Frischgeröstet statt ewig haltbar: Darum setzen immer mehr Menschen auf kleine Kaffeeröstereien
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Kaffeerösten ist en vogue – was für viele als Hobby beginnt, kann auch zum Haupterwerb werden.
© Quelle: Philipp Schulze/dpa
Lüneburg. Das Meiste am umgebauten Coffeetruck ist Handarbeit. „Meine Frau ist Tischlerin, sie hat nur mit Echtholz gearbeitet“, erzählt der Wahllüneburger Peter Eichelmann in seinem umfunktionierten ehemaligen Blumenverkaufswagen. Sogar die großen Lettern des Namens „Gondel“ hat sie selbst gefertigt. Und weil es schnell gehen musste, hat sie das N versehentlich falsch herum montiert – nun ist es ein Markenzeichen des kleinen Anbieters. Seit 2015 röstet Eichelmann selbst und baut regelmäßig auf dem Markt der Hansestadt seinen Verkaufsstand auf. Am meisten Zeit nimmt das Aufheizen der 60 Kilogramm schweren Maschine in Anspruch – in einer halben Stunde werden die zehn Liter Wasser in 40 Kilogramm Metall heiß.
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Peter Eichelmann steht in seinem Verkaufswagen und verkauft einer Kundin einen Kaffee.
© Quelle: Philipp Schulze/dpa
„Kaffee kaufen hat mit Vertrauen zu tun, das habe ich in der Fortbildung gelernt“, sagt Eichelmann, der früher als Fotograf sein Geld verdiente und sein neues Unternehmen Karacho Kaffee getauft hat. Er vertraut einem Händler aus Hamburg, wo viele wegen des Hafens ihren Sitz haben. Derzeit hat der 43-Jährige zwei Säcke mit Kaffeebohnen aus Mexiko, einen aus Äthiopien und einen aus Peru daheim. Für mehr fehlen die Lagerkapazitäten.
Trend geht zu frisch gerösteten Kaffeebohnen
Holger Preibisch, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Kaffeeverbands mit Sitz in Hamburg, beschreibt die Entwicklung der Branche: „Mit dem Aufkommen von Supermärkten und Vakuumverpackungen begann in den 50er/60er Jahren das Sterben der Kleinen.“ Vor 15 Jahren waren nach seinen Angaben noch 100 Röstereien in Deutschland übrig, heute sind es 900. „Das verdeutlicht das signifikante Wachstum in den letzten Jahren.“
Früher sei es wichtig gewesen, die gemahlene Bohne lange haltbar zu machen, inzwischen sei die frisch geröstete angesagt: „Das können die Kleinen oft besser erfüllen als die Großen.“ Mancher Koch rüste um. Zudem werde Personal in der Branche gesucht, sagt Preibisch.
Viele Menschen rösten Kaffee als Hobby
Den Trend zu individuellem Spezialitätenkaffee bestätigt auch Frank Prohl, bekannt als Heideröster aus dem Örtchen Dierkshausen im Landkreis Diepholz. „Ich halte nichts von einer Ellenbogenmentalität“, sagt der 42-Jährige. Er sei in der Nordheide gut vernetzt unter den Händlern. „Man findet seinen Stil, was die Kunden gern trinken.“ Er betreibt sein Mini-Unternehmen seit zweieinhalb Jahren. Wie Eichelmann hat er sich das Grundwissen im Intensivkurs bei einem Röstercamp in Hannover zugelegt.
Röster oder auch Barista – der Zubereiter – sei kein Lehrberuf, bedauert Thomas Brinkmann, Inhaber der Kaffeeschule Hannover. „Ich habe versucht, das als Lehrberuf zu installieren, aber es gibt zu wenig her.“ Er würde ihn an die Lebensmitteltechnologie angliedern. Seit 15 Jahren bietet er die Schulungen an und stellt einen steten Zulauf fest. „Das ist Lifestyle, das sehe ich in den Workshops, viele beschäftigen sich auch als Hobby mit dem Rösten.“ Brinkmann berät aber auch die Industrie und stellt fest, dass die großen Firmen immer mehr Spezialitäten beim Filterkaffee anbieten.
Preis im Supermarkt zu niedrig?
Im Café Ratzsch in der Lüneburger Innenstadt liegen die Kaffeesäcke auf dem Boden - traditionell wird seit 1919 im Familienbesitz geröstet. Was so gemütlich aussieht, ist durch die Lieferprobleme rund um die Welt derzeit aber großer Aufwand. Inhaber Jürgen Pasternak und sein Team sind nach eigenen Angaben damit beschäftigt, das Weihnachtsgeschäft abzusichern.
Er selbst habe das Geschäft von der Pike auf gelernt, den Kaffeeanbau in Lateinamerika über Jahre auf Partnerplantagen begleitet. „Für Neueinsteiger ist es recht einfach, den Kaffee bekömmlicher hinzukriegen als die Industrie“, sagt der Groß- und Einzelhändler. Für ein wertiges Produkt ist seiner Einschätzung nach der Preis im Supermarkt zu niedrig.
RND/dpa