Fünf Kipppunkte, die den Klimawandel beschleunigen – und die Welt für immer verändern könnten

Ausgebleichtes Korallenriff an den Kepple Islands am Great Barrier Reef: Der erste Kipppunkt ist schon fast erreicht.

Ausgebleichtes Korallenriff an den Kepple Islands am Great Barrier Reef: Der erste Kipppunkt ist schon fast erreicht.

Hitze, Dürren, Starkregen, Ernteausfälle, Tropenstürme, soziale Konflikte: Die Liste der Probleme, die die Erderwärmung mit sich bringt, ist lang. Je mehr Emissionen die Menschen verursachen – also je mehr Kohle, Gas und Öl verbrannt wird, umso stärker werden auch die Folgen spürbar. Steigen die Temperaturen immer weiter an, erreicht der Klimawandel dann irgendwann besonders kritische Momente.

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Die Rede ist von Kipppunkten. Fachleute sprechen manchmal auch von Kippelementen, oder auch „tipping elements“. Das Gefährliche: Sind bestimmte kritische Schwellenwerte erstmal erreicht, folgt eine Reihe von Kettenereignissen, die das Klima- und Ökosystem noch schneller in einen anderen Zustand bringen. Der Wandel wird dadurch noch einmal deutlich beschleunigt. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) beschreibt diesen Mechanismus in einer Übersicht mit einer einfachen Metapher: „Schiebt man eine Kaffeetasse über den Schreibtischrand, passiert erst nichts, bis sie einen kritischen Punkt erreicht, an dem sie kippt und abstürzt.“

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Sind Kipppunkte erst einmal überschritten, gibt es auch kein Zurück mehr in den ursprünglichen Zustand. Der neue Zustand ist unumkehrbar, das Klima und damit auch das Leben auf der Erde nie wieder so wie vorher. Irreversibilität nennt man das. Oder um im Bild der Kaffeetasse zu bleiben: Sie ist zerbrochen und wird nie wieder so aussehen wie vor dem Sturz. Die Klimaforschenden vom PIK machen sechs solcher möglichen Kipppunkte aus, die sich bereits heute abzeichnen:

1. Das Eis schmilzt ab

Das Eis schmilzt und der Meeresspiegel steigt: Die Erderwärmung hat massive Auswirkungen auf Eismassen und Ozeane.

Das Eis schmilzt und der Meeresspiegel steigt: Die Erderwärmung hat massive Auswirkungen auf Eismassen und Ozeane.

Die Meereisdecke auf dem arktischen Ozean kühlt das ganze Jahr über das Klima. Denn sie reflektiert die ankommende Sonnenstrahlung größtenteils ins All. Schwindet das Meereis, könnte es also noch schneller wärmer werden, sich die Erde noch schneller aufheizen. Das Eis ist zudem ein enorm wichtiger Bestandteil des arktischen Ökosystems, relevant für Phytoplankton, Narwale bis hin zu Eisbären. Die Biodiversität steht also ebenfalls auf dem Spiel.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Bedeckung mit Eis im Sommer in der Arktis bereits um rund die Hälfte abgenommen. Forschende gehen davon aus, dass das bereits jetzt zu Wetterextremen in unseren Breitengraden führt – und in Zukunft noch häufiger vorkommt. Bei zwei Grad Erderwärmung wird laut dem Bericht des Weltklimarats (IPCC) jeder zehnte arktische Sommer eisfrei sein. Nehmen die Emissionen von Treibhausgasen ungebremst zu, könnte es auch im Winter kein Eis mehr geben.

Das weitere Schicksal hängt von den Emissionen ab.

Potsdam-Institut für Klimawandelforschung

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Auch die Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis schmelzen bereits – und bringen weitere Probleme mit sich. Satellitenbeobachtungen und physikalische Computermodelle lassen vermuten, dass der westantarktische Eisschild bereits instabil geworden ist. „Damit ist es wahrscheinlich, dass über die nächsten Jahrhunderte sein gesamtes marines Eis in den Ozean fließen wird, und allein dadurch der Meeresspiegel weltweit um mehr als drei Meter ansteigen wird“, schreibt das PIK. Auch in der Ostantarktis und in anderen Küstengebieten des Eiskontinents bestünde die Gefahr ähnlicher Instabilitäten. „Diese Kippunkte sind bisher zum Glück noch nicht überschritten. Das Risiko dafür steigt aber mit der Erwärmung des Planeten“, warnen die Forschenden.

Auch die Gebirgsgletscher – bis auf wenige Ausnahmen – sind bereits stark auf dem Rückzug. Schwinden die Gletscher, führt das ebenfalls zu einem Anstieg des globalen Meeresspiegels. Forschende gehen davon aus, dass der Anteil rund 30 Prozent ausmacht. Gletscher spielen aber auch eine wichtige Rolle als saisonale Wasserspeicher: Sie geben im Sommer Wasser ab und versorgen viele Millionen Menschen mit Trinkwasser.

Die Prognosen sehen nicht gut aus: Schon in rund 30 Jahren ist in den Alpen wahrscheinlich die Hälfte der Gletschermasse verschwunden. „Das weitere Schicksal hängt von den Emissionen ab: bei Begrenzung der Erwärmung auf zwei Grad Celsius könnte ein Drittel der Gletschermasse erhalten bleiben, bei ungebremsten Emissionen würden die Alpengletscher bis Ende des Jahrhunderts fast komplett verschwinden“, heißt es im PIK-Bericht.

2. Der Wald schwindet

Der brasilianische Amazonas-Regenwald wird für landwirtschaftliche Flächen zunehmend zerstört.

Der brasilianische Amazonas-Regenwald wird für landwirtschaftliche Flächen zunehmend zerstört.

Wärmere Temperaturen, Entwaldung, Expansion der Landwirtschaft: Je mehr Wälder verschwinden, umso mehr Ökosysteme gehen verloren und umso mehr CO₂ wird freigesetzt. Das gravierendste Beispiel: Die Regenwälder der Amazonasregion. Sie sind schon heute direkt vom Klimawandel betroffen. Satellitendaten und Messungen vor Ort haben gezeigt, dass zunehmende Dürren den Amazonaswald von einer Kohlenstoffsenke in eine Kohlenstoffquelle verwandeln. Bereits heute sind Teile der Baumbestände den neuen Klimabedingungen nicht gewachsen – und sterben ab. Der heutige Waldverlust wird bereits auf 20 Prozent beziffert.

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Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 120 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in lebendem und totem Pflanzenmaterial in der Amazonasregion gespeichert sind. „Würde also im Extremfall dieser gespeicherte Kohlenstoff freigesetzt werden, entspräche das acht bis zwölf Jahren der heutigen globalen fossilen CO₂‑Emissionen und hätte regionale und globale Folgen für das Klima“, erläutert das PIK. Auch die Nadelwälder des Nordens, etwa in Kanada, Russland, Grönland und Skandinavien, sind durch die Erderwärmung und damit zunehmende Trockenheit, Feuer und Insektenbefall gefährdet.

3. Der Golfstrom könnte instabil werden

Die Atlantikzirkulation – oft auch Golfstromsystem genannt – ist eine große Umwälzbewegung des Atlantischen Ozeans, bei der warmes Oberflächenwasser vom Südatlantik über den Äquator bis in den hohen Norden des Atlantiks strömt, wo es abkühlt und Wärme an die Luft abgibt. „Das Ganze funktioniert wie eine Zentralheizung für den Nordatlantikraum bis hinein nach Europa“, erklärt das PIK.

Allerdings ist diese Strömung durch den zunehmenden Klimawandel gefährdet, genauer: durch den Süßwassereintrag über verstärkte Niederschläge und die Eisschmelze. Süßwasser ist leichter als Salzwasser, behindert das Absinken des Wassers in die Tiefe und damit den Antrieb der Atlantikzirkulation. Würde die Strömung abreißen, wären die Folgen massiv: Insbesondere Europa könnte Extremwetter drohen, ganze Ökosysteme kollabieren.

Bislang ist aber unsicher, mit welchem Ausmaß der Abschwächung zu rechnen ist. Schätzungen reichen von sehr gering bis hin zu 50 Prozent in diesem Jahrhundert. „Es gibt ernsthafte Hinweise, dass viele Modelle die Stabilität des Golfstromsystems systematisch überschätzen“, heißt es im Bericht. Auf der anderen Seite deutet eine auffallende Abkühlung des Wassers im subpolaren Nordatlantik seit Mitte des 20. Jahrhunderts auf eine Abschwächung um bislang 15 Prozent hin.

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4. Korallenriffe sterben ab

Korallen am Great Barrier Reef. Nur zwei Prozent aller Korallen in der Weltnaturerbe-Stätte seien noch nicht von Massenbleichen betroffen gewesen, seit das Phänomen im Jahr 1998 erstmals aufgetreten sei, zeigt eine Studie.

Korallen am Great Barrier Reef. Nur zwei Prozent aller Korallen in der Weltnaturerbe-Stätte seien noch nicht von Massenbleichen betroffen gewesen, seit das Phänomen im Jahr 1998 erstmals aufgetreten sei, zeigt eine Studie.

Dieser Kipppunkt ist bereits fast erreicht. Weltweit sterben die tropischen Korallenriffe ab. Denn die Korallenbleiche korreliert eng mit der Wassertemperatur. Weil die Intervalle zwischen Episoden von zu hohen Wassertemperaturen immer kürzer werden, können sich die Korallenriffe zwischenzeitlich nicht mehr erholen.

Schon bei zwei Grad Erderwärmung ist mit einem kompletten Verlust der Riffe zu rechnen, zeigt der Bericht des Weltklimarats. Auch bei 1,5 Grad überlebten nur rund 10 bis 30 Prozent der Korallen. Die Folge: der Verlust eines kompletten Ökosystems. Laut der US-Ozeanbehörde NOAA sind weltweit mehr als eine halbe Milliarde Menschen auf Korallenriffe angewiesen – für ihre Nahrungsversorgung, ihr Einkommen oder den Küstenschutz.

5. Der Permafrost taut auf

In den Polargebieten, in der Tundra, in Teilen von Nadelwaldgebieten und in Hochgebirgen befinden sich die Permafrostregionen der Erde. Sie sind ein bedeutender Speicher von Kohlenstoff – mit rund 1300 bis 1600 Milliarden Tonnen. Das macht Forschenden zufolge wahrscheinlich die Hälfte des gesamten im Boden gespeicherten Kohlenstoffs weltweit aus. Und ebendiese Gebiete werden wärmer, zwischen 1990 und 2016 bereits um vier Grad Celsius.

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Die Sorge: Durch das Auftauen wird der Kohlenstoff mikrobiell zersetzt, entweicht – und könnte zu einer zusätzlichen globalen Erwärmung von 0,13 bis 0,27 Grad Celsius bis 2100 führen, 0,42 Grad Celsius bis 2300. „Diese Rückkopplung ist jedoch noch mit sehr großen Unsicherheiten behaftet“, bemerken die PIK-Forschenden. Grundsätzlich besteht aber die Gefahr, dass durch das Auftauen „eine für Jahrhunderte nicht zu kontrollierende Quelle von Treibhausgasemissionen geschaffen wird“.

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