dem Kontinent von klimabedingter Migration geprägt war.
Terberger und sein Team in Göttingen konzentrierten sich auf die Jahrtausende nach der Eiszeit – unter anderem bei Grabungen in der Uckermark. Auf dem 8000 Jahre alten Bestattungsplatz Groß Fredenwalde liegen zwölf Menschen vergraben. Ein außergewöhnlich großer Fund, noch dazu sehr gut erhalten, schwärmt Terberger.
Göttinger Forscher: „Es waren die Magdalénien“
Vor 18.000 Jahren zog sich das Eis langsam wieder zurück. Die Forscher können nun mit Gewissheit sagen, wer daraufhin Mitteleuropa besiedelte: „Es waren die Menschen des sogenannten Magdalénien, die durch ihre Malereien in Höhlen wie Lascaux und Altamira bekannt sind“, sagt Terberger. Denn menschliche Überreste aus Südwesteuropa wiesen große genetische Ähnlichkeiten mit Proben aus der Maszycka-Höhle in Südpolen auf.
Dass die Menschen aus dem Südwesten kamen, bestätigt bisherige Vermutungen. Überraschend ist hingegen, dass die italienische Halbinsel scheinbar nicht genug Schutz vor der Kälte aus dem Norden bot. Die Spuren der Jäger und Sammler, die dort vor der Eiszeit lebten, sind später nicht mehr auffindbar.
Forschung auch ein Erfolg für die Paläogenetik
Die Entdeckungen sind auch ein Erfolg für das relativ neue Feld der Paläogenetik – die genetische Analyse von menschlichen Überresten. Paläo-Forscher extrahieren im Labor DNA-Bruchstücke aus Knochenfunden und können die darin enthaltenen Erbinformationen auf Jahrzehnte genau zurückdatieren. „Diese Methode hat die großen Fragen der Menschheitsgeschichte in den vergangenen zehn bis 15 Jahren richtig vorangebracht“, sagt Terberger.
Der DNA-Vergleich der verschiedenen Funde lässt Rückschlüsse auf die Wanderungsbewegungen der frühen Europäer zu. Je ähnlicher das Erbmaterial, desto näher müssen sich die Gruppen gekommen sein. Die archäologischen Grabungen brächten weitere Informationen, erklärt Terberger. „Diese verschiedenen Bausteine setzen wir anschließend zusammen.“ Das Fach verbinde die Welt der Geisteswissenschaften mit den Naturwissenschaften.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/524RYYMVKBADZG57WCNCUVKIMY.jpg)
Thomas Terberger, Professor am Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen.
© Quelle: Sergej Most
Terberger sieht sich selbst als klassisch arbeitenden Archäologen. „Mit dem Labor habe ich nichts zu tun, dort habe ich zwei linke Hände“, scherzt er. Seine Spezialität: Eine weitreichende mentale Landkarte Mitteleuropas mit Fundstellen menschlicher Überreste aus der Steinzeit. Neben den eigenen Grabungen in der Uckermark gab er seinem Kollegen Posth den Tipp mit der Höhle in Südpolen. Dieser packte die Knochenproben in den Koffer, fuhr mit dem Zug ins Labor und führte dort die Genomanalysen durch, beschreibt Terberger das weitere Vorgehen.
Dunkle Haut, blaue Augen – die frühen Europäer
Die Analyse der Überreste vom brandenburgischen Bestattungsplatz zeigt: Die Individuen hatten dunkle Haut und blaue oder grüne Augen. „Sie entsprechen der typischen mittelsteinzeitlichen Urbevölkerung Mitteleuropas“, erläutert Terberger. Ihre Vorfahren der Magdalénien-Kultur kamen schließlich aus dem tiefen Südwesten. Erst über die Jahrtausende adaptierten sie sich an das Nördliche. Zudem fanden die Forscher in dem Genmaterial auch Kontakte zu Jägern und Sammlern aus Osteuropa, die sich mit hellerer Haut und dunklen Augen äußerlich unterschieden. Diese Gruppe sollte sich später über das restliche Europa ausbreiten.
„In der Archäologie können wir etwas zu heutigen Fragen sagen“, meint Terberger. Zwar sei der Klimawandel kein Schwerpunkt der Studie gewesen. „Aber wir sehen die historische Antwort des Menschen darauf: nämlich die Be- und Entsiedlung ganzer Landschaften.“ Die Studie zeige, dass Migration eine größere Rolle in der Geschichte der Menschheit gespielt habe als bislang geahnt. „Die Aussage ‚Wir waren schon immer hier‘ erscheint vor diesem Hintergrund sehr relativ“, so Terberger.
Die ganze Sache ist für ihn nicht neu: Die Besiedlung Mitteleuropas um das letzte Kältemaximum war das Thema seiner Habilitation vor mehr als 20 Jahren.
GT/ET