Gefährder fast immer Männer – Es geht um Überlegenheit und Machtdemonstration
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Der Botschafter Israels, Jeremy Nissim Issacharoff, steht vor der jüdischen Synagoge in Halle. Bei einem rechtsextremistischen Amoklauf wurden dort zwei Menschen getötet. Hinter solchen Taten stecken meist Männer, zeigt nun eine Studie des Bundeskriminalamtes.
© Quelle: imago images/Steffen Schellhorn
Gefährder ist ein Arbeitsbegriff der Polizei, damit bezeichnet sie Personen, denen sie zutraut, einen terroristischen Anschlag zu verüben. Wie das Bundeskriminalamt (BKA) erhoben hat, sind von allen in Deutschland gemeldeten Gefährdern nicht einmal 10 Prozent weiblich. Woran das liegt, erklärt Wilhelm Heitmeyer, Soziologe und ehemaliger Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld.
Herr Heitmeyer, woran liegt es, dass fast alle extremistischen Gefährder männlich sind?
Bei Extremismus geht es oft um Gewalt. Gewalt ist immer eine Machtdemonstration – das gilt für alle Lebensbereiche wie die Ehe, soziale Gruppen oder auch im politischen Kontext. Man muss bei dieser Frage biologische, soziale und kulturelle Faktoren zusammenwirken lassen.
Bei den biologischen Faktoren spielen die Physis und Testosteron, bei den sozialen Faktoren Status, Macht und Hierarchien und bei den kulturellen Faktoren Männlichkeitsnormen wie Ehre, Stärke und Überlegenheit eine große Rolle. Und die Variation besteht dann darin, woher die Täter sich ihre Legitimation holen. Das variiert nach politischen Legitimationen aus dem Rechtsextremismus oder beim Islamismus aus den religiösen Kontexten.
Wenn das Bundeskriminalamt informiert, dass es sich in Deutschland fast ausschließlich um männliche Gefährder handelt, ist dabei eigentlich nur das Begründungsmuster interessant – denn es geht gruppenübergreifend fast immer um Überlegenheit und Machtdemonstration. Die Information, dass Männer eher zu Gewalt neigen, ist nichts Neues.
Frauen sind weniger gewaltsam. Aber sind sie auch weniger aggressiv?
In dem Zusammenhang muss man sich die Differenz von Aggression und Gewalt anschauen. Bei Aggression geht es ja an vielen Stellen um Selbstbehauptung mit der Tendenz zu Schädigung von anderen. Das gibt es auch bei Frauen – wie zum Beispiel beim Mobbing. Dazu braucht man keine bestimmte Physis oder Männlichkeitsnormen – es geht schlicht um Schädigung.
Gewalt aber ist eine Teilmenge von Aggression, bei der es in der Regel um physische Zerstörung geht. Gewalt ist ohne Aggression nicht möglich, aber Aggression ist ohne Gewalt denkbar. Frauen können durchaus aggressiv sein, sind aber aufgrund ihrer sozialen, kulturellen und biologischen Faktoren seltener gewaltsam. Mobbing von Frauen kann auch in psychische Gewalt ausarten – da geht es aber meistens um die seelische Verletzung eines anderen Menschen.
Sind die Gründe für Gewalt bei den Gefährdergruppen denn gleich?
Die biologischen, sozialen und kulturellen Faktoren wirken bei Männern überall gleich. Sie sind zwar nach kulturellen Traditionen unterschiedlich ausgeprägt – etwa die Kategorie der Ehre, die bei arabischen Gesellschaften sehr viel ausgeprägter ist als in westeuropäischen Gesellschaften. Gleichzeitig ist der Machtdrang und die Suche nach Überlegenheit und Hierarchien aber überall gleich ausgeprägt. Die Differenz machen dann die Ideologien aus – etwa die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bei den Rechtsextremen. Diese Legitimationsmuster sind aber dennoch immer auf die sozialen und kulturellen Faktoren zurückzuführen – und sind auch abhängig vom gesellschaftlichen Klima und ob Eliten diese Legitimation bereitstellen.