Heiderose und Klaus – als die Mauer fiel, flammte ihre Liebe wieder auf

Heiderose Zahn und Klaus Feller verloren sich durch die Mauer und fanden sich nach der Wende wieder.

Heiderose Zahn und Klaus Feller verloren sich durch die Mauer und fanden sich nach der Wende wieder.

Wo nur all die Jahre geblieben sind, das ist so eine Frage, die sich Heiderose Zahn, 78, öfter stellt, wenn sie überlegt, wie schnell die Zeit vorbeiging. Sie weiß es natürlich, es gibt belastbare Daten. Seit 51 Jahren lebt sie in Gera in demselben lang gestreckten Plattenbau in derselben Wohnung. Drei Söhne sind hier erwachsen geworden. Vor 30 Jahren fiel die Mauer und aus zwei deutschen Ländern wurde ein Staat.

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Und sie verliert ihren Mann, immer ein Stückchen mehr. Klaus Feller, inzwischen 92 Jahre alt, erkennt seine Heiderose nicht mehr. Er ist dement und lebt im Pflegeheim. „Er kann nicht mehr sprechen und nicht mehr stehen, es ist schlimm“, sagt sie. Alle zwei Monate fährt sie in ihrem Golf vom thüringischen Gera nach Hannover, um ihn einige Tage zu pflegen. Sie tut, was sie für ihre Pflicht hält, und spürt doch, dass sie selbst dabei viel Zeit verliert.

Die junge Liebe begann vor dem Mauerbau

Begonnen hatte die Liebe zwischen Heiderose Zahn und Klaus Feller mit einem hauchzarten Gefühl. Es war Mitte der Fünfzigerjahre. Das Kriegsende lag kaum zehn Jahre zurück, aus der Sowjetischen Besatzungszone wurde die DDR, und weil die Menschen im Osten noch nicht durch den „antifaschistischen Schutzwall“ eingekesselt waren, konnte die 16-jährige blonde Schülerin in den Ferien ihren Onkel in Hannover besuchen.

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Klaus Feller kam auch vorbei. Ein Mann in den besten Jahren, 30 Jahre alt, zurückhaltend und zuvorkommend, seine Verlobung stand kurz bevor. Man ging spazieren am Maschsee, Hannovers Ausflugsgewässer, und Heiderose merkte schnell, dass sie keinen brillanten Unterhalter an der Seite hatte.

Heiderose Zahn und Klaus Feller verloren sich durch den Mauerbau nicht gänzlich aus den Augen.

Heiderose Zahn und Klaus Feller verloren sich durch den Mauerbau nicht gänzlich aus den Augen.

Dennoch: Sie fand ihn sympathisch. Als sie abreiste, hatte sie viele Eindrücke aus dem Westen gesammelt und auch Klaus Feller im Kopf. 1957 kam Heiderose Zahn erneut zu Besuch. Dann griff auf dramatische Weise die Weltpolitik in das Leben nicht nur dieser beiden Menschen ein. Die DDR ließ Maurer und Soldaten Stein um Stein aufeinander- und nebeneinanderstapeln, um den beständigen Flüchtlingsstrom in den Westen zu stoppen. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, hatte Staats- und Parteichef Walter Ulbricht noch zwei Monate zuvor gelogen.

Heirat, Kinder, Trennung

Plötzlich, ab August 1961, trennte diese Mauer Deutschland von Deutschland, Gera von Hannover und Klaus Feller von Heiderose Zahn. Sie waren nie ein Paar geworden, doch der aufmerksame junge Mann vom Maschsee schickte noch einige Zeit Pakete nach Gera, in die er Parfüms, Süßigkeiten und kleine Aufmerksamkeiten gelegt hatte. Aber das Jahr 1957 verlor sich. Mit dem Ungetüm, das die neue Grenze bildete, fand man sich ab, und das Leben ging weiter. Vielleicht würde die Mauer ewig existieren, und was sollte man Gedanken an das Unabänderliche verschwenden?

Klaus Feller und Heiderose Zahn lebten ähnliche Leben, ob nun im Kapitalismus oder Sozialismus. Heirat, Kinder, Trennung. Im Osten trat die gelernte Porzellanmalerin Zahn, die später in einem Modekombinat arbeitete und als Buchhändlerin, in die SED ein, da waren alle drin. Sie beschreibt sich heute selbst als Mitläuferin. Im Westen hatte sich der gelernte Maurer Klaus Feller zum Gebietsverkaufsleiter eines Lebensmittelkonzerns hochgearbeitet. Die Menschen in der DDR hielt er für bedauernswerte Eingesperrte.

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Ihr ganz persönlicher Tag der Einheit

Das hätte nun immer so weitergehen können, wenn sich nicht für einen Moment ein Riss in der Mauer aufgetan hätte. 1987. Heiderose Zahn durfte zum 70. Geburtstag ihres Onkels nach Hannover reisen, und da wartete schon, was keine Überraschung war: Klaus Feller. 30 Jahre hatten sie sich nicht gesehen, und nun gab es viel zu erzählen. Von Hochzeiten, Geburten und Scheidungen auf beiden Seiten der Grenze. Und ohne ins Detail zu gehen, stellte Heiderose fest, dass der einst junge Mann vom Maschsee im höheren Alter nichts von seinem Charme verloren hatte. Doch wieder reiste sie zurück. Kein Gedanke an Republikflucht, in Gera lebten ja immer noch die Kinder.

Zum endgültigen Glück musste der Schutzwall fallen. Am 9. November 1989 verhaspelte sich SED-Sekretär Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz über Reiseerleichterungen („Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“) und besiegelte damit das unverzügliche Ende seines staatlichen Arbeitgebers.

Unverzüglich öffneten sich nach diesem Satz die Schlagbäume. An den Grenzen schwiegen die Gewehre wie nie zuvor. Heiderose Zahn, die kein Typ für spontane Aufbrüche ist, verließ an einem Tag im Dezember ihre Plattenbauwohnung in Gera, setzte sich in ihren DDR-Volkswagen der Marke Trabant und bewältigte 320 Kilometer Strecke ins niedersächsische Hannover. Klaus Feller wartete schon. Dieser Tag galt ihnen fortan als persönlicher Tag der Einheit.

Mit dem Kapitalismus kam die Arbeitslosigkeit

Als Klaus Feller Anfang 1990 mit 63 Jahren zum allerersten Mal in die Heimatstadt der mittlerweile 49-jährigen Frau fuhr, die er später heiraten würde, war er entsetzt. Die Mauer war erst wenige Monate zuvor gefallen, und die auf dem Papier noch existierende DDR präsentierte sich dem Besucher, als wolle sie alle Vorurteile und Klischees bestätigen.

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Schäbige Häuser, marode Straßen und eine kaum zu atmende Luft, als hätte eine erboste Frau Holle Säcke voll Kohlenstaub über das Tal ausgeschüttet. Ein Blumenladen stellte drei angefaulte Kakteen in das, was Feller in Hannover Schaufenster genannt hätte. Er parkte sein Auto vor einem Plattenbau, und das Erste, was er zu Heiderose Zahn sagte, war die typische Frage eines Westdeutschen. „Wie könnt ihr denn hier leben?“ Sie entgegnete mit sozialistischem Realismus, was man wohl sonst hätte machen sollen.

Das Paar war nun zusammen. Was die Weltgeschichte einst verhindert hatte, machte sie Jahrzehnte später doch noch möglich. Erich Honecker hatte sich getäuscht, als er behauptete, den Sozialismus in seinem Lauf halte weder Ochs noch Esel auf. Und die dazugehörige Mauer sollte nicht mehr „in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben“. Heiderose Zahn entschied sich, in Gera zu bleiben.

Als der Kapitalismus kam, verlor sie ihren Arbeitsplatz in der Buchhandlung, eine neue Stelle fand sie nie mehr. Von heute auf morgen wurde Heiderose Zahn nicht mehr gebraucht. Feller lebte weiter in seinem Haus in Hannover. Das Paar besuchte sich gegenseitig, unternahm wunderschöne Reisen mit dem Wohnmobil von Schweden bis runter nach Frankreich und befuhr auf Kreuzfahrtschiffen die Meere.

Ein winziger Moment des gemeinsamen Lebens

Doch 30 Jahre nach dem Mauerfall haben sich die Dinge verändert. In Gera erlebt Heiderose Zahn heute, wie schlecht die Stimmung ist. „Die Menschen meckern so viel. Über Merkel und so. Über Ausländer wird geschimpft, obwohl wir gar nicht so viele haben. ‚Scheißstaat‘ sagen sie dann. Dabei geht es den Leuten doch gut, sie bekommen Rente und können reisen.“

Obwohl sie die Wut manchmal verstehen kann. Zum Beispiel, als in der Straßenbahn offensichtlich Ausländer herumpöbelten und eine Frau belästigten. Das hat ihr nicht gefallen. Wer in Deutschland zu Gast ist, der müsse sich benehmen, das ist ihre Meinung dazu.

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Klaus Feller bekommt davon nichts mit. Die Demenz schlich sich heran. Er vergaß Dinge, bald unternahm er mit seinem Auto riskante Überholmanöver. Dann kamen die Aggressionen. Es kam vor, dass er Heiderose schlug, weil er sie nicht mehr erkannte. Heiderose, die ein blonder Teenager war, als er sie in den 50er-Jahren zum Maschsee begleitet hatte, um ihr eine Skulptur zu zeigen, den Knaben „Putto auf dem Fisch“. Es war ein winziger Moment eines gemeinsamen Lebens, und die Zeit ist auch hier geblieben.

Mehr aus der Serie „Mein Traum von Deutschland“? Klicken Sie hier.

Vor 30 Jahren fiel die Mauer. Das Jahr 1989 gehört zu den bewegendsten in der deutschen Geschichte. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat mit Zeitzeugen gesprochen, prominenten und nicht prominenten. Was sie zu erzählen haben, lesen Sie in der Serie „Mein Traum von Deutschland“. Jeden Tag erscheint eine neue Geschichte. Die Serie läuft bis zum Tag des Mauerfalls am 9. November.

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