Kein Mitleid für Singles – warum es kein Makel ist, solo zu sein
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Allein wegzugehen, ist durchaus kein Notsignal und nichts Bedauernswertes, sondern macht Freude (Symbolfoto).
© Quelle: picture alliance / VisualEyze
Ein Fünfjähriger, während er seine Legosteine zusammen baut: „Ich stelle mir immer vor, dass das so funktioniert: Die Frau muss einfach die ganze Zeit wild draußen rum rennen und der Mann auch und dann rennen sie ineinander rein.“ Ja. Wer verkrampft die Liebe sucht, vertreibt sie.
„Dann, wenn du es am wenigsten denkst, passiert sie,“ sagen halb milde lächelnd, halb mit mitleidig verzerrtem Blick Pärchenfreunde. „Sei nicht so wählerisch“, sagen sie. „Ab ins Bällebad. Spielen!“ Denken sie. Warum? Weil man ohne Gegenstück nicht existieren kann, hässlich und frustriert wird? Dem Alkohol verfällt? Ungezügelt zu Kitschfilmen Pizza und Schokolade in sich hinein stopft, wie Bridget Jones im Kinofilm? Weil es nur Doppelzimmer gibt? Weil man im Restaurant gefragt wird: Zwei? Weil man an Egoismus sterben und einsam dahin siechen wird?
„Du findest ihn/sie schon noch“ – ein Satz wie ein versehentlich abgeschlossenes Abo. Natürlich wollen Feinde nur, dass es jeder so gut hat wie sie … Und Deckel, Romeo, Julia, Nadel im Heuhaufen oder Puzzleteil finden. Oder die bessere Hälfte. Die wartet unter den Milliarden Erdenbürgern garantiert. Vielleicht nur einen Wisch weiter, auf Tinder, OkCupid, Parship. Wer heute Single ist, legt sich irgendwann ein Profil an. Auch mancher Nicht-Single.
Philosoph Platon ist schuld an der „besseren Hälfte“
Das mit der besseren Hälfte hat uns Platon, der Grieche, eingebrockt. Ursprünglich sei die Erde von Kugelmenschen bevölkert gewesen: mit einem Kopf, zwei Gesichtern, vier Beinen, vier Armen. Das machte sie so übermütig, dass Göttervater Zeus beschloss, sie zu teilen. Von da an taumelten sie auf der Erde herum, fieberhaft auf der Suche nach ihrer verloren gegangenen Hälfte. Sie litten total unter ihrer Trennung. Also umschlangen sie einander und begehrten sich erotisch, weil sie hofften, wieder zum Kugelmenschen zusammen zu wachsen.
Heute sitzen diese Kugelmenschen unplatonisch auf dem Sofa und zappen sich durch Netflix. „Wir machen Quality Time“, sagen sie den draußen in den Bars herum springenden Hälften. „Wir.“ Das Wort mögen sie gern. Große Verwirrung. Wollen sie sich mit ihren Single-Freunden treffen, müssen sie das erst daheim besprechen.
Der Partner muss Mängel kompensieren
Die Scheidungszahlen sind hoch. Die Heiratszahlen aber drei Mal so hoch. Ein Land voller Romantiker. Dass trotzdem so viele Beziehungen scheitern, liegt vielleicht daran, dass es die wenigsten ausgehalten haben, mal eine Zeit in ihrem Leben Single zu sein. Und zu reifen. Also muss der Partner Mängel kompensieren: Sicherheit geben – emotional, finanziell; Zuspruch liefern, Langeweile vertreiben, Entscheidungen abnehmen, Glanz und Erfolg abstrahlen. Kinder bereit stellen. Wer kann all das Jahre lang bieten? Die Philosophin Simone de Beauvoir sagte, es sei durchaus beängstigend, sein Leben allein in die Hand zu nehmen.
Sich allein mal ausführen? Kann toll sein. Aber die mitleidigen Blicke von dem Pärchen am Nebentisch? Über die schrieb Erich Kästner aber mal: „Sie gingen ins kleinste Café am Ort und rührten in ihren Tassen. Am Abend saßen sie immer noch dort. Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort und konnten es einfach nicht fassen.“ Dennoch: Meist sind es die Singles, die so viel Mitleid abbekommen, dass sie sich irgendwann selbst Leid tun. Dabei sind sie keine asozialen, schwer vermittelbaren, hedonistischen Mängelexemplare. Angeblich sind sie oft einkommensstark, haben überdurchschnittlich oft Abi, sind oft gut vernetzt. Denn sie müssen sich ihre sozialen Beziehungen selbst organisieren. Daheim wartet nicht automatisch jemand. Genau deshalb können sie saugute Freunde sein. Freunden vertrauen sie an, was die bewegt; und andersrum.
Außerdem haben viele auch ein super Immunsystem. Beim Küssen werden ja jedesmal rund 4000 Bakterien ausgetauscht. Mehr Münder müssen her …