„Ich stehe kurz vorm Burn-out“ – So geht es Familien mit Blick auf den zweiten Corona-Winter

Der nächste Corona-Winter startet: Eltern sorgen sich vor erneuten Schulschließungen und wie sich diese auf ihre Kinder auswirken. (Symbolbild)

Der nächste Corona-Winter startet: Eltern sorgen sich vor erneuten Schulschließungen und wie sich diese auf ihre Kinder auswirken. (Symbolbild)

Mit den Inzidenzen steigt auch die Verunsicherung in den Familien. Die Sorgen vor einem erneuten Winter im Homeschooling sind mitunter groß. Doch selbst ein Versprechen, die Schulen kein weiteres Mal flächendeckend zu schließen, kann Eltern nicht beruhigen. Sie ringen um das richtige Maß, wollen ihre Kinder vor einer Infektion geschützt wissen, kämpfen aber noch immer mit den Folgen der vergangenen Lockdowns. Wie ist der Ausblick auf die kommenden Wochen? Wir haben bei Eltern und Abiturientinnen und Abiturienten nachgefragt.

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Lara* ist alleinerziehend und Mutter eines Neunjährigen. Sie lebt im Rheinland: „Zwei Herzen schlagen in meiner Brust: Dass die Politik gerade zulässt, dass sich unsere Kinder infizieren werden, macht mich wahnsinnig wütend. Aber ich weiß auch, dass ich nicht noch einmal Homeschooling und Job parallel schaffen werde. Wir hatten alles andere als eine schöne gemeinsame Zeit während der Schulschließungen. Die Folgen spüre ich noch heute und das macht mich so unendlich traurig.

Fynn hat inzwischen eine solche Schulangst entwickelt, dass er neulich vor einem Mathetest in der Schule einfach ohnmächtig geworden ist. Das sind Probleme, die wir vor der Pandemie nicht hatten. Natürlich frage ich mich nahezu täglich, welche Schuld ich daran trage, dass sich das für meinen Sohn so entwickelt hat. Aber ich selbst spüre ebenfalls die Folgen.

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Angst vor den kommenden Monaten

Ich traue mich gar nicht, auf die nächsten Monate zu schauen. Ich versuche von Tag zu Tag, von Aufgabe zu Aufgabe zu denken. Sonst drehe ich direkt durch. Ich bin ganz ehrlich: Ich stehe kurz vor einem Burn-out. Fast hoffe ich sogar, dass sie wieder einmal von verlängerten Ferien sprechen und dann wieder die Schulen für Monate schließen. Dann hätte ich wenigstens eine Begründung, warum ich nicht mehr kann.

Sobald die Schulen schließen, werde ich mich krankschreiben lassen.

Das habe ich inzwischen für mich klar: Sobald die Schulen schließen, werde ich mich krankschreiben lassen und mir dann die Zeit nehmen, die Fynn wirklich braucht. Für ihn ist das jetzt auch ein bedeutendes Schuljahr. Er ist in der vierten Klasse und jetzt geht es darum, welche Schulempfehlung er bekommt. Es hängt also einiges dran, aber ihm fällt es nicht so leicht, in der Schule mitzukommen. Auch hier frage ich mich, welchen Anteil ich daran habe.

Ich kämpfe also täglich mit dem, was die Pandemie mit uns als Familie gemacht hat. Und dann sehe ich die Bilder aus dem Kölner Karneval, und da kann ich einfach nur noch kotzen. Tausende Erwachsene, die sich nicht zurückhalten können. Unsere Kinder aber müssen sich wieder an sämtliche Maßnahmen halten. Was sollte ich jetzt noch von der Politik oder der Gesellschaft erwarten können?“

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Noah ist 17 Jahre alt. Der Abiturient wohnt in Nordrhein-Westfalen: „Wenn ich an den Winter denke, hab ich nicht mehr solche Befürchtungen wie im letzten Jahr. Damals waren wir im Wechselunterricht, dafür ist der Abschlussjahrgang auch während des Hybridunterrichts täglich in der Schule gewesen.

Ins Homeschooling zu gehen wäre ein Genickbruch auf den letzten Metern.

Darum hoffe ich, dass wir jetzt als Abiturienten selbst im Falle eines Lockdowns im Präsenzunterricht bleiben und ich so mein Abi durchkriege. Dennoch ins Homeschooling zu gehen wäre ein Genickbruch auf den letzten Metern. Von zu Hause zu lernen ist einfach viel schwieriger. Ich merke, wie mir immer noch Grundlagen aus dieser Zeit fehlen.

Ich will in die Schule gehen – zumal ich auch keine große Angst vor einer Erkrankung habe. Wir sehen ja an den Zahlen, dass Corona bei den Jüngeren schwächer ausfällt. Außerdem tragen wir in unserem Jahrgang alle eine Maske, auch wenn wir die Möglichkeit hätten, sie abzunehmen.

An die Situation in der Schule gewöhnt

Wir haben uns auch einfach an die Situation gewöhnt. Wir kennen die Lehrer, wir kennen uns als Stufe. Wir nutzen IServ, dort sind Lernpläne hochgeladen und in Foren können wir uns austauschen. Alles ist eingespielt. Vielleicht mache ich mir deswegen auch weniger Sorgen in diesem Winter.

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Wir werden vielleicht anders aufs Abitur vorbereitet als die Jahrgänge vor Corona, aber nicht unbedingt schlechter.“

Martina, 42, lebt mit ihrem Mann und ihre beiden Kindern (13, 9) in Hamburg: „Obwohl die Kinder gut durch die Homeschooling-Phase gekommen sind, hängt mir die Situation mit meinem Sohn emotional immer noch nach. Er wurde während des Lockdowns immer ruhiger, war in sich gekehrt. Mit der Öffnung der Schulen ist er wieder regelrecht aufgeblüht. Den Sommer über hat er das gemacht, was Jugendliche in seinem Alter tun sollten: Freunde treffen, gemeinsam abhängen, neue Leute kennenlernen.

Der Sommer war für mich einfach zu kurz, um mir für den Corona-Winter ein dickes Fell anzulegen.

Ende des Sommers hatte ich dafür meinen persönlichen Corona-Breakdown, weil da ja schon absehbar war, dass ab Herbst die Sache von vorne losgehen wird. Der Sommer war für mich einfach zu kurz, um mir für den Corona-Winter ein dickes Fell anzulegen. Darum bin ich im Herbst noch mal ganz alleine nach Südfrankreich gefahren. Vermutlich bin ich deshalb mit Blick auf den Winter noch recht gelassen.

Vertrauen in Hamburger Politik

Und vielleicht ist es auch die Situation hier in Hamburg: Während ich auf Bundesebene den Eindruck hatte, Familien stünden sehr weit hintenan, legen sie hier in Hamburg den Fokus doch auf die Kinder. Zum Beispiel wurden die Schulen noch vor den Restaurants geöffnet, die Schwimmbäder haben als erstes wieder die Kinder reingelassen. Die Hamburger Politik ist die ganze Zeit bei der gleichen, bedächtigeren Linie geblieben. Vielleicht habe ich deshalb mehr Vertrauen. Zumindest habe ich das Gefühl, ich kann mich etwas einstellen auf das, was kommen mag.“

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Alu, wohnt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern (5, 11, 14) in Berlin: „Wenn ich auf die kommenden Wochen schaue, habe ich vor allem eines: Schiss. Dass wir die Kinder einfach in diese Situation reinlaufen lassen und damit ja quasi die Gewissheit haben, dass sie erkranken werden, finde ich einfach nur schrecklich. Seit Wochen schon leben wir wieder deutlich zurückgezogener, lassen die Kinder bei jedem Schnupfen zu Hause und haben nur noch wenige Kontakte. Es ist ein Spiel auf Zeit, aber ich möchte zumindest alles versuchen, um meine Kinder so gut wie möglich schützen.

Es geht eben immer um Leistung, um Gewinn, um die Wirtschaft.

Darum fände ich es gut, wenn wir jetzt schon Wechselunterricht hätten. Die Große ist mit 32 Kindern in einer Klasse – das ist einfach zu viel. Der Wechselunterricht hat gut funktioniert, und die Kinder haben durch den Onlineunterricht ja auch Kompetenzen dazugewonnen. Man könnte auch die Weihnachtsferien vorziehen. Die Adventszeit bringt die Kinder auch nicht mehr weiter nach vorne. Ohnehin finde ich diese überzogene Vorstellung von Leistung ganz furchtbar. Unsere Große schreibt eine Arbeit nach der nächsten. Als wäre das das Wichtigste in einer Pandemie.

Müde und enttäuscht

Doch es geht eben immer um Leistung, um Gewinn, um die Wirtschaft. Der Mensch fällt hinten rüber. Von der Politik erwarte ich nichts mehr. Ich bin so müde, so enttäuscht. Wie oft haben wir Eltern schon gesagt, dass wir nicht mehr können. Aber uns hört keiner zu. Wir haben seit einem halben Jahr ein Familienministerium, das vermeintlich nebenbei von unserer Justizministerin geführt wird. Was soll ich dazu noch sagen?

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Dabei gäbe es ja Dinge, die uns Familien helfen würden. Die Aufhebung der Schulpflicht beispielsweise, aber auch die Wertschätzung für Eltern. Sonderurlaubstage etwa, auch für Eltern mit Kindern unter 14 Jahren. Es ist ein Irrglaube, dass eine Zwölf- oder 13-Jährige das ganze Homeschooling alleine bewältigen kann.“

*Namen geändert

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